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DILJA/1365: Singende "Terroristen"? Friedfertige Aktion junger Kurden im RTL-Sender (SB)


PKK-Verbot und EU-Terrorliste lassen keinen politischen Spielraum


Am vergangenen Mittwoch "besetzten", wie es später in der Presse hieß, kurdische AktivistInnen den RTL-Sender in Köln. Genaugenommen waren die rund 30 zumeist jungen KurdInnen am Pförtner vorbeigerannt und hatten sich alsbald in den Redaktionsräumen des Boulevardmagazins "Explosiv" niedergelassen. Dies war wörtlich zu verstehen, da sich die offensichtlich unbewaffneten AktivistInnen im Schneidersitz auf den Boden setzten und zu singen begannen. Sie forderten, wie auch ihren mitgebrachten Handzetteln zu entnehmen war, die Freilassung des seit 1999 in der Türkei inhaftierten Vorsitzenden der auch in Deutschland verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Abdullah Öcalan, und sie waren in die RTL-Zentrale gekommen, um den Sender dazu zu bringen, einen Beitrag über Öcalan zu senden und die Freilassungsforderung zu veröffentlichen.

Die "Besetzer", wenn es denn welche waren, verhielten sich, wie ein Polizeisprecher bestätigte, vollkommen friedfertig. Es sei während der gesamten Aktion seitens der AktivistInnen keine Gewalt angewandt worden. Um die Situation auch friedlich zu beenden, wurde mit ihnen verhandelt, zunächst durch die Leitung des Senders und dann durch die Polizei. Das Ergebnis blieb dasselbe, waren doch die zumeist jungen Leute nicht bereit, die Kölner RTL-Zentrale unverrichteter Dinge wieder zu verlassen. Mit anderen Worten: Sie wollten so lange - sitzend, singend, Parolen skandierend - in den Redaktionsräumen verbleiben, bis ihrem Anliegen, über die Situation des auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft gehaltenen PKK-Anführers zu informieren und dessen Freilassung zu fordern, nachgekommen werde.

Noch während die Verhandlungen liefen, rückte die Polizei, die anfangs mit einigen Einsatzwagen vor dem Sender präsent war, mit einer Hundertschaft an, die in das Gebäude vordrang. RTL wollte sich auf Nachfragen der Presse zunächst nicht zu den Ereignissen äußern. Auf die Frage einer Zeitung, warum die Eindringlinge nicht einfach hinausgetragen werden, hatte Polizeisprecher Bruno Ethen versichert: "Wir suchen eine friedliche Lösung." [1] Die friedliche Lösung sah dann so aus, daß die KurdInnen, die gegen 16.30 Uhr in das Gebäude gekommen waren, am Abend von der Polizei abgeführt wurden, nachdem die Versuche, sie zu einem "freiwilligen" Abzug zu bewegen, gescheitert waren. Die Gruppe kurdischer Männer wie auch Frauen leistete keinen Widerstand. Während der gesamten Aktion kam es weder zu Sachbeschädigungen noch zu geringsten Verletzungen.

Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß die AktivistInnen nicht strafrechtlich verfolgt werden könnten. "Wir ermitteln wegen Hausfriedensbruch", hatte ein Polizeisprecher bereits am Nachmittag gegenüber der Kölner Rundschau erklärt. Da ein Hausfriedensbruch vorliegt, wenn jemand widerrechtlich in geschlossene Räume eindringt oder diese nach Aufforderung der Berechtigten, in diesem Fall des Senders, nicht wieder verläßt, haben die Kurden nun möglicherweise mit einem Strafverfahren zu rechnen. Mit ihrer Aktion, die als "Erstürmung" oder "Besetzung" der RTL-Zentrale zu bezeichnen angesichts der von der Polizei bestätigten näheren Umstände und insbesondere ihres friedlichen Verhaltens deutlich überzogen wirkt, haben sie, wenn auch nur kurzfristig, das Interesse der Medien auf sich und ihre Forderungen lenken können.

