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DILJA/1391: Legalistischer Putsch in Paraguay kennzeichnet neuen internationalen Frontverlauf (SB)


Die Apologeten der neoliberaler Hegemonialordnung dulden keinen Widerspruch



Die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Paraguays, Fernando Lugo, am vergangenen Freitag, war so offenkundig ein politischer Putsch, wenngleich seine Initiatoren und Vollstrecker sich legalistischer Mittel zu bedienen wußten, daß es ein wenig waghalsig anmutet, ihn in aller Offenheit gutzuheißen bzw. zu bagatellisieren, wie es der deutsche Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) bereits getan hat. Innerhalb der südamerikanischen Staaten ist die Ablehnung dieses Vorgehens so einhellig, daß die Bundesrepublik Deutschland Gefahr läuft, auf diesem Wege (weiteres) Ansehen und das heißt politischen Einfluß zu verspielen, und so kam aus berufenem Munde bereits Kritik nicht etwa an der politischen Positionierung Niebels, sondern an dem wenig taktisches Geschick offenbarenden Vorgehen. Thilo Hoppe, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, scholt den Minister bestenfalls wegen dessen mangelnder Sensibilität und politischen Feinfühligkeit und warnte, die FDP dürfe nicht denselben Fehler machen wie 2009 in Honduras und schneller als die internationale Gemeinschaft und die Staaten Südamerikas eine Regierung anerkennen, "deren Legitimität von vielen Seiten angezweifelt wird" [1].

Diese Kritik geht vollends an der Rolle vorbei, die die bundesdeutsche FDP in diesem Zusammenhang allen Anzeichen nach seit langem zu spielen scheint. Insbesondere in den Staaten Amerikas, die als "Lateinamerika" zu bezeichnen eine fortgesetzt kolonialistisch gefärbte Namensgebung offenbaren würde, scheinen die bundesdeutschen Liberalen so etwas wie eine Vorreiter- oder vielmehr Vorkämpferrolle eingenommen zu haben in einer Auseinandersetzung, die keineswegs geographisch zu verorten ist, auch wenn die Seite der ehemaligen Kolonialmächte in Europa bzw. Nordamerika zu lokalisieren wäre, während die von den ehemals kolonialisierten Völkern und späteren "Entwicklungsländern" beanspruchte Gegenposition in den übrigen Kontinenten und insbesondere in Mittel- und Südamerika anzutreffen ist. Das Internetportal german- foreign-policy.com hat zur Aufklärung über die Aktivitäten "liberaler" Organisationen in den amerikanischen Staaten unlängst beigetragen [2]:

Gesellschaftspolitische Alternative
Die Partei, die mit ihrem Seitenwechsel den Umsturz ermöglicht hat und mit Franco den Putschpräsidenten stellt, gehört dem Lateinamerika-Netzwerk der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung an. Bei diesem handelt es sich um den Verband Red Liberal de América Latina (Liberales Netzwerk Lateinamerika, RELIAL), deren Gründung im Jahr 2003 von der Naumann-Stiftung initiiert worden ist. Offiziell ist bei der Naumann-Stiftung zu lesen, RELIAL - dem Dachverband gehören mittlerweile mehr als 50 einzelne Organisationen in 17 Staaten an - solle "die liberale Idee" in Lateinamerika verbreiten - "als politische Philosophie wie auch in ihrer politisch praktischen Konkretisierung". Dabei solle es deutlich werden, dass der Liberalismus "eine ernstzunehmende gesellschaftspolitische Alternative" bei der "Beseitigung (...) der instabilen politischen Verhältnisse in Lateinamerika" sei.

