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AFRIKA/1873: Somalia - Bundesmarine tötet mutmaßlichen Piraten (SB)


Fregatte "Brandenburg" bringt Ruderboot auf und erschießt Insassen

Asymmetrischer Krieg im Golf von Aden


Die Bundesmarine hat im Golf von Aden, vor der Küste Jemens, einen mutmaßlichen Piraten erschossen. Ob die Schützen auf der Fregatte "Brandenburg" absichtlich nicht nur Schüsse auf den Bootskörper abgegeben, sondern auch auf die Insassen gezielt hatten, oder ob es sich bei der Tötung um ein Versehen handelte, ist zur Zeit noch unklar. Die offizielle Version, wie sie auf der Website der Bundesmarine veröffentlicht wird [1], lautet, daß ein der Piraterie verdächtiges Skiff mit fünf bewaffneten Insassen trotz wiederholter Warnhinweise und Warnschüsse nicht reagiert hat. Daraufhin habe der Force Commander EU NAVFOR ATALANTA die Erlaubnis zum Schußwaffengebrauch auf den Bootskörper erteilt, ohne daß das Boot manövrierunfähig gemacht werden sollte. "Im Rahmen der Schussabgabe wurde ein Insasse des Skiffs schwer verletzt und verstarb trotz unmittelbarer medizinischer Hilfeleistung", hieß es.

Die Website der Mission EU NAVFOR liefert weitere Details. [2] Demnach ereignete sich der Vorfall unmittelbar südlich von Al Mukalla. Zunächst hatte die "Brandenburg" einen Hubschrauber entsandt, von dem aus das verdächtige Ruderboot, dessen Besatzung Leitern und Waffen über Bord warf, beobachtet und gefilmt wurde. Dem Aufruf zu stoppen wurde zunächst nicht nachgekommen. Erst als das EU NAVFOR-Kriegsschiff Warnschüsse über den Bug abgab, hielt das Skiff an. Von einem Rhib (leichtes Schnellboot) aus enterten Marinesoldaten das Skiff. Einer der mutmaßlichen Piraten war angeschossen worden und wurde auf der "Brandenburg" medizinisch behandelt, wo er starb.

Der Vorfall kommt in einer Zeit, in der die Bundeswehr bereits wegen des Kriegseinsatzes in Afghanistan schwer in die Kritik geraten ist. Zu der in der Öffentlichkeit vielfach zu vernehmenden Forderung, vom Hindukusch abzuziehen, könnten nun Fragen aufgeworfen werden, die längst hätten gestellt werden müssen und ebenfalls auf eine Abzugsforderung hinauslaufen könnten: Werden vor Somalia tatsächlich "nur" Hilfsgüterschiffe des Welternährungsprogramms (WFP) und der internationale Schiffsverkehr im Golf von Aden geschützt oder dient der vom UN-Sicherheitsrat sanktionierte Einsatz - einschließlich der partiellen Aufhebung der Souveränität eines Landes - nicht vor allem als Testlauf zur militärischen Sicherung eines geostrategisch wichtigen Handelswegs, wie es von der NATO und der EU in ihren Strategiepapieren als künftige Aufgabe des eigenen Militärs ausgewiesen wird? Die Begründung für den Militäreinsatz, daß die Piraterie zugenommen hat und etwas dagegen unternommen werden muß, bestätigt dies. Anstatt die Symptome der allgemeinen Not in Somalia - nämlich den Versuch der Einwohner, dieser mittels Seeräuberei und Erpressung zu entkommen - militärisch zu begegnen und dadurch den Interventionsvorwand nach Belieben fortzuschreiben, könnten viel wirksamer die Voraussetzungen der Not in Angriff genommen werden. Das dürfte sich sogar wirtschaftlich besser rechnen.

