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AFRIKA/1935: Kenias Energieversorgung - Wachstum ohne Umweltfolgen? (SB)


Wird Kenia in Zukunft auf seine Dieselgeneratoren verzichten können?


Die hohen Kosten für fossile Energieträger reißen tiefe Löcher in die Haushaltskassen ostafrikanischer Staaten wie Tansania, Uganda oder Kenia. Zumal Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum den Energiebedarf kräftig wachsen lassen, während umgekehrt der durch Verdunstung und Verbrauch fortschreitende Wassermangel die Bedeutung von hydroelektrischen Kraftwerken, die bis dato als zuverlässig angesehen wurden, zur Energieunsicherheit geführt haben. So hat Kenia während der schweren Dürre um die Jahrtausendwende herum Notstromaggregate aufgestellt, da die Hauptenergiequelle - Wasserkraft - zeitweilig versiegt war. Inzwischen sind Dieselgeneratoren fester Bestandteil von Kenias Energiemix. Im Jahr 2007 bestritt das Land rund 33 Prozent seines Verbrauchs an elektrischer Energie mit Hilfe von Dieselgeneratoren; Wasserkraft machte 57 Prozent aus und Geothermie 10 Prozent. [1] Anderen Quellen zufolge ist Kenia zu rund 70 Prozent von Wasserkraft abhängig. [2]

Rein rechnerisch könnte der Betrieb der Dieselgeneratoren, die 2007 eine Leistung von 290 MW gebracht haben, ab 2012 durch den Betrieb des gegenwärtig vorbereiteten Baus des größten Windparks auf afrikanischem Boden am Turkanasee, des 300-MW-Projekts LTWP (Lake Turkana Wind Power) ersetzt werden. [3] Aber selbstverständlich würden nicht einmal die Betreiber des Windparks behaupten, daß er ein ausreichender Ersatz für die Dieselgeneratoren ist. Das Ostufer des Turkanasee ist zwar ein hervorragender Standort, um den Wind einzufangen, da er dort kräftig und beständig bläst - im Durchschnitt elf Meter pro Sekunde -, aber auch dieser Standort ist nicht völlig ohne Windarmut. Kenia muß also zusätzlich grundlastfähige, flexible Energiequellen bereithalten, will es der häufigen Stromabschaltungen ein Ende bereiten.

Bei der Beurteilung, ob Kenia in Zukunft auf seine kostenintensiven und emissionsreichen Dieselgeneratoren wird verzichten können, sind mehrere Trends gegeneinander abzuwägen:

- Das Bevölkerungswachstum erfordert eine laufende Erweiterung der Energiesysteme, um auch nur den gegenwärtigen Stand der Versorgung aufrechtzuerhalten.

- Klimaforscher sagen für Kenia und Ostafrika allgemein vermehrte und stärkere Dürreperioden voraus. Das zurückliegende Jahrzehnt lieferte dafür einen bitteren Vorgeschmack. Damit würde der Anteil der gegenwärtigen Hauptenergiequelle, der hydroelektrischen Kraftwerke, an der Gesamtenergieproduktion sinken. Bis zu welchem Wert läßt sich ebensowenig zuverlässig bestimmen wie die zukünftige Klimaveränderung. Im ungünstigsten Fall wird Kenia, vielleicht in Jahren, vielleicht in Jahrzehnten, dauerhaft nahezu vollständig auf Wasserkraft verzichten und müßte bis dahin ungefähr zwischen 50 und 75 Prozent seines Energieverbrauchs auf andere Weise generieren. Zumal die Nachbarländer ein mindestens genauso großes Energie- und Wasserproblem haben wie Kenia und die natürlichen Systeme belasten. Äthiopien will mit dem Gilgel Gibe III-Damm, der bereits zu einem Drittel fertiggestellt ist, den Omo, der Hauptzufluß des Turkanasees ist, reduzieren, und Uganda muß wegen des sinkenden Pegelstands am Victoriasee enorme Verluste an Wasserkraft und damit signifikante wirtschaftliche Einbußen hinnehmen. Bei den Verbrauchern in Kenia schlägt sich der Wassermangel empfindlich auf den Geldbeutel nieder. Sie mußten im vergangenen Jahr 60 Prozent mehr für die Kilowattstunde elektrischen Strom bezahlen als in Vorjahren, da die Wasserkraftwerke dürrebedingt weniger produziert haben und Notstromaggregate angeworfen werden mußten. Der Strompreis wird deshalb in Kenia sehr beweglich gehandhabt und sank im Februar 2010 nach der kurzen Regenzeit (Dezember/Januar) wieder. [4]

