Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1148: Erhöhte Weltkriegsgefahr - NATO-Manöver machen Georgien zum Pulverfaß (SB)


Weltkriegsgefahr inklusive? Hochexplosive Gemengelage in Georgien

Beginn des NATO-Manövers mit 1300 Soldaten - angeblicher Putschversuch einer georgischen Panzereinheit mit gegen Rußland erhobenen Vorwürfen - gewaltsames Vorgehen der georgischen Polizei gegen Oppositionelle - neue Eiszeit zwischen Rußland und der NATO


Sollte es jemals wieder zu einer militärischen Direktkonfrontation zwischen der NATO und Rußland kommen und damit zu einem Krieg, der sich aufgrund seiner unkalkulierbaren Implikationen zu einem weiteren Weltkrieg auswachsen könnte, wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit das kleine Kaukasusland Georgien der Ausgangspunkt. Ein solches Szenario hätte mit den Georgiern selbst wohl am allerwenigsten zu tun, auch wenn die innenpolitischen Verhältnisse in dieser ehemaligen Sowjetrepublik nicht losgelöst von den außenpolitischen Einflüssen auf dieses insofern zu keinem Zeitpunkt tatsächlich jemals unabhängig gewordene Land analysiert und bewertet werden können. In Georgien hält die NATO derzeit ein Manöver ab, das in Hinsicht auf das ohnehin angespannte Verhältnis zu Rußland kaum eine größere Provokation darstellen könnte. 1.300 Soldaten aus 19 Staaten, unter denen sich nicht nur NATO-Staaten, sondern auch Nicht-NATO-Staaten wie Aserbaidschan, Armenien, Moldawien, Serbien und die Vereinigten Arabischen Emirate befinden, wurden ausgerechnet in Georgien zusammengezogen, um in der Zeit vom 6. Mai bis 1. Juni zwei Großmanöver - Cooperative Longbow 09 und Cooperative Lancer 09 - durchzuführen.

Die 20 Kilometer östlich der georgischen Hauptstadt Tiflis und damit noch näher an der georgisch-russischen Grenze gelegene Militärbasis Vaziani wird der Hauptschauplatz dieser kaum noch als "Manöver" zu bezeichnenden militärischen Operationen sein. Mit ihrer Durchführung wurde inzwischen ungeachtet der auch innenpolitisch hochbrisanten Lage in Georgien begonnen, was den Rückschluß nahelegt, daß die Strategen der NATO im Brüsseler Hauptquartier dezidiert beabsichtigen, was nun passiert und noch passieren könnte. Die Warnungen und Bitten der russischen Seite, die Manöver abzusagen oder wenigstens zu verschieben, wurden geflissentlich ignoriert. Der russische Präsident Dmitri Medwedew hatte den Standpunkt seines Landes zu diesen "Manövern" klargestellt und von einer "gefährlichen Entscheidung" der NATO gesprochen. Seine Begründung - "wenn ein Militärblock Übungen in der Nähe von Gebieten durchführt, wo es gerade erst kürzlich hochgradige Spannungen gab und die Situation immer noch unruhig ist, bringt das das Risiko verschiedener Arten von Komplikationen mit sich" - hat sich bereits als stichhaltig erwiesen.

Die NATO unternahm nicht die geringsten Anstrengungen, der russischen Seite entgegenzukommen. Die vorgebrachten Sicherheitsbedenken Moskaus wurden in Brüssel nicht ernstgenommen und sogar mit einer erhöhten Provokationsstrategie auch auf diplomatischen Gebiet beantwortet. Zeitgleich zu den umfangreichen Manövern, die die NATO derzeit in Georgien ungeachtet der Einwände Rußlands durchführt, wurde durch die Ausweisung zweier bei der NATO in Brüssel tätiger russischer Diplomaten einer Entspannung der Beziehungen, die sich durch die Wiederaufnahme der im August vergangenen Jahres infolge des georgisch-russischen Krieges auf Eis gelegten Konsultationen im NATO-Rußland-Rat anbahnte, entgegengearbeitet. Begründet wurde dieser diplomatische Affront mit der Verurteilung eines ranghohen Beamten im NATO-Mitgliedsland Estland, der - allerdings schon im Februar - wegen Spionage für Moskau verurteilt worden war. Rußland hingegen reagierte auf die nun wohl nicht zufällig zu Manöverbeginn erfolgte Ausweisung seiner beiden Diplomaten mit der Absage der Teilnahme von Außenminister Sergej Lawrow an den just wiederaufgenommenen Konsultationen im NATO-Rußland-Rat.

