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DILJA/1289: Ecuador vor Zerreißprobe - Präsident Correa verprellt die eigene Basis (SB)


Sind die Verfassungsrechte der Ureinwohner Ecuadors schon Makulatur?

Kampfansage Präsident Correas an den Autonomieanspruch der indigenen Völker, die ihn ins Amt gebracht haben


Am 16. Januar 2010, dem dritten Jahrestag seines Amtsantritts, wurde Rafael Correa Delgado noch frenetisch gefeiert. Nach amtlichen Schätzungen kamen über 150.000 Menschen in der Stadt Ambato zusammen, um diesen Anlaß mit dem Präsidenten feierlich zu begehen. Correa ließ es sich nicht nehmen, die bisherigen Versprechen durch markige Worte zu erneuern. "Wir sind Revolutionäre und bereit, unser Leben für die Veränderung dieses Landes einzusetzen", rief er nach Angaben der staatlichen Presseagentur Andes den Demonstranten zu [1]. Seine Regierung, so Correa, arbeite "für die Armen, für die Jugendlichen, für die indigenen Völker" des Landes. Die in seiner bisherigen Amtszeit erzielten sozialen Fortschritte stehen nicht in Frage, wohl aber die Bereitschaft des Präsidenten und seiner Regierung, die mit der 2008 verabschiedeten Verfassung auf den Weg gebrachte Neugründung des Staates in Hinsicht auf eine tatsächliche Partizipation des Staatsvolkes und den Aufbaus eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" tatsächlich zu gewährleisten.

Dem (Verfassungs-) Papier nach scheint Ecuador der in dieser Hinsicht am weitesten fortgeschrittene Staat Lateinamerikas zu sein, wurde doch in Ecuador als erstem Staat des Kontinents im Juli 2008 von der Verfassungsgebenden Versammlung eine Verfassung angenommen, in der der "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" verankert wurde. Dies stellte einen weiteren großen Erfolg Präsident Correas dar und war bestens geeignet, in allen bislang nicht privilegierten Klassen des Landes begründete Hoffnungen zu wecken. Nachdem der Verfassungsentwurf per Referendum durch eine Zweidrittelmehrheit von 64 Prozent angenommen worden war, hatte Präsident Correa das "Ende dieser unheilvollen neoliberalen Zeit" verkündet und erklärt, Ecuador habe sich entschieden, "sich in ein neues Land zu verwandeln, und die alten Strukturen besiegt".

Mittlerweile steht jedoch zu befürchten, daß dieser Präsident, so als läge ein Fluch auf ihm bzw. dem Amt, eine innere Kehrtwende vollzogen hat und weitaus mehr verspricht und in Aussicht stellt, als er tatsächlich in der praktischen Regierungsarbeit umzusetzen bereit ist. Am krassesten läßt sich die Kluft zwischen Regierendem und Regierten, die dem Wortlaut der Verfassung und den vollmundigen Erklärungen des Präsidenten entgegen nach anfänglichen sozialen Erfolgen inzwischen erheblich angewachsen ist, an den Ergebnissen eines Gipfeltreffens der "Bolivarische Allianz für die Völker Unseres Amerikas" (ALBA) ablesen, wie das im Dezember 2004 von Kuba und Venezuela ins Leben gerufene Staatenbündnis genannt wird, dem bis 2008 auch Bolivien, Nicaragua, der Karibikstaat Dominica und, wenn auch inzwischen durch die dortigen neuen Machthaber wieder aufgekündigt, Honduras beigetreten sind.