Was hier "liberale Idee" tituliert wird, bedarf noch der Entblätterung auf seinen sehr wohl aggressiven Kern. In bester Übernahme neoliberaler Konzepte, die das Wohl und Wehe der Menschen in welchen Regionen auch immer nahtlos an die Befolgung der diesem Modell innewohnenden wirtschaftspolitischen wie auch repressionstechnischen Maßgaben knüpft, wird mit diesen Begriffen die Forderung verknüpft, daß den Unternehmen am besten völlig freie Hand in allen ihren Belangen gelassen werde, damit sich "die Wirtschaft" bzw. "der Markt" zum Nutzen aller in optimaler Weise entfalten könne. Vor diesem Hintergrund müssen heute schon Ideen, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts noch unter das Konzept der "sozialen Marktwirtschaft" subsumiert und vornehmlich von sozialdemokratischen Parteien und ihnen nahestehenden Gewerkschaften vertreten wurden, als kontraproduktiv bekämpft und diskreditiert werden.

Von einer Systemauseinandersetzung, wie die den sogenannten Kalten Krieg begründende, angeblich zutiefst ideologische Konfrontation zwischen der alteingesessenen kapitalistischen Welt und ihrem sozialistischen Herausforderer genannt und verstanden wurde, ist in diesem Zusammenhang längst nicht mehr die Rede, und so rufen heute schon Regierungen, Organisationen und Bewegungen, die mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln und großem Engagement soziale Reformen auf den Weg bringen bzw. einfordern, schärfste Gegenreaktionen hervor, weil ihr Beispiel schon ausreicht, um die neoliberalen Heilsversprechen zu demaskieren. Namentlich die ALBA-Staaten Mittel- und Südamerikas, die dem Kapitalismus noch nicht einmal die Türen verschlossen, aber der entuferten Verfügung über Menschen und Ressourcen, wie sie unter neoliberalen Vorzeichen vollzogen und verlangt wird, einen rigorosen Riegel vorgeschoben haben, sind zu Feinden dieser neuen Weltordnung fast schon offen erklärt worden.

Was hier im Gange ist und aktuell zu einem politischen Ränkespiel geführt hat, in dessen Folge der demokratisch gewählte und, was kaum zu bezweifeln steht, im Volk Paraguays nach wie vor akzeptierte Präsident Fernando Lugo seines Amtes enthoben wurde, ist weit mehr als eine innenpolitische Auseinandersetzung zwischen den Interessen der Großgrundbesitzer dieses Landes und einer Regierung, die sich mit ersten erkennbaren Ergebnissen aufgemacht hat, die soziale Lage auch der Ärmsten der Armen zu verbessern. Hier steht mehr auf dem Spiel, das aus Sicht der Betroffenen ganz gewiß keines ist, wie auch in nahezu allen Staaten Südamerikas viele Menschen eine weitaus präzisere Einschätzung dessen haben dürften, was ihnen seitens der EU-Staaten und der USA entgegengebracht wird, als in der westlichen Welt angenommen wird. So wenig, wie sich in Ermangelung belastbarer Fakten und nicht diskreditierbarer Quellen zum gegenwärtigen Zeitpunkt konkrete Aussagen darüber treffen lassen, welche Kräfte bei dem "Parlamentsputsch" in Paraguay zum Wirken gekommen sein könnten, scheinen erste Hinweise doch bereits vorzuliegen. So wurde beispielsweise in der der politischen Parteinahme unverdächtigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Frage gestellt, ob "Lugos Gegner" die Schießereien auf der Farm, die maßgeblich zur Amtsenthebung Lugos genutzt wurden, provoziert hätten [3]:

In Paraguay warfen die politischen Gegner Lugo "schlechte Amtsführung" vor. Zur oppositionellen Coloradopartei, dem Refugium der Latifundienbesitzer, hatte sich zuletzt auch die eigentlich zu seinem Lager zählende, doch abtrünnig gewordene Liberale Partei des Vizepräsidenten Franco gesellt. Dies trug entscheidend zu Lugos Fall bei. Im Abgeordnetenhaus gab es nur eine Stimme gegen das Absetzungsverfahren, im Senat vier. Lugo wurde insbesondere angelastet, das Massaker auf einer Farm, bei dem sechs Polizisten und elf "Landlose" ums Leben kamen, nicht verhindert zu haben. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass die Schießerei von seinen Widersachern provoziert worden war, um ihn angreifbar zu machen und einen Grund für den "politischen Prozess" zu haben. Es ging der Opposition, allen voran den Colorados, welche die Stütze des Diktators Stroessner waren, vor allem darum, rechtzeitig vor den Präsidentenwahlen im April 2013 das Feld zu bestellen.

