Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


DILJA/1432: Dauerintervention ... (SB)



"Wir werden nicht wieder Staatsaufbau betreiben - wir werden Terroristen töten." Mit diesen Worten erläuterte Präsident Donald Trump am Montag die, wie es hieß, neue US-Strategie für Afghanistan. Seine 2012 und 2013 getwitterte Auffassung, der sofortige Abzug sei die einzige vernünftige Option angesichts dessen, daß US-Soldaten geopfert und Milliarden Dollar verschwendet würden, hat der gegenwärtige Commander-in-Chief offenbar revidiert. Die USA werden ihr "Engagement" in Afghanistan noch verstärken. Der jetzt von Trump erklärte Verzicht auf eine zeitliche Begrenzung steht überdies im Widerspruch zu dem Versprechen Obamas von 2014, die US-Truppen aus dem Land bis Januar 2017 vollständig abzuziehen.

Allem Anschein nach stehen die westlichen Streitkräfte im Begriff, sich auf unabsehbare Zeit in Afghanistan festzusetzen. Offiziell wird dieser Krieg seit 2014 von der NATO als "Ausbildungs- und Unterstützungsmission" mit der Bezeichnung "Resolute Support" geführt. Einige von Obama damit verbundene Beschränkungen hat Trump jetzt aufgehoben. Da die "Ausbilder" der US-Streitkräfte die afghanische Armee nun wieder offiziell in Kampfeinsätzen begleiten dürfen und die Befugnis haben, Luftunterstützung anzufordern, muß mit einer Intensivierung der Kampfhandlungen gerechnet werden. Von Sicherheit kann in Afghanistan weder für die Bevölkerung noch die ausländischen Truppen die Rede sein, wie sich am Tag nach der Trump-Rede einmal mehr zeigte, als in Kabul vor einer Bank nahe der US-Botschaft beim bereits zwölften in der Hauptstadt verübten großen Anschlag dieses Jahres mindestens fünf Menschen getötet wurden.

Die Bundesregierung weiß sich mit Trump einig. Wie Staatssekretärin Ulrike Demmer am 23. August erklärte, begrüße sie die Zusicherung der USA, "sich weiterhin langfristig in Afghanistan zu engagieren". Auf dem Weg zur Stabilisierung des Landes sei der Einsatz notwendig, gemeinsames Ziel beider Staaten sei, daß von afghanischem Boden keine Terroranschläge mehr ausgingen. [1] Der 2001 begonnene Afghanistankrieg der westlichen Gemeinschaft, ob nun als Stabilisierungsmaßnahme oder Antiterrorkampf deklariert, ist bereits heute einer der längsten Kriege der Gegenwart und läuft mehr denn je Gefahr, entgegen anderslautender Zusagen auf unabsehbare Zeit verstetigt zu werden.

Seine Opferzahlen haben sich im Verlauf der bisherigen 16 Kriegsjahre vervielfacht. Als die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen für Afghanistan 2009 ihren ersten Bericht veröffentlichte, hatte sie die Zahl der 2008 getöteten Zivilisten mit 2.118 angegeben - gegenüber 2007 eine Steigerung um 40 Prozent und die insgesamt höchste Zahl seit der militärischen Niederschlagung der Taliban im Jahre 2001. Aus dem am 6. Februar 2017 veröffentlichten UN-Jahresbericht für 2016 geht hervor, daß die Geamtzahl getöteter oder verletzter Zivilisten im vergangenen Jahr mit 11.418 einen neuen Höchststand erreichte. Fast jedes dritte Opfer - insgesamt 3512 - war ein Kind. Durch internationale und afghanische Luftangriffe wurden demnach 2016 mehr als doppelt so viele Kinder getötet oder verletzt wie im Jahr zuvor. [2]

Dies dürfte die Ablehnung der ausländischen Streitkräfte weiter befördert haben. Schon 2009 hatte der damalige Präsident Afghanistans, Hamid Karsai, die USA immer wieder vor Luftangriffen gewarnt, weil die Akzeptanz der ausländischen Militärs in der Bevölkerung durch die steigende Zahl ziviler Opfer verlorengehe. Bereits damals vertraten Experten die Auffassung, daß die Zeit, in der die ausländischen Sicherheitskräfte und im Land operierenden Organisationen noch von einem Großteil der afghanischen Bevölkerung akzeptiert wurden, vorbei sei. [3]

Akzeptanzprobleme gab und gibt es auch in den truppenstellenden, das heißt kriegführenden NATO-Staaten. In Deutschland beispielsweise erklärten im Dezember 2009 in einer repräsentativen Umfrage 69 Prozent der Befragten, daß sie einen möglichst schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan befürworteten. Eine große Mehrheit vertrat die Auffassung, die Bundesregierung würde nicht umfassend und ehrlich über diesen Auslandseinsatz informieren. [4] Der Publizist und langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Todenhöfer berichtete im September desselben Jahres von einem Gespräch mit einem Taliban-Kommandeur, in dem dieser erklärt habe, die afghanischen Taliban würden sich nach einem Abzug der US-Streitkräfte an Wahlen oder einer Loya Jirga, wie die traditionelle Stammesversammlung genannt wird, beteiligen und deren Ergebnisse akzeptieren. Sie kämpften nicht gegen Afghanistan, sondern für den Rückzug der NATO. [5]

Aber noch 2014, als das auf den 31. Dezember datierte angebliche Kriegsende immer näher rückte, bestanden die USA für die Nachfolgezeit auf einem mit der afghanischen Regierung geschlossenen Truppenstationierungsabkommen, in dem den US-Streitkräften zugesichert werden sollte, sich niemals vor afghanischen Gerichten verantworten zu müssen. Den ausländischen Besatzern, angeblich nur zu Ausbildungs- und Beratungszwecken im Land, einen solchen Freibrief zu erteilen, überließ Karsai kurz vor dem Ende seiner Amtszeit seinem Nachfolger Abdullah Abdullah.