In vielen Presseberichten war anläßlich dieser zunächst recht spektakulär erscheinenden Meldung zur Erläuterung angeführt worden, daß es sich bei der PKK um die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans handele, die versuchen würde, in der Türkei Autonomierechte für die kurdische Minderheit zu erstreiten, wozu sie sich in der Vergangenheit auch in Deutschland gewaltsamer Mittel bedient habe. Die "Rheinische Post" vermutete zu den aktuellen Beweggründen der AktivistInnen, daß die Ankündigung des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan vom vergangenen Sonntag, die türkische Armee werde gemeinsam mit den iranischen Streitkräften eine Offensive gegen kurdische Rebellen im Nordirak durchführen, ein Rolle gespielt haben könnte [2]. Diese Annahme ist plausibel, zumal es seit Ende des Fastenmonats Ramadan bereits zu einer Offensive der iranischen Streitkräfte gegen kurdische Stellungen im Grenzgebiet zum Irak, unterstützt durch Luftangriffe der türkischen Armee, gekommen sein soll, wobei die im Irak stationierten US-amerikanischen Streitkräfte, wie deren Sprecher, Generalmajor Jeffrey Buchanan, gegenüber dem US-Sender "Radio Free Iraq" bestätigte, bei der Bekämpfung der PKK die Koordination zwischen dem Irak und der Türkei übernommen hätten [3].

Da die Erklärungen der kurdischen AktivistInnen in Köln ebensowenig veröffentlicht wurden wie die RTL-Verantwortlichen der an sie gerichteten Aufforderung, einen Beitrag über Öcalan zu senden, nachgekommen waren, ist die hiesige Öffentlichkeit in der Frage nach den politischen Hintergründen dieser Aktion auf Spekulationen angewiesen. Daraus ist niemandem ein Vorwurf zu machen. Selbstverständlich will sich ein Sender nicht zu der Veröffentlichung eines ihm aufoktroyierten Beitrags zwingen lassen, wobei der Begriff "zwingen" nicht ganz angemessen erscheint, da die AktivistInnen, von ihrer eigenen, nicht erwünschten Anwesenheit einmal abgesehen, keinerlei Druck- oder Zwangsmittel eingesetzt, Drohungen ausgestoßen oder sonst irgendetwas getan haben, wodurch die Rechte des Senders hätten verletzt werden können.

Da sich die Kurden und Kurdinnen erklärtermaßen für die Freilassung des inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan eingesetzt haben, könnte es sich bei ihnen um Anhänger oder Sympathisanten der auch in Deutschland verbotenen Kurdenpartei gehandelt haben. Damit stünde ihre Aktion in einem politischen und auch juristischen Kontext, der die zum Teil heftigen Reaktionen seitens der Politik erklärbar machen könnte. So hatte beispielsweise Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in einer eigenen Erklärung das Eindringen der PKK-Anhänger in die RTL-Redaktion als Angriff auf die Meinungsfreiheit (!) in Deutschland verurteilt. "Deutschland und EU stufen die PKK als terroristische Organisation ein und haben das auch der Türkei gegenüber immer wieder deutlich gemacht", so Westerwelle [4].

Hätte sich RTL - und sei es, um die friedlichen "Besetzer" zum freiwilligen Abzug zu bewegen - entschlossen, in einer ungewöhnlichen und keineswegs bedrohlichen Situation ungewöhnliche Schritte zu gehen und den besagten Beitrag, sozusagen freiwillig, zu senden, wäre er möglicherweise seinerseits das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung eingegangen. Da die PKK, wie Westerwelle betonte, in Deutschland nicht nur als Partei verboten, sondern als "terroristisch" eingestuft wird in Übereinstimmung damit, daß die Kurdenpartei seit 2002 und der kurdische Volkskongreß Kongra-Gel seit 2004 auch von der Europäischen Union in ihrer sogenannten "Terrorliste" geführt wird, hätte dem Sender ein solcher Schritt als Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung, strafbar nach § 129b StGB, ausgelegt werden können.

Die Erklärung Westerwelles, daß die PKK in Deutschland und der EU als "terroristisch" gelte, ist so zutreffend wie unvollständig, da es gegen diese Listung schon seit Jahren begründete und auch von namhaften Institutionen formulierte Kritik sowohl in genereller wie spezifischer Hinsicht gibt. So hatte die Siebte Kammer des Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg am 3. April 2008 entschieden, daß sowohl die PKK als auch der aus ihr hervorgegangene kurdische Volkskongreß Kongra-Gel zu Unrecht in der Terrorliste der Europäischen Union geführt werden. Die Luxemburger Richter hatten damit den Klagen Osman Öcalans, des Bruders Abdullah Öcalans, sowie des Kongra-Gel-Vorsitzenden Zubeyir Aydar stattgegeben und ihre Entscheidung damit begründet, daß die EU diese Listung nicht ausreichend begründet hätte.

