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DILJA/1186: Das Putschregime in Honduras befördert eine Radikalisierung Lateinamerikas (SB)


Der Widerstand in Honduras läßt sich trotz vieler Toter, Verletzter und Inhaftierter nicht einschüchtern

Die Linksentwicklung in ganz Lateinamerika wird durch den jüngsten Putsch nicht gestoppt, sondern befördert


"Die Zeit" arbeitet nicht, wie vielfach behauptet, für, sondern gegen den sogenannten Interimspräsidenten von Honduras, Roberto Micheletti. Der Putschist und die von ihm und den parlamentarischen Institutionen scheindemokratisch bemäntelte De-facto-Militärdiktatur befindet sich international in einer isolierten Position, die allerdings über die tatsächlichen Interessenallianzen hinwegzutäuschen droht. So vermeidet es die US-Administration unter Barack Obama tunlichst, offen als Michelettis Unterstützer in Erscheinung zu treten. Die von Manuel Zelaya, dem einzigen rechtmäßigen Präsidenten Honduras', der sich im Grenzgebiet Nicaraguas befindet, um doch noch in sein Land zurückkehren zu können, an Obama gerichtete Aufforderung, ernsten "Druck" auf die Machthaber in Tegucigalpa auszuüben, hat dazu geführt, daß Washington vier Mitgliedern der Putschregierung sowie ihren Familienangehörigen die diplomatischen Visa entzogen hat.

Im Umgang mit einem zentralamerikanischen Land wie Honduras, das traditionsgemäß als engster US-Verbündeter in der Region gilt und dessen größten Militärstützpunkt beherbergt, ist das nicht einmal ein Tritt vors Schienbein gegen ein Regime, das den Feststellungen einer international besetzten Menschenrechtskommission zufolge seit dem Putsch vom 28. Juni "schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen" begeht, um sich an der Macht zu halten. Dabei ist das von den Militärs und der rechten Oligarchie des Landes kontrollierte Regime keineswegs durch den von ihnen gestürzten Präsidenten gefährdet, dessen bisherige Rückkehrversuche gewaltsam vereitelt werden konnten. Die offene Repression von Polizei und Militär richtet sich gegen die Widerstandsbewegung, die sich in Honduras bereits am Tage des Putsches formiert hat und die neben der Rückkehr Zelayas nicht nur ins Land, sondern auch in das Präsidentenamt, einen demokratischen Verfassungsprozeß einfordert, um dem Land eine neue, soziale Ordnung zu geben.

Dies ist der eigentliche Kern einer Auseinandersetzung, die derzeit in Honduras stellvertretend für Zentral-, um nicht zu sagen ganz Lateinamerika einen, wie zu befürchten steht, erst vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. In einem Kontinent, von dessen Staaten kaum einer in den zurückliegenden Jahrzehnten von der Errichtung einer Militärdiktatur verschont geblieben ist, um eine Linksentwicklung, wie sie in Chile Anfang der 1970er Jahre durch die sozialistische Regierung des demokratisch gewählten Präsidenten Salvador Allende bereits Gestalt angenommen hatte, gewaltsam zu unterbinden, wird der jetzige Putsch weit über die honduranischen Grenzen hinaus als der Angriff auf Freiheit und Demokratie verstanden werden, der er ist. Im kollektiven Bewußtsein Lateinamerikas dürften die Erfahrungen von Diktatur und Militärputsch weitaus lebendiger erhalten sein als in Europa, wo die "schlimmen Jahre" in Deutschland und Italien, aber auch im Franco-Spanien, von den gesellschaftlich dominierenden Kräften gern als historische Ausrutscher gedeutet werden, um die eigentlich naheliegende Schlußfolgerung, daß demokratisch-kapitalistische Staaten, so in ihnen eine starke Linke erwächst, die wie in Chile durch reguläre Wahlen an die Macht zu gelangen "droht", kurzerhand zu gewaltsamen Mitteln wie Putsch und Diktatur greifen, um sich dieser Bedrohung ihrer Interessen zu entledigen, zu vermeiden.