Bis heute hat sich die Lage in Afghanistan weiter verschlechtert. Immer mehr Menschen sehen sich zur Flucht gezwungen. Wie die Tagesschau am 29. August 2017 meldete, haben allein in der vergangenen Woche mehr als 10.000 Afghanen das Land verlassen. Einem aktuellen Bericht der UN-Agentur zur Koordinierung humanitärer Hilfe zufolge sind zwischen dem 1. Januar und dem 22. August 212.439 Menschen im eigenen Land heimatlos geworden, weil sie vor den Kämpfen zwischen Taliban und den Sicherheitskräften geflohen sind. In 30 der insgesamt 34 Provinzen des Landes sind gegenwärtig Menschen auf der Flucht. Die größte Zahl der Kriegsflüchtlinge - rund 41 Prozent - stammt aus dem Norden des Landes und damit der Region, in der die Bundeswehr bis 2013 stationiert war. [6]

Unvermindert führen die NATO-Staaten in Afghanistan einen Krieg, den sie nicht so nennen. Auch die Bundesregierung bemüht sich, ihrem "Engagement" einen möglichst zivilen Anstrich zu verleihen. Am 21. August bekräftigte Martin Schäfer, Sprecher des Auswärtigen Amtes, das Ziel der Bundesregierung, die Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicherheitsbehörden, die Polizei und das Militär zu übergeben und diese Entwicklung mit Unterstützungs-, Beratungs- und Dienstleistungsfunktionen zu fördern. [7]

Inhaltliche Differenzen zwischen diesem Konzept und der Ankündigung Trumps, "die Terroristen" aus ihren Gebieten zu vertreiben, sie von ihren Geldquellen abzuschneiden, den "falschen Glanz ihrer Ideologie" bloßzulegen, ihre Nachwuchskanäle auszutrocknen, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, die Sanktionen zu verschärfen, ihren Willen zu brechen und sie zu besiegen [8], bestehen offenbar nicht. In einer Pressemitteilung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hieß es am 22. August, es sei richtig, daß Trump sich von festen Abzugsdaten distanziert habe. Die Truppenpräsenz in Afghanistan könne nach Ansicht der Union erst signifikant zurückgefahren werden, wenn die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen dafür geschaffen seien. Die jüngsten Anschläge in Barcelona hätten gezeigt, wie real die Gefahr des internationalen Terrorismus in Europa sei. [9]

Nun ist in Spanien nach den jüngsten schweren Anschlägen eine hitzige Diskussion über die Beziehungen des Königshauses zur Monarchie in Saudi-Arabien entbrannt, der die Finanzierung und Bewaffnung der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" vorgeworfen wird. [10] Wie die sich in europäischen Staaten häufenden Anschläge mit dem unter NATO-Oberhoheit geführten Krieg in Afghanistan überhaupt in Verbindung zu bringen sind, ist eine offene Frage, die an die ursprünglich geltend gemachten Kriegsgründe erinnert. Die am 7. Oktober 2001 begonnenen Luftangriffe der USA waren bekanntlich damit begründet worden, daß Afghanistan, wie sich am 11. September gezeigt habe, eine Brutstätte des internationalen Terrorismus und eine Gefahr für die internationale Gemeinschaft sei.

Der Vorsitzende des Auswärtigen und Sicherheitspolitischen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok, bestätigte 2004 gegenüber dem ZDF die Angaben des afghanisch-amerikanischen Geschäftsmannes und Unterhändlers Kabir Mohabbat, es habe zwischen 1999 und 2001 mehrmals Angebote der Taliban gegeben, Bin Laden einem Drittland zu übergeben, damit es ihn an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag überstelle. Es wäre den Taliban darum gegangen, von den USA anerkannt zu werden und ein Ende des gegen sie verhängten Boykotts zu erreichen. Hätte man diese Möglichkeit wahrgenommen, wäre viel Leid vermieden worden, lautete das Fazit des EU-Politikers. [11]

Aus dieser angeblich verpaßten Chance ist ein bis heute fortgesetzter Krieg erwachsen ohne erkennbare Aussicht auf ein Ende. Nach den langen Kriegsjahren kann nicht ausgeschlossen werden, daß die westlichen Koalitionäre strategische Absichten verfolgen, die zu gegenteiligen Wirkungen als den behaupteten Zwecken, nämlich für Stabilität in Afghanistan sorgen und die Weltgemeinschaft vor terroristischen Anschlägen schützen zu wollen, geführt haben und nach wie vor führen sollen.


Fußnoten:

[1] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/08/2017-08-23-regpk.html

[2] http://www.rp-online.de/politik/mehr-zivile-opfer-in-afghanistan-aid-1.6589007

[3] http://www.heise.de/tp/r4/artikel/29/29769/1.html

[4] https://www.tagesschau.de/wahl09/umfragen/deutschlandtrend894.html

[5] http://www.fr-online.de/top_news/1949507_Reportage-Im-Land-der-Taliban.html

[6] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-08/afghanistan-flucht-taliban-ocha-bericht

[7] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2017/08/2017-08-21-regpk.html

[8] http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-08/afghanistan-donald-trump-militaereinsatz-soldaten

[9] https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/trump-schafft-mit-entscheidung-zur-afghanistan-politik-buendnispolitische

[10] https://www.jungewelt.de/artikel/316852.die-saat-für-den-terror.html

[11] http://www.spiegel.de/politik/ausland/terrorismus-wollten-die-taliban-bin-laden-ausliefern-a-302730.html

29. August 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang