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DILJA/1275: Kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft - Soziale Hochspannung in Südafrika (SB)


Die sozialen und politischen Spannungen Südafrikas treten offen zu Tage

Die bevorstehende Fußball-Weltmeisterschaft heizt die Lage weiter an


Ein Grund zur Freude? Zum ersten Mal in der langen Geschichte dieses Sports westlicher Provenienz wird eine Fußball-Weltmeisterschaft auf dem afrikanischen Kontinent ausgetragen, genauer gesagt in dem Südafrika der Nachapartheids-Ära, das sich als "Regenbogennation" weltweit einen so guten Namen gemacht hat wie der des vorherigen Rassistenregimes nur schlecht sein kann. Wenn "die Welt" nun, wie es in der das internationale Geschäft um veröffentlichte Meinungen und Informationen dominierenden westlichen Presse hieß, nun "nach Südafrika blickt", scheint eitel Sonnenschein angesagt zu sein. Von einem neuen Selbstbewußtsein Afrikas ist ebenso die Rede wie von einer Vorbildfunktion des heutigen Südafrikas, das, zumindest nach westlichen Vorstellungen und Interessenlagen, den Prototyp einer politischen und wirtschaftlichen Ordnung darstellt, der ob seiner vermeintlichen Erfolge geradezu alternativlos den übrigen Staaten des Kontinents und insbesondere der Elendszone des südlichen Afrikas zum Vorbild gereicht.

Das Interesse der westlichen Staatenwelt an einer Fußball-WM, die sich als Höhepunkt und weltweit sichtbarer Beweis dieser Erfolgsstory vermarkten und präsentieren läßt, korrespondiert mit der Bereitschaft der heutigen ANC-Regierung unter Präsident Jacob Zuma, sich die Ausrichtung eines solchen sportlichen Großereignisses ans Revers zu heften und damit der Welt, der eigenen Bevölkerung sowie den übrigen Staaten des Kontinents vor Augen zu führen, daß das heutige Südafrika es geschafft hat, ganz vorne in der Welt anzukommen und in ihr eine der ersten Geigen zu spielen. Wie hätte ein Quasi-Entwicklungsland, das infolge seiner jahrhundertelangen Kolonialisierung und deren neuzeitlichem Appendix, sprich der Apartheid, in seiner gesellschaftlichen Entwicklung gewaltsam behindert und zurückgeworfen worden war, die nicht unerheblichen finanziellen Belastungen, die mit der Ausrichtung einer Fußball-WM einhergehen, schultern können, wäre es noch immer die vom Apartheidsregime zugerichtete Nation der Hungerleider und Taugenichtse?

Die "Welt" mag in diesen Tagen auf Südafrika "blicken", doch mit Sicherheit geht das mediale Interesse am vermeintlichen Fußballfieber in der Regenbogennation nicht mit der Bereitschaft einher, nach der politischen und sozialen Realität des Landes und den immensen, noch immer unbewältigten Folgen früherer Gewaltherrschaft sowie den daraus resultierenden innenpolitischen Konflikten auch nur zu fragen. Der schöne Schein soll um nahezu jeden Preis gewahrt und gepflegt werden unter aktiver Beteiligung der heutigen südafrikanischen Regierung, bei der es sich eigentlich um die sogenannte "Dreierallianz" handelt, das Bündnis zwischen dem Afrikanischen National Kongreß (ANC), der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) und dem größten Gewerkschaftsdachverband des Landes COSATU. Diese drei Organisationen stellen eine organische Einheit dar, deren Wurzeln tief in der Geschichte des Antiapartheidkampfes liegen, der keinewegs vom ANC allein, sondern eben dieser Dreierallianz soweit geführt wurde, daß es 1990 zu einer Verhandlungslösung mit dem Apartheidsregime und 1994 zu ersten freien Wahlen kam.

