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DILJA/1284: Kolumbianische Geheimdienstoperationen in Europa - und die EU schweigt (SB)


Dokumente des kolumbianischen Geheimdienstes DAS belegen eine "Operation Europa"

Untätigkeit der europäischen Behörden läßt stillschweigende Kooperation vermuten


Bereits vor einigen Wochen berichtete die belgische Zeitung "Le Soir", daß der kolumbianische Geheimdienst DAS, der direkt unter dem Befehl des rechtsgerichteten Präsidenten Alvaro Uribe steht, in Belgien Kritiker und Gegner des inzwischen zwischen der Europäischen Union und Kolumbien vereinbarten Freihandelsabkommens überwacht hätte, um gezielt gegen sie vorgehen zu können. Eine solche Meldung hätte einen Sturm der Entrüstung, politische Stellungnahmen und womöglich sogar polizeiliche Ermittlungen nach sich ziehen müssen, beinhalteten sie doch nicht weniger als die Aktivität eines ausländischen Geheimdienstes zu Lasten und zum Nachteil europäischer Bürger. Bezeichnenderweise ist es jedoch im internationalen Blätterwald, von wenigen Ausnahmen abgesehen, diesbezüglich ebenso still geblieben wie auf den offiziellen Bühnen der europäischen Hauptstädte und insbesondere Brüssels als dem Sitz der selbst betroffenen EU.

Zum besseren Verständnis des Vorfalls sei angemerkt, daß die von der belgischen Zeitung aufgegriffenen Enthüllungen auf im Auftrag der kolumbianischen Staatsanwaltschaft beim kolumbianischen Geheimdienst sichergestellte Dokumente zurückzuführen sind. Wie der Berliner Tagesspiegel in seiner Online-Ausgabe am 2. Mai 2010 berichtete [1], werden in Kolumbien nicht nur Angehörige der politischen Opposition und Gewerkschafter unter der Verantwortung Präsident Uribes vom Geheimdienst überwacht und drangsaliert. Mitarbeiter des DAS hätten sogar den Obersten Gerichtshof Kolumbiens auszuspionieren versucht, was diesen im April veranlaßte, die Staatsanwaltschaft einzuschalten. Diese habe bei Razzien in den Räumen des Geheimdienstes, so der Tagesspiegel, einen "Sensationsfund" gemacht und Dokumente sichergestellt, aus denen die durchgeführten Operationen zur Diskreditierung politischer Gegner hervorgingen.

Präsident Uribe streitet ab, über diese Aktivitäten Bescheid gewußt zu haben. Die Dokumente, denen zufolge der DAS eine "Dependance" in Brüssel unterhalten haben soll oder noch immer unterhält, wurden der Wochenzeitung "La Semana" zugespielt. Spätestens an dieser Stelle wird der zuvor vielleicht noch ausschließlich "kolumbianische" Skandal zu einem europäischen, soll doch der Geheimdienst Kolumbiens in Brüssel Informationen über Abgeordnete gesammelt haben, die gegenüber Kolumbien eine kritische Haltung einnehmen und das inzwischen zwischen der EU und Bogotá vereinbarte Freihandelsabkommen hätten gefährden können.

So wird in den sichergestellten Papieren als Ziel geheimdienstlicher Operationen der Sparte "Verleumdung" und "Sabotage" unter anderem auch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf sowie der Menschenrechtsausschuß des Europäischen Parlaments genannt. Der Radiosender RCN will erfahren haben, daß sich unter den Dokumenten ein mit "Europäisches Parlament" beschrifteter Ordner befunden haben soll. Von einer offiziellen Protestnote der EU-Behörden ist bis heute in dieser Sache nicht das Geringste zu vernehmen. Allem Anschein nach scheinen sie den Sachverhalt, der immerhin auf staatsanwaltlichen Untersuchungen in Kolumbien beruht, nicht für relevant zu halten. Weder werden EU-Abgeordnete, die als potentielle Zielpersonen derartiger Geheimdienstoperationen ein begründetes Aufklärungsinteresse haben, über diese Enthüllungen in Kenntnis gesetzt, noch wird die europäische Öffentlichkeit informiert.