Es war dies keineswegs die erste Entscheidung, mit der der Europäische Gerichtshof die Praxis, Organisationen oder auch Einzelpersonen auf "schwarzen Listen" zu führen, ohne daß diese darüber informiert werden und dagegen Rechtsmittel einlegen können, gerügt hat. Der liberale Schweizer Abgeordnete und Sonderermittler des Europarats, Dick Marty, war in einem Mitte November 2007 vorgelegten Bericht zu dem Ergebnis gekommen, daß ein vager Verdacht ausreiche, um als unbescholtener Bürger auf die Terrorlisten zu kommen. Marty, ehemaliger Vorsitzender des Komitees für rechtliche Angelegenheiten und Menschenrechte des Europarats, hatte in seinem Bericht harsche Kritik geübt und in Hinsicht auf die mit der willkürlichen Aufnahme in die EU-Terrorliste verbundenen massiven wirtschaftlichen Folgen und Einschränkungen der Freizügigkeit von einer "zivilen Todesstrafe" gesprochen.

Der PKK sowie dem Volkskongreß Kongra-Gel hatte die mühsam erstrittene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nicht das Geringste genützt. Der Ministerrat in Brüssel hatte noch am Tag der Verkündung dieser Entscheidung erklärt, daß beide Kurdenorganisationen nicht aus der EU-Terrorliste gestrichen werden würden. Dazu hatte die Verwaltung des EU-Rates eine kafkaeske Begründung geliefert und damit argumentiert, daß die Luxemburger Richter lediglich eine frühere Aufnahme der PKK in die Liste annulliert hätten, weshalb dieses Urteil die Gültigkeit der aktuellen Liste nicht berühre [5]. Bekanntlich wird diese Liste alle sechs Monate neu herausgegeben. Da sich die Klage Osman Öcalans auf die im Jahre 2002 erfolgte Aufnahme der PKK in die EU-Terrorliste bezogen hatte und die zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung aktuell gültige Liste vom Dezember 2007 stammte, müsse die PKK auch nicht, so die Logik der EU-Ratsverwaltung, aus dieser Liste (oder auch weiterer) entfernt werden, weil sich das Urteil des Luxemburger Gerichts auch nur auf die Listung von 2002 bezogen hätte.

Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken, hatte in einer Presseerklärung zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 3. April 2008 die Bundesregierung nicht nur aufgefordert, diese Gerichtsentscheidung umzusetzen und das PKK-Verbot in Deutschland aufzuheben, sondern auch eine grundsätzliche Kritik an der EU-Terrorliste formuliert:

Die undemokratischen Terrorlisten gehören abgeschafft. Denn allein außenpolitische Interessen der EU-Staaten entscheiden darüber, ob eine Gruppierung als terroristische oder Befreiungsbewegung eingestuft wird. Weiterhin dienen die Listen dazu, Konfliktparteien in Bürgerkriegen oder Befreiungskämpfen einseitig als terroristisch an den Pranger zu stellen. Dies erschwert Friedenslösungen etwa im Nahen Osten, auf Sri Lanka oder in Kolumbien.

Dies ist schwerlich von der Hand zu weisen. So hatte beispielsweise die norwegische Regierung schon 2006 erklärt, sich an dem Listenverfahren der EU wegen ihrer Rolle als unabhängiger Vermittler bei Friedensverhandlungen nicht mehr zu beteiligen. Die Berliner Rechtsanwältin Jutta Hermanns hatte sich in einer Stellungnahme zu einer Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts an den Europäischen Gerichtshof zum Thema "Der Terrorismusvorbehalt im Flüchtlingsrecht am Beispiel der PKK" am 9. März 2010 unter anderem auch mit der Position der deutschen Bundesregierung zu diesem Thema beschäftigt und dabei klargestellt, in welch hohem Maße die Frage, ob eine Organisation als "terroristisch" einzustufen sei oder nicht, von den außenpolitischen Absichten und Interessen Berlins abhänge. Unter Punkt 1. ("Die Ansicht der Bundesregierung und des BVerwG") hatte Hermanns in dieser Stellungnahme des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte-Vereins die Haltung der deutschen Bundesregierung folgendermaßen skizziert [6]:

Das Problem der Aussage "Des einen Terrorist ist des anderen Freiheitskämpfer", welchem man zukünftig womöglich bei Erfolg des entsprechenden Kampfes als politischem Repräsentanten eines neuen politischen Gebildes in diplomatischen Beziehungen gegenüberstehe, sei der Bundesregierung sehr wohl bewusst. Nicht jeder bewaffnete Kampf würde daher als "terroristisch" eingestuft.