In Hinsicht auf diese Allianz, die nach diesem Wandel in die Regierungsverantwortung rückte, von einer Einheit zu sprechen, ist ungeachtet der organisatorischen Unabhängigkeit ihrer drei Bestandteile geboten, um dem Mißverständnis, daß es sich um einen mehr oder minder zweckgebundenen Zusammenschluß von eigentlich miteinander um die Wählergunst konkurrierenden Parteien handeln könnte, entgegenzutreten. Da der Kampf gegen das Apartheidsregime ein- und derselbe war und die politischen Schwerpunkte der Gewerkschaften, der kommunistischen Bewegung und des Nationalkongresses zwar unterschiedlich gewichtet worden sein mögen, jedoch nicht zueinander konträr standen, waren und gehören sehr viele "Comrades", Parteigenossen, Anhänger und Aktivisten nicht nur dem ANC, sondern zugleich auch einem der Allianzpartner an.

Wenn es gleichwohl in den bisherigen Jahren der Nachapartheidszeit zu zum Teil erheblichen und in der Tendenz sogar noch anwachsenden Spannungen beispielsweise zwischen der ANC-Führung und COSATU gekommen ist, sind diese kaum zu vergleichen mit dem parteipolitischen Geplänkel, wie es etwa zwischen SPD und CDU/CSU auszumachen ist, sobald die deutschen Großparteien sich zu einer großen Koalition zusammenfinden (müssen), sondern müssen als Spuren und Ausdrucksformen einer weitaus tiefergreifenden, in der sogenannten Übergangszeit bereits angelegten und bis heute nicht abgeschlossenen Grundsatzauseinandersetzung um die Zukunft des Landes verstanden werden. Maßgebliche Kräfte innerhalb des ANC und damit auch des stärksten Partners innerhalb der Dreierallianz haben schon in den ersten Jahren der Präsidentschaft Nelson Mandelas einen politischen Kurs durchgesetzt, der die fortgesetzte Akzeptanz des kapitalistischen Systems und auf dieser Basis marktkonforme Sozialprogramme beinhaltete.

Diese Weichenstellung birgt einen sozialen und damit auch politischen Zündstoff in sich ungeachtet der Fortschritte, die in dieser Zeit erzielt wurden, die jedoch, das darf vermutet werden, die Entwicklungspotentiale des Landes, wäre tatsächlich ein Schlußstrich unter die (kapitalistische) Apartheid gezogen und eine Umverteilung von oben nach unten eingeleitet worden, bei weitem nicht ausgeschöpft hat. Die Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft, die in diesem Konfliktfeld die ohnehin bestehenden Interessengegensätze noch weiter anheizt, weil beispielsweise die Ressourcen des Landes in den Bau "WM-tauglicher" Stadien und nicht mit oberster Priorität in den sozialen Wohnungsbau gesteckt werden mußten, erwies sich schon lange vor dem Eröffnungsspiel am 11. Juni 2010 als ein Boomerang mit schwer auszulotenden Folgen.

Am diesjährigen Nationalfeiertag, dem "Freedom Day" am 27. April, suchte Präsident Zuma die Nation auf einen Kurs einzuschwören, der es der Regierung ermöglichen würde, die ihr zugedachte Rolle während der Weltmeisterschaft ohne nennenswerte Störfälle wahrzunehmen. Zuma, der als "linker" Gegenkandidat innerhalb des ANC ins Präsidentenamt gekommen war, ohne daß die von ihm erneuerten Versprechen Korruptions- und Armutsbekämpfung mit erkennbaren Erfolgen eingelöst worden wären, hatte sich am Nationalfeiertag durchaus selbstkritisch gezeigt und erklärt, daß die Hinterlassenschaften der Apartheid noch immer starke Auswirkungen auf die Bevölkerung hätten. "Wir werden nicht viele Sympathien für irgendwelche Gründe haben, mit denen wir das Scheitern erklären, die Lebensbedingungen unseres Volks zu verbessern", so Zuma während der Feierlichkeiten. Der Präsident gelobte Besserung mit den Worten: "Die Freiheit verpflichtet uns alle zusammenzuarbeiten, um diese Bedingungen zu verändern." Vor Tausenden Anhängern in der Hauptstadt Pretoria versprach er, innerhalb der kommenden vier Jahre bei den aus der Apartheid stammenden Mißständen für Abhilfe zu sorgen.