Barbara Lochbihler, langjährige Deutschlandchefin der Gefangenenhilfsorganisation amnesty international und jetzige Europaabgeordnete der Grünen, arbeitet in dem genannten Menschenrechtsausschuß des Europaparlaments und gehört damit fraglos zu den potentiellen Zielpersonen. In einer am 28. April veröffentlichten Pressemitteilung [2] nahm Lochbihler folgendermaßen Stellung:

Die kolumbianische Regierung muss offen legen, in welcher Form der Geheimdienst gegen Nichtregierungsorganisationen und Politiker vorgegangen ist, um Entscheidungen des EU-Menschenrechtsausschusses und anderer internationaler Institutionen zu beeinflussen und zu diskreditieren. Was steckt hinter den in den veröffentlichten Unterlagen erwähnten Begriffen "Verleumdung" und "Sabotage"? Existieren bei der DAS tatsächlich Listen von Abgeordneten des Europäischen Parlaments, die sich für bzw. gegen die kolumbianischen Regierung ausgesprochen haben?

An die Adresse der EU gerichtet wollte die Grünen-Abgeordnete die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit Kolumbien davon abhängig gemacht sehen, ob Bogotá die Affäre zuvor wie von ihr verlangt aufklärt:

Am 18. Mai soll auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru unterschrieben werden. Die EU darf dieses Abkommen auf keinen Fall unterzeichnen, bevor diese Affäre restlos aufgeklärt ist.

Die EU hat das Abkommen unterzeichnet, ohne daß die Affäre auch nur im mindesten aufgeklärt und bereinigt worden wäre. Daraus muß im Umkehrschluß die Folgerung gezogen werden, daß die Operationen und Aktivitäten des kolumbianischen Geheimdienstes - von der Erfüllung des Ziels, die Unterzeichnung des Abkommens gegen etwaige Kritiker durchzusetzen, aus rückwärts argumentiert - offensichtlich erfolgreich waren. Denn Anlaß zur Kritik bietet die kolumbianische Regierung in Hülle und Fülle. Wie dem am 10. Juni in Genf veröffentlichten jüngsten Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILA) zu entnehmen ist, wurden in Kolumbien im vergangenen Jahr 48 Gewerkschafter umgebracht. Entgegen anderslautender Behauptung der Regierung Uribe setzt das südamerikanische Land seine seit langem bestehende Todesschwadronenpolitik insbesondere gegen Gewerkschafter fort und nimmt in dieser Hinsicht weltweit einen unangefochteten Spitzenplatz ein.

Von weltweit 101 ermordeten Gewerkschaftern stammen 48 aus Kolumbien. Weitere Staaten Lateinamerikas mit einer Rechtsregierung zur Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftskonzepte folgen, so wurden in Guatemala 16 und in Honduras (nach dem Putsch vom Sommer vergangenen Jahres) 12 Gewerkschaftsvertreter getötet. Guy Rider, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), erklärte anläßlich dieser Zahlen: "Kolumbien war wieder das Land, in dem der Einsatz für die grundlegendsten Arbeiterrechte häufiger als irgendwo anders zum Tod führt, auch wenn die Public-Relation-Maschine der Regierung etwas anderes behauptet." Wichtigster Handelspartner Kolumbiens sind derzeit noch immer die USA mit 35 Prozent, während die EU mit 13 Prozent und einer zunehmenden Tendenz an zweiter Stelle steht. In Washington allerdings hält man sich diesbezüglich bedeckt. Schon im Februar haben die USA, aber auch Norwegen und Kanada Verhandlungen mit Kolumbien über den Abschluß eines Freihandelsabkommens auf Eis gelegt.

Jetzt erst recht, mögen sich die EU-Verantwortlichen gesagt haben. Am 22. Februar nahmen Vertreter der EU-Kommission und der kolumbianischen Regierung abschließende Verhandlungen über das auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid dann im Mai unterzeichnete Freihandelsabkommen auf. Diese Vereinbarung bietet Kolumbien den wirtschaftlichen Vorteil, die eigenen Waren zollfrei in die EU einführen zu dürfen, während im Gegenzug europäische Konzerne zu für sie günstigen Bedingungen in Kolumbien investieren können. Die tatsächliche Interessenallianz dürfte jedoch über die damit angedeutete wechselseitige wirtschaftliche Vorteilsnahme und -gewährung weit hinausgehen und ihre eigentliche Sinnerfüllung in der Wiederbelebung einer, wenn man so will, antikommunistischen Achse liegen. Kolumbien ist der Stützpfeiler westlich-imperialistischer Interessen in Lateinamerika und fungiert als Brückenkopf in einem Kontinent, dessen Linksentwicklung aus Sicht der dadurch herausgeforderten "alten kapitalistischen Welt" längst die tolerierbare Grenze überschritten hat.