- Kenia strebt ein Wirtschaftswachstum von mehreren Prozent an, möchte bis 2030 zu einer Industrienation "aufsteigen" und müßte auch ohne die beiden oben genannten Punkte allein aus diesem Grund der Wirtschaft laufend mehr Energie bereitstellen.

- Bislang sind nur rund 50 Prozent der urbanen und zehn Prozent der ländlichen Bevölkerung ans Stromnetz angeschlossen. Um die gesamte Bevölkerung mit elektrischer Energie zu versorgen, müßte die Energieproduktion beträchtlich zunehmen.

Drei gesamtgesellschaftlich relevante Trends zum steigenden Energiebedarf und ein bedeutender, wenngleich nicht exakt zu bestimmender Trend zur Verringerung der Energieproduktion ... da genügt augenscheinlich weder der größte Windpark Afrikas noch eine Verdoppelung des Anteils der durchaus attraktiv erscheinenden Geothermie, damit Kenia in absehbarer Zukunft seine teuren und klimaschädlichen Dieselgeneratoren abschalten kann.

Die Einheitsregierung Kenias möchte innerhalb von nur fünf Jahren die Abhängigkeit von Wasserkraft drastisch verringern und dann 500 MW geothermische und 800 MW Windenergie ins Netz einspeisen. [5] An ehrgeizigen Konzepten einheimischer und internationaler Energieberater, wie Kenia sogar vollständig auf Erneuerbare Energien umstellen könnte, mangelt es nicht. Theoretisch könnte sich das Land energetisch allein auf Geothermie verlegen (was die Regierung vernünftigerweise nicht macht; statt dessen diversifiziert sie die Energieversorgung). Oder es könnten Solarthermische Kraftwerke und Photovoltaikparks in den ariden, einstrahlungsintensiven Regionen aufgestellt werden. Außerdem gibt es Konzepte, wonach wesentlich mehr sogenannte Energiepflanzen - Jatropha, Palmen, Hirse, etc. - als Ersatz für fossile Energieträger kultiviert werden. Tatsächlich strebt Kenias Regierung einen deutlich höheren Anteil an Biosprit am nationalen Treibstoffverbrauch an [6], aber das erfordert eine technologische Umstellung oder Umrüstung bis zu den energieverbrauchenden Aggregaten. Nicht zuletzt liebäugelt Kenias Regierung mit dem Bau eines Kernkraftwerks. [7] Das verheißt eine kontinuierliche Energiebereitstellung, wobei wegen Ausfallzeiten aufgrund von Störungen oder Wartungsarbeiten jeder Zeit andere Energiequellen dazugenommen werden müßten.

Für jede der genannten Energieformen finden sich die entsprechenden Interessengruppen und Lobbyverbände, die die Machbarkeit solcher Konzepte propagieren. Stellvertretend für viele sei hier Dr. Silas Masinde Simiyu, Chef der neu gegründeten Geothermal Development Company (GDC), eines Tochterunternehmens des staatlichen Energiekonzerns KenGen. Der Ingenieur verfolgt den ehrgeizigen Plan, von 2011 an über zwei Dekaden hinweg jedes Jahr zusätzlich 200 MW Energie aus geothermischen Kraftwerken zu gewinnen. Stromabschaltungen werden der Vergangenheit angehören, schwärmt Dr. Simiyu. [8]

Das Olkaria-Geothermiekraftwerk am Naivashasee ist Kenias Vorzeigeprojekt, das aus dem Ausland gefördert wird. Die KfW Entwicklungsbank unterstützt die Erweiterung des Erdwärmekraftwerk, das eine Leistung von dreizehn MW (2009) hat und auf 48 MW erweitert werden soll. [9] Kenia nutze nur sieben Prozent seines auf 2000 MW geschätzten geothermischen Potentials, stellen die Kreditgeber aus dem Industriestaat "Germany" die Möglichkeit einer prosperierenden Zukunft in Aussicht. Wie viele andere Staaten auch besitzt Kenia ein großes Potential, seinen Energiebedarf mehr und mehr durch Erneuerbare Energien zu decken - womit nicht die Verbrennung von Holz, einem noch immer sehr wichtigen Energieträger der ländlichen Bevölkerung, gemeint ist.

Aber zwischen Absicht und Verwirklichung besteht nicht zufällig eine Diskrepanz. Diese soll für Kenia und andere Entwicklungsländer durch Investitionen im Rahmen eines internationalen Klimaschutzvertrags überbrückt werden. Vereinfacht gesagt lautet die Idee, daß ein Industriestaat wie Deutschland oder ein Unternehmen, das in ein CO2-Handelssystem eingebunden ist, mit der gleichen Summe mehr "fürs Klima" tun kann, wenn es in Erneuerbare Energien eines Entwicklungslands investiert, als wenn eine bereits relativ energieeffiziente Technologie um ein paar Zehntel Prozentpunkte sparsamer gemacht werden soll. So hat Spanien vor kurzem zugesagt, sich an der Finanzierung einer Überlandleitung des Turkana-Windparks ans nationale Stromnetz zu beteiligen. Es hofft, diese Investition als Klimaschutzmaßnahme anerkannt zu bekommen. [3] Inzwischen gibt es in Kenia 15 Vorhaben, die auf Anerkennung als CDM-Projekt (Clean Development Mechanism) im Rahmen der UNFCCC (United Nations Framework Convention on Climate Change) harren. [10]

Wird Kenia seine Dieselgeneratoren abstellen, weil es andere Energiequellen zur Verfügung hat? Gegenwärtig sieht es nicht so aus. Aber vielleicht verhält sich ja das Klima anders als prognostiziert und beschert dem Land große Niederschlagsmengen. Oder der heute noch von internen Machtkämpfen belasteten Einheitsregierung Präsident Mwai Kibakis und Premierminister Raila Odingas gelingt es entgegen den Erwartungen, Investitionssicherheit herzustellen und den gesellschaftlichen Umbau bis 2030 mit Nachdruck (und Nachhaltigkeit) voranzutreiben. Vollkommen ausgeschlossen ist das nicht. Dennoch scheint Skepsis angebracht. Laut dem CDM-Investitionsklimaindex vom Oktober 2007 wird Kenia gerademal ein "ausreichend" attestiert. [11] Seit damals hat sich in Kenia einiges getan. Nach den monatelangen schweren Unruhen Anfang 2008 in Folge von offensichtlichen Wahlmauscheleien und der späteren Bildung einer überbordend großen Einheitsregierung wurden erfolgreiche Versuche unternommen, Erneuerbare-Energien-Projekte auf den Weg zu bringen, teils durch Unterstützung von im Ausland lebenden Kenianern.

Wie auch immer, die Erwartung, daß das angestrebte Wirtschaftswachstum ganz und gar ohne zusätzliche Treibhausgasemissionen erreicht wird, dürfte auf jeden Fall enttäuscht werden. Was das für die behauptete Klimafreundlichkeit des "CO2-Ablaßhandels" bedeutet, mit dem die Industriestaaten ihr Wachstum aufrechterhalten und zu rechtfertigen versuchen, indem sie in Projekte der Entwicklungsländer investieren, bedarf eigentlich keiner Erwähnung: Es kommt bestenfalls zu relativen, aber nicht zu absoluten CO2-Einsparungen, wie es nach Einschätzung von Wissenschaftlern dringend geboten wäre, um die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt zu halten. (Die Gerechtigkeitsdebatte, wonach Kenia ein Recht auf Wirtschaftswachstum hat und dem Land dieses Recht nicht von den Hauptverantwortlichen des anthropogenen Treibhauseffekts aberkannt werden darf, soll an dieser Stelle nicht geführt werden.)