In Honduras ist dieser Fall eingetreten, wobei noch das besondere Spezifikum hinzukam, daß Manuel Zelaya nicht einmal ein "klassischer" Linker ist, sondern als Mitglied der Liberalen Partei eigentlich fest im Lager der alten Ordnung stand, dann jedoch die Zusammenarbeit mit den bereits bestehenden Linksregierungen Lateinamerikas suchte. Mit dem Beitritt Honduras' in die von Venezuela mit ins Leben gerufene "Bolivarischen Alternative für die Völker Unseres Amerika" (ALBA) hatte Manuel Zelaya eine imaginäre, aber höchst folgenschwere "rote Linie" überschritten, denn nun war unübersehbar geworden, daß der gewählte Präsident von Honduras die ihm von den führenden westlichen Staaten zugedachte Rolle eines Statthalters neoliberaler Doktrinen nicht länger ausüben würde. Tatsächlich jedoch könnte schon diese Deutung eine fundamentale Fehlinterpretation darstellen, weil sie die Vermutung nahelegt, daß die Linksentwicklung in Honduras, die den Sturz Zelayas sowie die Errichtung einer faktischen Militärdiktatur genau an dem Tag auslöste, an dem eine unverbindliche Volksbefragung über eine Abstimmung zur Einrichtung einer demokratisch gewählten Verfassungsgebenden Versammlung hätte durchgeführt werden sollen, auf eine angeblich einsame Initiative des gestürzten Präsidenten reduziert werden könne.

Wäre dem so gewesen, hätte sich für seine Rückkehr ins Amt sowie für die Wiederherstellung demokratischer Strukturen eine Unterstützerbewegung aus seinen politischen Parteifreunden und sonstigen Anhängern formiert. Dies ist jedoch keineswegs der Fall, da sich in der nationalen Widerstandsfront neben orginären Zelaya-Anhängern insbesondere auch Gewerkschaften und soziale Organisationen aller Art zusammengeschlossen haben, die mit dem herkömmlichen Politik-Establishment wenig bis gar nichts zu tun haben und eine Entwicklung an der gesellschaftlichen Basis zum Ausdruck bringen, die kennzeichnend für viele Staaten Zentral- und Lateinamerikas sein dürfte. Diese Widerstandsbewegung stellt für die machthabenden Militärs in Honduras und ihre öffentlich nicht in Erscheinung tretenden westlichen Unterstützer das vielbeschworene "rote Gespenst" dar, dessen Toxizität in der mangelnden Bereitschaft, sich der Gewalt der Knüppel und Gewehre zu beugen, bereits ausgemacht wurde.

Die Militärs sind sichtbar nervös und greifen zu immer härteren Mitteln der Repression, um den ihnen auch nach fünf Putschwochen, acht Todesopfern, zahllosen Verletzten und über 1200 Inhaftierten ungebrochen entgegengebrachten Widerstand doch noch zu brechen. So gingen Polizei und Militär am vergangenen Donnerstag mit bis dahin nicht gekannter Gewalt gegen Demonstranten vor, die auf der Panamericana zwischen der Hauptstadt Tegucigalpa und dem Norden des Landes eine Straßenblockade errichten wollten. Juan Barahona, einer der Führer der Widerstandsbewegung, zeigte sich entsetzt: "Das war heute die brutalste Unterdrückung, die wir bislang erlebt haben." Doch dieses, sicherlich von vielen geteilte Entsetzen schlägt in Honduras keineswegs in politische Apathie um. Barahona wird für viele seiner Landsleute gesprochen haben, als er erklärte: "Sie unterdrücken das Volk, aber wenn sie glauben, daß sie uns damit einschüchtern können, täuschen sie sich. Der Widerstand geht weiter."

