Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1258: Niederländische Regierung rührt Kriegstrommeln gegen Venezuela (SB)


Säbelrasseln der niederländischen Regierung gegen Venezuela

Gezielte Projektion - Den Haag unterstellt Caracas, die niederländischen Antillen militärisch "befreien" zu wollen


In der auflagenstärksten niederländischen Tageszeitung "De Telegraaf" erschien vor Ostern ein bis heute über die Landesgrenzen hinaus kaum bekanntgemachter Artikel über vermeintliche Angriffsabsichten des südamerikanischen Staates Venezuela gegenüber den dem Land im Karibischen Meer unmittelbar vorgelagerten niederländischen Antillen. Dem Telegraaf zufolge herrsche in der niederländischen Regierung, namentlich unter hochrangigen Repräsentanten der Bereiche Verteidigung, Außenpolitik und Entwicklungshilfe, die einhellige Auffassung vor, daß die Regierung in Caracas plane, die Streitkräfte Venezuelas in Marsch zu setzen, um die Niederländischen Antillen gewaltsam vom Joch ihres Kolonialstatus' zu befreien. Diese Annahme oder vielmehr Unterstellung, um nicht zu sagen Projektion eigener aggressiver Absichten wird von der niederländischen Regierung dem Vernehmen nach zum Anlaß genommen, ihre militärische Präsenz auf den Antillen aufrechtzuerhalten.

Dieser neuerliche Affront Den Haags setzt nicht nur eine ganze Reihe binationaler Animositäten fort, die erst zum Jahreswechsel im Austausch diplomatischer Protestnoten einen vorläufigen Höhepunkt fanden, nachdem Caracas den Niederländern zum Vorwurf gemacht hatte, den US-Streitkräften die Nutzung ihres Militärstützpunktes auf Curaçao für die Durchführung unautorisierter, den Luftraum Venezuelas verletzender Spionageflüge genehmigt zu haben, sondern steht in einem größeren, internationalen Zusammenhang. Die jetzige Konstruktion, derzufolge etwaige Aufrüstungsinitiativen der niederländischen, aber auch der US-amerikanischen Streitkräfte als Verteidigungsmaßnahmen gegen einen Caracas unterstellten Angriff auf die von den Niederlanden noch immer als eigenes Territorium beanspruchten "Inseln unter dem Winde" darzustellen versucht wird, scheint eine Antwort auf den jüngsten diplomatischen Streit zu sein, in dessen Verlauf Außenminister Maxime Verhagen erklärt hatte, seine Regierung würde eine Nutzung ihrer karibischen Territorien zu Angriffszwecken unter keinen Umständen autorisieren.

Der darin verborgene diplomatische Trick ist so alt wie die Geschichte der Kriegführung scheinbar zivilisierter Staaten, die stets penibel darauf bedacht waren, den ersten Schuß ihrer militärischen Aggression als Reaktion und Verteidigung gegen (fabulierte) gegnerische Angriffe auszugeben. Es darf angenommen werden, daß die jüngste Presseveröffentlichung nicht unbeabsichtigt lanciert wurde. Der niederländischen Regierung scheint innerhalb der NATO die Rolle zugefallen zu sein, als Stimmungsmacher gegen Venezuela aufzutreten. Da im September diesen Jahres in Venezuela Parlamentswahlen bevorstehen, die keineswegs einen sicheren Wahlsieg der "Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas" (PSUV) von Präsident Hugo Chávez vorhersagen lassen, sehen sich die im verfeindeten Ausland zu verortenden politischen Gegner des heutigen Venezuelas allem Anschein nach berufen, nach Kräften Stimmung gegen Caracas zu machen.

Dem niederländischen Telegraaf zufolge gilt der venezolanische Präsident in der Den Haager Regierung als "aufständischer Spieler" in der lateinamerikanischen Region, woraus unschwer herauszulesen ist, daß die Beweggründe dafür, die politischen Spannungen auf die Stufe militärischer Drohgebärden zu hieven, nicht in den unterstellten militärischen Befreiungsabsichten Venezuelas gegenüber den Antillen liegen, sondern in dem politischen Kern der Regierungsarbeit des Landes. Venezuela wird vielfach als "Motor" einer Linksentwicklung bezeichnet, die die gesamte Region Süd- wie Zentralamerikas sowie der Karibik erfaßt hat, was gleichermaßen zutreffend wie unzutreffend ist.

Fraglos nimmt der venezolanische Präsident in dieser Entwicklung und Auseinandersetzung eine besonders aktive Rolle ein. Ihm jedoch die Funktion eines Katalysators oder Zünders zuzuschreiben, so als würde sich das Interesse der lateinamerikanischen Gesellschaften, sich vom Joch postkolonialer Abhängigkeitsverhältnisse zugunsten einer gemeinsamen solidarischen Kooperation freizuschaufeln, nicht so oder so durchsetzen, zeugt von politischer Blindheit oder der Unfähigkeit, anders als in strikt nach oben und unten geordneten Hierarchien zu denken. Tatsächlich hatte Präsident Chávez schon im Jahr 2006 mit Blick auf die noch immer "niederländischen" Antillen erklärt, die "kolonialen Großmächte sollten endlich verschwinden". Daraus eine militärische Angriffsabsicht abzuleiten, ist vollkommen hergeholt und fordert im Umkehrschluß die Frage heraus, wie es denn wohl um die Absichten der Niederlande wie auch der übrigen NATO-Staaten gegenüber Venezuela und seiner amtierenden Regierung bestellt ist.

Die Errichtung militärischer Stützpunkte im Nachbarstaat Kolumbien, die von der US-Armee genutzt werden dürfen, sowie die Implementierung US-amerikanischen Militärs im Katastrophengebiet Haitis sind unübersehbare Indizien für die Annahme, daß westliche Staaten eine militärische Aggression gegen Venezuela vorzubereiten bereits im Begriff stehen. Sollte die Linksentwicklung in Lateinamerika, um die aktuelle Tendenz einmal auf diesen kurzen Nenner zu bringen, fortgesetzt werden, obwohl sie aus Sicht der neoliberal-kapitalistischen Staatenwelt, die schließlich so etwas wie die Meinungsführerschaft, um nicht zu sagen die militärische Vorherrschaft auf dem Erdball beansprucht, bereits eine im stillen gezogene rote Linie überschritten hat, muß im gleichen Maße, wie erkennbare und unbezweifelbare Ergebnisse erzielt werden, mit einem Anwachsen der Gefahr eines militärischen Angriffs von außen gerechnet werden.

So wäre vorstellbar, daß die politische Konsolidierung der schon heute als links oder mitte-links geltenden Regierungen so weit voranschreitet, daß der Verbleib postkolonialer Enklaven, bei denen neben den niederländischen Antillen vor allem auch an die noch immer britischen Malevinen zu denken ist, einen so eklatanten Anachronismus darstellen würde, daß die betreffenden europäischen Staaten wohl oder übel die politische Klugheit freisetzen müßten, um der Fortsetzung ihrer Kontakte und Bewahrung verbliebener Einflußmöglichkeiten willen die ehemaligen Kolonialgebiete für unabhängig erklären zu lassen. Mit militärischen Zwängen, ausgehend von wem auch immer, hätte dies nicht das geringste zu tun. Doch da all dies aus Sicht des Westens Zukunftsmusik der finstersten Sorte ist, bleibt die Annahme weitaus plausibler, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht von ungefähr eine militärische Droh- und Provokationskulisse gegen Venezuela aufgebaut wird, die jegliche Weisheit, die in einer Freigabe der Kolonialgebiete läge, vermissen läßt.

9. April 2010