Dies mag auch einer der Gründe sein, warum es bis heute keine international verbindliche Definition des Terrorismusbegriffs gibt, würde diese doch dessen Brauchbarkeit als politisches Schwert, das je nach außenpolitischem Eigeninteresse gegen eine unter bestimmten Umständen auch bewaffnet kämpfende Organisation eingesetzt wird oder eben nicht, verlieren. Die Rechtsanwältin deutete in Hinsicht auf die PKK an, welche Interessen und außenpolitischen Absichten Deutschlands wie auch der EU daran beteiligt sein mögen, daß die Kurdenpartei illegalisiert bleibt [6]:

Die so genannten EU- und VN-Terrorlisten werden auf "Zuruf" einzelner Staaten und/oder Staatengruppen je nach politischer oder diplomatischer Befindlichkeit gefertigt, wobei meistens die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den jeweiligen Regierungen der Herkunftsländer der betroffenen Organisationen eine erhebliche Rolle spielen (z.B. Türkei als viel gerühmter Wirtschafts- und Nato-Partner). In allen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes die EU-Terrorliste betreffend wurde betont, dass diese Listen unter völliger Missachtung rechtsstaatlicher Mindeststandards zu Stande kommen und damit willkürlich sind.

So gibt es durchaus Organisationen oder auch Rebellenbewegungen, die keineswegs als "terroristisch" stigmatisiert werden und sich sogar auf tatkräftige Unterstützung durch die NATO verlassen können wie beispielsweise die libyschen Aufständischen. Bewaffnet kämpfende Ghaddafi-Gegner liefen, da sie aus Sicht der westlichen Staaten einen in deren Interesse liegenden Krieg führen, nie und nimmer Gefahr, in die EU-Terrorliste aufgenommen zu werden. Mit den rund 30 kurdischen AktivistInnen, die durch ihre Aktion in der Kölner RTL-Zentrale den Versuch unternommen haben, den Kurdenkonflikt in der Türkei zumindest für einen kurzen Moment in das grelle Scheinwerferlicht einer Medienwelt zu holen, die sich in der Berichterstattung über diesen Krieg weitestgehend zurückhält, hat die Frage nach der Listung der PKK nach Lage der Dinge sehr viel zu tun. Gäbe es dieses Verdikt (und das PKK-Verbot) nicht, könnten kurdische AktivistInnen hierzulande ihre demokratischen Rechte in Anspruch nehmen und politisch wie medial arbeiten, um auf die Situation des kurdischen Volkes im NATO-Staat Türkei aufmerksam zu machen.

Anmerkungen

[1] Polizeieinsatz. Polizei soll RTL-Sendezentrale gestürmt haben. Im Westen, 28.09.2011, DerWesten
http://www.derwesten.de/nachrichten/im-westen/Polizei-soll-RTL-Sendezentrale-gestuermt-haben-id5110635.html

[2] Kurdische Arbeiterpartei. PKK-Anhänger besetzen RTL-Gebäude in Köln, 28.09.2011 - 18:43,
http://www.rp-online.de/panorama/deutschland/PKK-Anhaenger-besetzen-RTL-Gebaeude-in-Koeln_aid_1024886.html

[3] Angst vor Giftgas. Iran und Türkei setzen Offensive gegen kurdische PKK-Guerilla fort. Von Nick Brauns, junge Welt, 06.09.2011, S. 6

[4] Köln. PKK-Sympathisanten besetzen RTL-Redaktion, Der Tagesspiegel, 28.09.2011 - 20:28 Uhr,
http://www.tagesspiegel.de/politik/pkk-sympathisanten-besetzen-rtl-redaktion/4670560.html

[5] EU-Info.Deutschland. PKK bleibt trotz Gerichtsurteil auf europäischer Terrorliste, 03.04.2008 - 18:07,
http://www.eu-info.de/dpa-europaticker/130596.html

[6] Stellungnahme zur Vorlage des BVerwG an den EuGH. Der Terrorismusvorbehalt im Flüchtlingsrecht am Beispiel der PKK - Mündliche Verhandlung vor dem EuGH zum Thema "Terrorismusvorbehalt" im Asylrecht am 9. März 2010 um 9:00 Uhr, von Jutta Hermanns, Rechtsanwältin. Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein, 11.02.2010,
http://www.rav.de/publikationen/mitteilungen/mitteilung/der-terrorismusvorbehalt-im-fluechtlingsrecht-am-beispiel-der-pkk-muendliche-verhandlung-vor-dem-eugh-zum-thema-terrorismusvorbehalt-im-asylrecht-am-9-maerz-2010-um-900-uhr-108/


1. Oktober 2011