Doch nicht nur hier, auch an vielen anderen Orten ging die honduranische Polizei mit gesteigerter Härte gegen die Protestierenden vor. In Tegucigalpa wurden friedliche Demonstranten von den "Cobras", einer Sondereinheit der Polizei für die Aufstandsbekämpfung, angegriffen. Die Polizisten setzten Tränengas ein, knüppelten wahllos Menschen nieder und verhafteten 250 Demonstranten. Dabei wurde auch scharf geschossen, wodurch ein weiterer Putschgegner, der 38jährige Lehrer Roger Abraham Vallejo Soriano, durch einen Kopfschuß so schwer verletzt wurde, daß er zwei Tage später seinen Verletzungen erlag. "Ich weiß nur, daß die Polizisten ihn getötet haben, weil er für eine gerechte Sache gekämpft hat", erklärte seine Mutter gegenüber dem lateinamerikanischen Nachrichtensender TeleSur. An den Trauerfeiern für Soriano nahm Xiomara Castro in Vertretung ihres Mannes, des Präsidenten Manuel Zelaya, teil. Sie forderte die Putschisten öffentlich auf, endlich anzuerkennen, daß es ihnen nicht nütze, Menschen zu töten, die "nicht für einen Mann, sondern für die Wiederherstellung der Demokratie in Honduras" kämpfen.

Die Lage ist für die Putschisten inzwischen so zugespitzt, daß sie es nicht einmal mehr fertigbringen, eine minimale Kompromißbereitschaft zu zeigen. Der vermeintliche Vermittlungsversuch des von den USA zu diesem Zweck eingesetzten Präsidenten von Costa Rica, Oscar Arias, hatte ja neben all den Punkten, die die Entwicklung einer neuen sozialen Ordnung, wie von den Basisbewegungen des Landes initiiert und eingefordert, verunmöglicht hätten, auch die Rückkehr Zelayas vorgesehen. Nun jedoch sieht sich das Micheletti-Regime politisch bereits so sehr in die Enge gedrückt, daß es kategorisch erklärte, eine Rückkehr Zelayas komme unter keinen Umständen in Betracht. Damit düpieren die Machthaber in Tegucigalpa ihre stillen Förderer und Unterstützer in Washington und den europäischen Haupstädten, die nun im Grunde keinerlei politischen Spielraum mehr haben, um ihr reales Gewährenlassen der Putschisten hinter diplomatischen Ränken zu verbergen.

Die politische Brisanz des gestürzten Präsidenten Manuel Zelaya liegt keineswegs in seiner visionären Kraft für ein neues Honduras, sondern in seiner zutiefst demokratischen Haltung, die ihn dazu bewogen zu haben scheint, der politischen Entwicklung, die sich von der gesellschaftlichen Basis ausgehend Bahn zu brechen sucht, nicht nur nichts entgegenzustellen, sondern in Ausübung seiner präsidialen Amtspflichten zum Durchbruch in den Strukturen und Institutionen eines dmeokratischen Staates zu verhelfen. Da Honduras zu den Ländern Zentralamerikas gehört, in denen die sogenannte Schere zwischen arm und reich besonders kraß auseinanderklafft und in denen eine Oligarchie, die allenfalls die Interessen einer kleinen, besitzenden Minderheit vertritt, bislang den Staatsapparat unter ihrer Kontrolle hatte, stellt diese demokratische Haltung des gewählten Präsidenten eine für die alten Machthaber vollkommen inakzeptable Infragestellung ihrer Ordnung dar.

Die Tage jedoch, in denen durch Gewaltausübung und das dadurch geschaffene Klima der Angst das Rad dieser Entwicklung noch aufgehalten werden kann, scheinen jedoch vorbei zu sein. Nicht nur, daß die Putschgegner in Honduras ungeachtet der militärischen Repression ihren Widerstand fortsetzen - auch in anderen Staaten Lateinamerikas bricht sich eine Entwicklung Bahn, die als generelle Linksentwicklung bezeichnet werden könnte. So wurde in Chile durch den Präsidentschaftskandidaten der dortigen Linken, Jorge Arrate, in Reaktion auf die Vorgänge in Honduras ebenfalls die Forderung nach einer "vierten Urne" aufgestellt, mit der in dem Land, das noch immer unter der von den Putschisten der Pinochet-Diktatur eingesetzten Verfassung lebt, über die Ausarbeitung einer neuen Verfassung abgestimmt werden soll. Es ist absehbar, daß eine solche Entwicklung wie auch in Honduras zu einer Radikalisierung Lateinamerikas führen würde in Hinsicht darauf, daß die formal längst dekolonialisierten Völker sich endgültig dem Zugriff westlicher Mächte entziehen.

3. August 2009