Zur Erläuterung: Am 15. Juni hatte die Polizei eine Landbesetzung beendet, wobei es zu einem Feuergefecht gekommen war, in dessen Verlauf elf Kleinbauern und sechs Polizisten getötet wurden. Die "Opposition" machte Präsident Lugo für diesen Vorfall verantwortlich, weil er, so der Vorwurf in dem gegen ihn erhobenen Amtsenthebungsverfahren, bei der Landräumung in Curuguaty unzureichend Vorsorge geleistet hätte. Tatsächlich hatte Präsident Lugo, dem seitens seiner politischen Gegner seine Nähe zu den Kleinbauern vorgehalten wurde, den zuständigen Innenminister Carlos Filizzola unmittelbar nach diesen Vorfällen entlassen und durch den ehemaligen Generalstaatsanwalt Rubén Candia Amarilla ersetzt. Nach wie vor befindet sich die Landwirtschaft Paraguays in den Händen der Großgrundbesitzer und transnationaler Konzerne, die aus dem Land den viertgrößten Sojaexporteur der Welt gemacht haben und mit Sicherheit andere Interessen verfolgen, als die soziale Lage der oft noch immer landlosen Kleinbauern des Landes zu verbessern.

Da sowohl Präsident Lugo als auch seine Wählerinnen und Wähler keineswegs gewillt sind, diesen legalistischen Putsch widerstandslos hinzunehmen und ihren friedlichen Protest nicht nur angekündigt, sondern bereits begonnen haben, ist das letzte Wort in dieser Auseinandersetzung noch lange nicht gesprochen. Dies gilt selbstverständlich nicht nur für Paraguay, sondern auch für die - wenn auch noch weitgehend unsichtbare - Trennlinie zwischen denjenigen Eliten, die ihre Interessen weltweit unter der neoliberalen Agenda durchzusetzen im Begriff stehen, und all den übrigen Völkern und Staaten, die wie beispielsweise die ALBA-Staaten längst damit begonnen haben, diesem Entwurf eine eigene Realität entgegenzusetzen. Im Zuge dessen haben sie bereits eine internationale Kooperation ins Leben gerufen zwischen sich und weiteren, vom Westen als Entwicklungs- oder Schwellenländer titulierten Staaten mit der Zielsetzung, den Zugriff des reichen Nordens auf ihre Regionen einzudämmen, wenn nicht vollständig zu beenden, und so zeichnet sich mit dieser Trennlinie ein Frontverlauf der Zukunft ab, für den heftige und äußerst gewaltsame Formen der Auseinandersetzung zu prognostizieren angesichts einer weltweit sich zuspitzenden Mangellage keinerlei prophetischer Gaben bedarf.

Fußnoten:

[1] Anerkennung von De-facto-Regime in Paraguay: Opposition kritisiert Niebel. amerika21.de, 26.06.2012,
http://amerika21.de/meldung/2012/06/52991/paraguay-opposition-niebel

[2] Ganz liberal geputscht. Informationen zur Deutschen Außenpolitik, 26.06.2012, german-foreign-policy.com,
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58357

[3] Paraguay - Der sanfte Putsch. Die lateinamerikanische Tradition, unbequem oder lästig gewordene Präsidenten aus dem Amt zu treiben, lebt noch immer fort, wie der Fall Lugo in Paraguay zeigt. Nur die Methoden sind etwas subtiler geworden. Von Josef Oehrlein, faz.net, 26.06.2012,
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/paraguay-der-sanfte-putsch-11799732.html


29. Juni 2012