Im Juni 2009 folgten die Beitritte Ecuadors und weiterer Karibikstaaten; inzwischen nimmt auch der neue Präsident Paraguays, Fernando Lugo, als Beobachter an allen ALBA-Treffen teil. Im Falle Ecuadors mutet der späte Beitritt etwas seltsam an, zumal schon zwei Jahre zuvor Präsident Correa, seines Zeichens Wirtschaftswissenschaftler mit (einst) neoliberaler Ausrichtung, die "Revolution der Bürger" in Ecuador angekündigt hatte, nachdem seine Partei País beim Verfassungsreferendum mit einer absoluten Mehrheit einen klaren Sieg errungen hatte. Dabei waren alle Weichenstellungen, die die derzeitige Linksentwicklung lateinamerikanischer Staaten kennzeichnen, nämlich ein Bekenntnis zum Sozialismus und, nicht minder wesentlich, eine Umgestaltung des Staatsapparates hin zu einer Demokratie mit stark partizipativen und immer weniger repräsentativen Elementen, auch in Ecuador getätigt worden. Um die demokratische Teilhabe seiner Bürger zu gewährleisten, wurde in Ecuador wie schon in Venezuela eine Abwahlmöglichkeit aller Repräsentanten auch vor Ablauf ihrer Mandatszeit eingeführt.

Die Basis der von Correa ausgerufenen oder vielmehr versprochenen "Bürgerrevolution" bilden die sozialen Bewegungen und Basisorganisationen des Landes, unter denen die Konföderation indigener Nationalitäten Ecuadors (CONAIE) eine maßgebliche Rolle einnimmt. Allerdings ist Präsident Correa nicht "ihr" Präsident, wie etwa Evo Morales in Bolivien nicht nur der erste indigene Präsident des Landes, sondern ganz Lateinamerikas ist. Gleichwohl wäre Correa nicht ohne die Mobilisierung und Unterstützung der Campesino- und Indioorganisationen ins Amt gelangt, was allerdings weniger daran liegt, daß er sich zum bedingungslosen Fürsprecher ihrer Anliegen und Positionen gemacht hätte, sondern daran, daß die Basisbewegungen Ecuadors bereits über eine langjährige politische Praxis und Mobilisierung verfügten, hatten sie sich doch dem neoliberalen Ausverkauf des Landes und seiner Reichtümer seit dem Jahre 2000 massiv widersetzt, was vor Correa zum Sturz nicht weniger Präsidenten geführt hatte.

Correa hatte sich ohne eine breite eigene politische Basis als Präsidentschaftskandidat ins Gespräch gebracht und im November 2006 tatsächlich die Stichwahl gewinnen können, weil es ihm wie keinem anderen Kandidaten gelungen war, die mit dem politischen Status Quo zutiefst unzufriedene Bevölkerung - inklusive der sogenannten Indigenen - für sich zu gewinnen, schien er doch ihre Sprache zu sprechen bzw. ihre politischen Ziele zu formulieren. Nach venezolanischem Vorbild hatte auch der bekennende Katholik Correa versprochen, das Land durch eine neue Verfassung "neu zu gründen". Hinzu kamen, zumindest in den ersten Jahren seiner Regierungszeit, soziale Erfolge, durch die er seine Position stärken konnte. Eine kostenlose Basis-Gesundheitsversorgung wurde eingeführt. Fast 150.000 Sozialwohnungen wurden gebaut, die Analphabetenrate konnte auf unter drei Prozent gesenkt werden. Die Produktion in kleinen und mittleren Betrieben wird vom Staat gefördert, um dem hemmungslosen Raubbau insbesondere an den Rohstoffen des Landes entgegenzuwirken.

Die Regierung von Präsident Correa fährt dabei einen etwas eigenwilligen, um nicht zu sagen ambivalenten Kurs. Einerseits brüskiert sie die USA, in dem sie der nordamerikanischen Großmacht die weitere Nutzung militärischer Stützpunkt untersagt. Einen uneingeschränkten Schulterschluß mit den als "Linksstaaten" in der westlichen Welt bestens verschrieenen ALBA-Staaten vollzog sie gleichwohl nicht. So achtete Quito peinlich genau darauf, keine größeren Gelder von Venezuela anzunehmen. Die Forderung der eigenen Bevölkerung nach einer Wiedereinführung der landeseigenen Währung Sucre stößt bei Präsident Correa auf taube Ohren, obwohl gerade die "Dollarisierung" des Landes eng mit dessen im ganzen Land so verhaßten Neoliberalisierung Hand in Hand gegangen war. Ein besonderer Konfliktstoff liegt in den unterschwelligen Spannungen zwischen Präsident und Regierung auf der einen sowie den indigenen Bewegungen auf der anderen Seite.