Somalia war schon zur Zeit der Herrschaft des von den USA unterstützten, 1990/91 gestürzten Diktators Siad Barre Kulminationspunkt für fortgesetzte Versuche ausländischer Mächte, ihre Interessen in dem Land durchzusetzen. In der jüngsten Phase des Konflikts werden die Rivalitäten innerhalb der somalischen Klanstruktur beeinflußt oder gar überprägt von einem Stellvertreterkrieg zwischen Äthiopien und Eritrea, wobei ersteres für die westliche Welt steht (USA, Großbritannien, weite Teile Schwarzafrikas) und letzteres für die arabische Welt.

Zur Beendigung der Voraussetzungen der Not am Horn von Afrika gehört sicherlich auch, jeglichen illegalen Fischfang im Hoheitsgebiet Somalias durch ausländische Trawler und das Verklappen von Müll, Giftmüll und radioaktiven Abfällen vor der Küste zu unterbinden.

Bislang haben die sogenannten Piraten aus der Hungerregion Somalia bei ihren Überfällen darauf geachtet, Gesundheit und Leben der Menschen, die in ihre Hände fallen, zu schonen. Diese anfängliche Vorsicht dürfte schwinden, je rücksichtsloser das Großaufgebot an Kriegsschiffen vor der Küste Somalias und im Golf von Aden gegen die mutmaßlichen Seeräuber vorrückt. Da spielt es keine Rolle, daß sich der Vorfall nahe der jemenitischen Küste zutrug.

Deutschland gehört zu den Ländern, deren Kriegsmarine in dieser Seeregion häufiger von Schußwaffen Gebrauch gemacht hat. Zudem war schon erwogen und beinahe in die Tat umgesetzt worden, die GSG 9 zur Geiselbefreiung in Somalia einzusetzen. Die Spezialkräfte waren bereits in Kenia als Zwischenstation eingetroffen. Die Bundesrepublik tritt nach außen hin zunehmend aggressiver auf, selbst da, wo andere mit einem moderater wirkenden Kurs versuchen, westlichen Interessen zur Durchsetzung zu verhelfen.

Noch ein abschließendes Wort zur hiesigen Berichterstattung über die Tötung eines mutmaßlichen Piraten im Golf von Aden: Nicht in allen, aber einer großen Zahl von deutschen Zeitungen (Bild, Hamburger Abendblatt, Die Zeit, ...) wird geschrieben, daß die Bundesmarine einen "Piraten" erschossen hat. Das ist eine Vorverurteilung. Erst eine genauere Untersuchung kann ans Tageslicht bringen, ob es sich bei dem Getöteten um jemanden handelte, der Piraterie begangen hat oder im Begriff war, sie zu begehen. Von einem erschossenen "Piraten" zu sprechen ist genauso, als wenn man beispielsweise den heutigen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble als bestechlich und Lügner bezichtigt hätte, noch bevor er sich im Jahr 2000 vor dem Bundestag dafür entschuldigt hatte, daß unter der Verantwortung der CDU Gesetze gebrochen wurden, und er einräumen mußte, daß er den dubiosen Waffenhändler Schreiber nicht nur flüchtig gekannt hatte, wie von ihm behauptet, sondern daß er 1994 von Schreiber sogar 100.000 DM als "Parteispende" entgegengenommen hatte.


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Anmerkungen:

[1] "Atalanta: Fregatte Brandenburg stoppt verdächtiges Skiff", Presse- und Informationsstab BMVg, 07. September 2009, 16 Uhr.
http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/kcxml/04_ Sj9SPykssy0xPLMnMz0vM0Y_QjzKLd443DnQHSYGZASH6kTCxoJRUfW99X4_ 83FT9AP2C3IhyR0dFRQCsXOUq/delta/base64xml/ L2dJQSEvUUt3QS80SVVFLzZfQ18yODI5?yw_contentURL= %2FC1256EF4002AED30%2FW27VN9AE359INFODE%2Fcontent.jsp

[2] "EU NAVFOR warship BRANDENBURG stops suspected pirates", 7. September 2009, 16.43 UTC
http://www.eunavfor.eu/

8. September 2009