Von daher "muß" aus Sicht der EU, aber auch der USA, die diesbezüglich nur diskreter vorgehen, Kolumbien in seiner jetzigen politischen Gestalt erhalten bleiben, wozu das sogenannte Freihandelsabkommen selbstverständlich seinen Beitrag leisten wird. Die Frage, ob etwaige Einschüchterungsmaßnahmen des kolumbianischen Geheimdienstes gegenüber kritischen EU-Abgeordneten überhaupt erforderlich waren oder ob die Stimmen, die im EU-Ministerrat und im Europäischen Parlament gegen dieses Abkommen hätten votieren wollen, ohnehin so wenige waren, daß dessen Zustandekommen zu keinem Zeitpunkt gefährdet war, ist letzten Endes unerheblich.

In Kolumbien sind seit den 1990er Jahren über 2300 Gewerkschafter ermordet worden, vornehmlich durch Paramilitärs, zu denen dem jetzigen Präsidenten Alvaro Uribe eine gewisse Nähe nachgesagt wird. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) merkte in einem Bericht der Frankfurter Rundschau dazu an, daß zwei Dritteln der Arbeitnehmer in Kolumbien elementarste Arbeits- und Sozialrechte vorenthalten werden. Kein Problem für die EU-Oberen, die sich den Anschein geben, als glaubten sie, daß der mit Kolumbien geschlossene Freihandelsvertrag die dortige Lage würde entspannen können. So erklärte ein Sprecher des zuständigen EU-Kommissars Karel De Gucht [3], die kolumbianischen Behörden hätten eine Reihe von Fortschritten bei den Menschen- und Arbeitsrechten erreichen können, außerdem "macht es keinen Sinn, Kolumbien zu isolieren".

Auf Gewerkschaftsseite sieht dieser "Sinn" natürlich anders aus. IG-Metall-Chef Berthold Huber hatte im Februar gewettert [3], daß ein "Handelsabkommen mit Kolumbien ein Schlag ins Gesicht der kolumbianischen und der globalen Gewerkschaftsbewegung" wäre, während der Europäische Gewerkschaftsbund vorhersagte: "Wenn die internationale Gemeinschaft nicht handelt, werden in Kolumbien weiter Gewerkschafter sterben." Dem kann nicht widersprochen werden. Die Behauptung der EU, es mache keinen "Sinn", Kolumbien "zu isolieren", sollte um der politischen Deutlichkeit willen allerdings ersetzt werden durch den Satz: Es liegt nicht im Interesse der EU, Maßnahmen gegen die Rechtsregierung Kolumbiens und damit das in dem südamerikanischen Land seit langem etablierte paramilitärische Todesschwadronensystem zu ergreifen. Weiterer Kommentar überflüssig.

Anmerkungen

[1] Spione aus Kolumbien im EU-Parlament? von Christopher Ziedler, 02.05.2010,
http://www.tagesspiegel.de/politik/spione-aus-kolumbien-im-eu-parlament-/1812340.html

[2] Kolumbien muss Geheimdienstaffäre mit dem Europäischen Parlament sofort aufklären, Pressemitteilung von Barbara Lochbihler vom 27. April 2010,
http://www.barbara-lochbihler.de/presse-oeffentlichkeit/pressemitteilungen/kolumbien-muss-geheimdienstaffaere-mit-dem-europaeischen-parlament-sofort-aufklaeren.html

[3] EU-Abkommen mit Kolumbien. Freier Handel trotz scharfer Schüsse, von Werner Balsen, Frankfurter Rundschau online, 22.2.2010,
http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/aktuell/2339008_Freier-Handel-trotz-scharfer-Schuesse.html

15. Juni 2010