Noch zu Beginn dieses Jahres hatte die Regierung Correa international für positive Schlagzeilen gesorgt durch eine schon vor über zwei Jahren begonnene Initiative, um im Konflikt zwischen Erdölausbeutung und den Lebensinteressen indigener Völker letzteren den Zuschlag zu geben. Konkret war es um die Nutzung oder vielmehr Nicht-Nutzung dreier großer Erdölfelder in einem Gebiet im Amazonasbecken gegangen, einem Naturreservat, das vom Volk der Yasuni als ihr Lebensraum betrachtet wird. Noch beim Kopenhagener Klimagipfel hatte die Regierung Ecuadors mit ihrem Vorhaben, anstelle des Erdölabbaus in diesem Gebiet einen Entwicklungsfonds zu gründen, an dem sich 27 Geberländer beteiligen könnten, für Furore gesorgt. Inzwischen jedoch hat Präsident Correa eine Kehrtwende vollzogen, was zum Bruch zwischen ihm und einigen seiner engsten Mitarbeiter und Weggefährten führte; Außenminister Fander Falconi erklärte sogar seinen Rücktritt.

Eine ernüchternde Zwischenbilanz hat die Konföderation indigener Nationalitäten Ecuadors (CONAIE) nach den ersten Regierungsjahren dieses Präsidenten längst gezogen. Sie hat die Zusammenarbeit mit der Zentralregierung aufgekündigt, weil sie ihr vorwirft, eigenmächtig über alle wesentlichen Fragen zu Ressourcen, Wasser und Landrechten wie auch in den Bereichen Justiz, Bildung und Gesundheit zu entscheiden und damit die zuvor ausgerufene "Bürgerrevolution" mißachtet zu haben. Aus diesen Gründen hat CONAIE die von der Nationalregierung erlassenen Gesetze für null und nichtig erklärt und dies an der mangelnden Mitsprache aller anderen gesellschaftlichen Sektoren festgemacht. Seit Herbst vergangenen Jahres gibt es wieder direkte Proteste der indigenen Bevölkerung gegen Regierung und Präsident. Ein von diesem in Aussicht gestellter "Runder Tisch" zur Lösung der Probleme erwies sich als Hinhaltemanöver, und so war auf dem CONAIE-Nationalkongreß vom 25./26. Februar der Dialog mit der Regierung für beendet erklärt und, in Etappen, zum plurinationalen Aufstand aufgerufen worden.

Ende Juni wurde - ausgerechnet - in Ecuador ein ALBA-Gipfeltreffen abgehalten, auf dem es um die Situation und die Rechte der indigenen Völker ging. In Otavolo, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates Ecuadors, meldeten sich die indigenen Organisationen des Landes zu Wort, um ihre Kritik an der Regierung Correa deutlich zu machen. Dabei stellte sich heraus, daß die Unzufriedenheit und die Proteste der Basisgruppen des Landes nicht per se damit zu begründen sind, daß diese mit dem Stand der Reformpolitik nicht zufrieden wären. Zwar sind die Bestrebungen, die in den ersten Regierungsjahren zu deutlichen sozialen Verbesserungen geführt haben, inzwischen deutlich erlahmt, doch das allein wäre kaum Grund genug für die Organisationen der Indigenen, aber auch der Mestizen, Weißen und Afroecuatorianer, kurzum, der bisher ausgegrenzten Bevölkerungsmehrheit, der Regierung die Zusammenarbeit aufzukündigen. Unter sehr vielen Menschen herrscht die Auffassung vor, daß das ehrgeizige, in der neuen Verfassung verankerte Projekt, das Land in den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" überzuführen, auf keinen Fall ohne die aktive Beteiligung und Unterstützung des Volkes verwirklicht werden könne, und eben diesen Konsens hat Präsident Correa aufgekündigt.