Namentlich in Hinsicht auf die Beziehungen zur COSATU haben diese Appelle jedoch nicht ausgereicht, um die politischen Divergenzen zu kitten oder zumindest auf eine tragfähige Basis zu bringen. So hatte Zwelinzima Vavi, COSATU-Generalsekretär und einfaches ANC-Mitglied, vor wenigen Tagen Präsident Zuma in scharfen Worten und in aller Öffentlichkeit für sein zögerliches Verhalten beim Vorgehen gegen Korruption und Bereicherung in den eigenen Reihen kritisiert. Gegen zwei namentlich genannte Minister hatte Vavi Ermittlungen gefordert. Dieses Vorgehen hat jetzt zu einem Disziplinarverfahren im ANC geführt, allerdings nicht gegen die von Vavi beschuldigten Minister, sondern gegen den COSATU-Generalsekretär selbst. Dies stellt eine in der Geschichte Südafrikas und der Dreierallianz bislang nicht dagewesene Zuspitzung interner Spannungen dar, die nun sogar zu einem Auseinanderbrechen des gesamten Bündnisses und damit der politischen Struktur des Nachapartheidsstaates führen könnte.

Einer der beschuldigten Minister sitzt in dem ANC-Parteigremium, das nun das Disziplinarverfahren gegen den obersten Gewerkschafter in die Wege geleitet hat. Der Gewerkschaftsdachverband steht jedoch voll und ganz zu seinem Generalsekretär, und so ist, wie COSATU-Sprecher Patrick Craven klarstellte, ein offener Richtungskampf innerhalb des ANC zu befürchten. Vavi selbst zeigte sich überzeugt, daß das gegen ihn eingeleitete Verfahren nicht durchgesetzt werden könne. Er betonte die Eigenständigkeit des Gewerkschaftsdachverbandes mit den Worten: "COSATU ist eine unabhängige Organisation, nicht die Arbeiterliga des ANC." Sollte die ANC-Führung keine Schritte unternehmen, um den Gewerkschaftern zu signalisieren, daß sie in ihnen kein bloßes Stimmvieh sieht, würde COSATU auf einem außerordentlichen Kongreß im April kommenden Jahres die weitere Zugehörigkeit zur Dreierallianz zur Disposition stellen.

Wie ernst es den Gewerkschaftern ist, zeigt sich an ersten Streiks, die - zum großen Leidwesen Präsident Zumas - wenige Wochen vor der Weltmeisterschaft von den Busfahrern mit der Forderung nach regulären Vollzeitstellen durchgeführt wurden. Die sozialen Spannungen Südafrikas werden derzeit zusätzlich angeheizt durch eine von der ANC-Regierung abgesegnete, von COSATU jedoch bekämpfte Erhöhung der Strompreise durch das Energiemonopolunternehmen Eskom, von dessen Bauprojekten der ANC über eine Beteiligungsgesellschaft direkt profitiert. Die beschlossenen Strompreissteigerungen werden für Privathaushalte in den kommenden drei Jahren Mehrbelastungen von 25 Prozent mit sich bringen, während Großabnehmer, also bestimmte Konzerne wie beispielsweise die Manganfabrik SAMANCOR, eine Tochter der britischen BHP Billiton, Tarife nutzen können, die noch unter dem Bereitstellungspreis liegen. COSATU will sich mit dem Totschlagargument, daß eine reibungslose Fußball-Weltmeisterschaft im Interesse des ganzen Landes sei, nicht abspeisen und erpressen lassen und droht, auch während der WM, mit weiteren Streiks. Mit der jüngsten Attacke gegen den COSATU-Generalsekretär hat die gegenwärtige ANC-Führung einen Konfrontationskurs eingeschlagen, der den stillen Befürchtungen, die Regierung um Präsident Zuma könnte versucht sein, mit repressiven Mitteln den störungsfreien Ablauf der Weltmeisterschaft durchzusetzen, weitere Nahrung gibt.

4. Juni 2010