Mitglieder der kenianischen Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hatten große Hoffnungen auf die UN-Klimakonferenz von Kopenhagen im Dezember 2009 gelegt und wurden von der mangelnden Bereitschaft der Industrie- und Schwellenstaaten, sich zu verbindlichen und gemäß den wissenschaftlichen Vorstellungen dringend erforderlichen CO2-Einsparzielen zu verpflichten, herbe enttäuscht. [12] Nach dem 4th Assessment Report des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) aus dem Jahr 2007 würde die Durchschnittstemperatur Kenias bis Ende des Jahrhunderts um fünf Grad Celsius steigen, falls die CO2-Emissionen weiterhin zunehmen. Nicht nur für die großen hydroelektrischen Kraftwerke würden die hohen Temperaturen das Aus bedeuten, auch die Versorgung mit dem lebenswichtigen Element Wasser wäre unter solchen Bedingungen extrem gefährdet. Schon heute müssen die Bewohner mancher Regionen Kenias ihre Brunnen tiefer und tiefer graben - in den ausgetrockneten Flußläufen! Es hat den Anschein, als wenn diese Menschen in den gern von Hochglanzprospekten begleiteten Verheißungen von üppigen Investitionen der Industriestaaten in Erneuerbare Energien der Entwicklungsländer nicht auftauchten.


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Anmerkungen:

[1] "Large Scale Hydropower, Renewable Energy and Adaptation to Climate Change: Climate Change and Energy Security in East and Horn of Africa", Stephen Karekezi, John Kimani, Oscar Onguru und Waeni Kithyoma
AFREPREN/FWD - Energy, Environment & Development Network for Africa, in Zusammenarbeit mit der Heinrich Böll Stiftung
Occasional Paper No. 33 (2009), ISBN Number: 9966-918-23-X

[2] "Kenia - Löcher im Flussbett", Der Spiegel, 38/2009, 14. September 2009
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-66886603.html

[3] Näheres im Schattenblick unter INFOPOOL, POLITIK, REDAKTION:
AFRIKA/1931: Spanien steigt in Finanzierung des Turkana-Windparks ein (SB)

[4] "Kenya: Better Rains Promise Cheaper Power", Business Daily (Nairobi), 3. März 2010
http://allafrica.com/stories/201003020910.html

[5] "Kenya to build Africa's biggest windfarm", The Guardian, 27. Juli 2009
http://www.guardian.co.uk/environment/2009/jul/27/kenya-wind-farm

[6] "Kenya makes key step to tap into biofuels market", Business Daily online, 11. Februar 2010
http://www.businessdailyafrica.com/-/539552/859608/-/view/printVersion/-/143b5nd/-/index.html

[7] Näheres im Schattenblick unter INFOPOOL, POLITIK, REDAKTION:
AFRIKA/1888: Kernenergie für Kenia - baldiger Akw-Baubeginn (SB)

[8] "Last gasp for clean energy", Standard Media, 24. November 2009
http://www.standardmedia.co.ke/InsidePage.php?id=1144028897&cid=457&

[9] "Auszeichnung für Erdwärmekraftwerk. Geothermiekraftwerk Olkaria in Kenia", Stand: Mai 2009
http://www.kfw-entwicklungsbank.de/DE_Home/KfW_Entwicklungsbank/Aktuelles/Archiv_2008_bis_2009/Kenia_-_Erdwaerme.jsp

[10]"Africa: Carbon Markets Moving Forward", United Nations Environment Program (Nairobi), 3. März 2010
http://allafrica.com/stories/201003040668.html

[11] "CDM-Markt kompakt: Kenia", Dr. Inge Hackenbroch, Länderbericht, bfai 11/2007
http://www.kyoto-coaching-cologne.net/publikationen/CDM-Kenia-Endversion-deutsch.pdf

[12] "Kenya: Copenhagen Failure to Hit Country Hard", The Nation (Nairobi), 22. Dezember 2009
http://allafrica.com/stories/200912221154.html

9. März 2010