Am Rande des ALBA-Gipfeltreffens in Otavalo fand die CONAIE-Sprecherin und frühere Ministerin im Kabinett um Präsident Correa, Monica Chuji, dazu deutliche Worte. In einem in der jungen Welt veröffentlichten Gespräch [2] stellte sie klar, welche Erwartungen ALBA geweckt hatte und wie es darum aus Sicht der Indigenen Ecuadors bestellt ist:

Die indigenen Nationalitäten und Völker Ecuadores fehlten bei dieser Veranstaltung. Ich denke, die ALBA hat durchaus Sinn als eine nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Integration, wie sie Präsident Chávez zu Beginn vorgestellt hat. Deshalb hatte ALBA Erwartungen geweckt, und tatsächlich glaube ich, daß eine regionale Integration in jeder Hinsicht notwendig ist, um der Krise und anderer weltweiter Phänomene zu begegnen. Aber wir sehen nun, daß diese Integration ohne die Handelnden durchgeführt werden soll, die den Staaten erst ihren Sinn geben. Ich meine damit die indigenen Völker und die Zivilgesellschaft ganz generell. Leider hat das Treffen meine Befürchtungen bestätigt. Die Präsidenten werden ihr Wirtschaftsmodell nicht verändern, so daß die Indígenas die Opfer bleiben.

Zur Sprache kamen natürlich auch die jüngsten Proteste der Indigenen gegen die Regierungspolitik Präsident Correas, der auf die anwachsende Kritik seinerseits mit Schärfe und keineswegs Dialogbereitschaft reagierte. Dabei ging er soweit, den Organisationen, die diese Proteste organisierten, vorzuwerfen, sie seien dem Extremismus verfallen und wollten einen Staat im Staate schaffen, wozu die CONAIE-Sprecherin zu bedenken gab [2]:

Gerade in diesen Vorwürfen und Praktiken ähnelt er der Regierung von Lucio Gutiérrez und seinen anderen neoliberalen Vorgängern, aber auch, und das ist das Schlimmste, Perus Präsident Alan García und Kolumbiens Uribe. Es gibt in den indigenen Protesten keinerlei Extremismus, sondern es geht um einen Ausweg aus der sozialen, Wirtschafts- und Umweltkrise.

Monica Chuji war in der Anfangszeit der Regierung Correa als Kommunikationsministerin beigetreten, hatte jedoch wenige Monate später ihren Rücktritt erklärt. Gewählt in die Verfassungsgebende Versammlung, hatte sie auch dort begreifen müssen, daß ihre (CONAIEs) Vorschläge benutzt wurden, "um uns zu neutralisieren" [2]. Dabei fordert die Dachorganisation nichts anderes als eine Selbstverwaltung der Indigenen im Rahmen der nationalen Verfassung. Doch keineswegs ist dieser Konflikt ein originär "indigener", sondern berührt das Kernverhältnis zwischen dem Staat und allen seinen Bürgern. Nach Auffassung von CONAIE braucht ein Staat "starke und von den Regierungen unabhängige gesellschaftliche Organisationen", "die ihre Rechte verteidigen" [2].

Da solche Auffassungen jedoch, obwohl sie ohne weiteres als zutiefst demokratisch bewertet werden können, von Präsident Correa als staatsfeindlich ausgelegt und ihre Befürworter diskreditiert und kriminalisiert zu werden drohen, steht dem Land eine Zerreißprobe bevor, deren Wurzeln in der mangelnden Bereitschaft der derzeitigen Regierung, den zumindest dem Worte nach auch von ihr eingeleiteten gesellschaftlichen Umwandlungsprozeß konsequent fortzusetzen, verortet werden können.

Anmerkungen

[1] Correa feiert drei Jahre Regierung, junge Welt, 18.01.2010, S. 7

[2] "Wir wollen uns selbst regieren". Ecuadors Indígenas werfen der Regierung vor, die Wirtschaftspolitik ihrer neoliberalen Vorgänger fortzusetzen. Ein Gespräch mit Monica Chuji, von André Scheer, junge Welt, 1.7.2010, S. 2

14. Juli 2010