Die Einschätzung Lawrows, der vor wenigen Wochen bereits davor gewarnt hatte, daß die NATO-Manöver beim georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili "ein Gefühl der freien Hand" auslösen könnten, hat sich unterdessen bereits bewahrheitet. Saakaschwili, der 2003 durch eine vom Westen unterstützte und finanzierte "Oppositionsbewegung" durch einen als Rosenrevolution verharmlosten kalten Putsch ins Präsidentenamt manövriert wurde, droht durch die Opposition im eigenen Land seinerseits gestürzt bzw. zum Rücktritt gezwungen zu werden. Ein breites Oppositionsbündnis nahezu aller im georgischen Parlament vertretenen Parteien - seit 2004 wird Georgien allein von Saakaschwilis Nationalpartei regiert - hat sich in diesem Frühjahr zusammengefunden, um ihrer Forderung nach einem Rücktritt Saakaschwilis und anschließenden Neuwahlen durch Demonstrationen und weitere Massenproteste bis zu ihrer Erfüllung Nachdruck zu verleihen.

Saakaschwili allerdings zeigt nicht die geringste Bereitschaft, sich der geforderten Neuwahl zu stellen. Die Gründe liegen auf der Hand, denn da laut Umfragen seine Anhängerschaft auf etwa 30 Prozent zusammengeschrumpft ist, käme ein Rücktritt seinem politischen Ende gleich. Im Unterschied zum November 2007, als er sich bei ebenfalls von der Opposition geforderten vorzeitigen Neuwahlen noch einmal durchsetzen konnte, wobei allerdings Vorwürfe wegen Wahlfälschung erhoben wurden, ist seine politische Basis innerhalb Georgiens inzwischen weitgehend weggebrochen. Die meisten Menschen machen ihn nicht nur für die katastrophale wirtschaftliche Lage verantwortlich, sondern tragen ihm den von ihm angezettelten und ungewinnbaren Krieg gegen Rußland vom vergangenen August, in dessen Folge sich die soziale Lage in der verarmten Kaukasusrepublik abermals verschärft hat, nach.

Am Dienstag dieser Woche und damit unmittelbar vor Manöverbeginn, überschlugen sich in Georgien die Ereignisse. Nach Angaben des georgischen Innenministeriums wurden zehn Angehörige des georgischen Militärs sowie 13 Zivilisten verhaftet, weil sie angeblich eine Verschwörung zum Sturz der Regierung begonnen hätten. Konkret werden zwei Führungsoffiziere eines 500 Soldaten starken Panzerbataillons der Meuterei bezichtigt. Die Soldaten wurden in ihrer Kaserne entwaffnet und unter Arrest gestellt, nachdem ihr in Mukhrowani und damit nahe der Hauptstadt Tiflis gelegener Stützpunkt von Panzerfahrzeugen umstellt worden war. Obwohl die Soldaten ihren Stützpunkt nicht verlassen hatten und ihnen nicht mehr als eine Befehlsverweigerung vorgeworfen wird, machte das Wort von einem drohenden Putsch schnell die Runde. In Oppositionskreisen wird deshalb angenommen, daß dieses Bataillon zur Bekämpfung der gegen Saakaschili geführten innenpolitischen Proteste eingesetzt werden sollte und diesbezügliche Befehle verweigert haben könnte.

Gleichwohl kommt es zunehmend zu gewaltsamen Übergriffen auf die Opposition, die nach Angriffen regelrechter Schlägertrupps Bürgerwehren zur Selbstverteidigung aufzustellen begann. In dieser Woche nun kam es auch in dieser Hinsicht zu einer Eskalation. Am Mittwoch versuchten Oppositionelle, zur Polizeizentrale in der Hauptstadt Tiflis vorzudringen, um dort inhaftierte Regierungskritiker zu befreien. Spezialeinheiten der Polizei gingen mit Gummigeschossen und Schlagstöcken gegen die Oppositionellen vor und lösten schwere Unruhen aus, in deren Verlauf über 30 Menschen, unter ihnen namhafte Oppositionspolitiker, verletzt wurden. Am Donnerstagmorgen sah sich die georgische Führung, die auch diese Gelegenheit nicht verstreichen ließ, ohne die russische Regierung zu beschuldigen, die Proteste angeheizt und finanziert zu haben, zum Einlenken veranlaßt. Um eine weitere Zuspitzung der innenpolitischen Krise zu vermeiden - die Opposition hatte den Behörden ein Ultimatum gestellt und für Donnerstagnachmittag eine abermalige Befreiungsaktion angekündigt, sollten die drei Inhaftierten nicht freigelassen werden - kam die Regierung Saakaschwili dieser Forderung nach und setzte die drei Regierungskritiker auf freien Fuß.

Gleichwohl könnte es sich bei dieser Krise noch um einen Nebenschauplatz handeln, da sich nach wie vor in Georgien rund 1.300 unter NATO-Befehl stehende Soldaten in größter Nähe zu russischen Soldaten befinden. Tausende russische Soldaten wurden Anfang des Monats in den ehemaligen georgischen Republiken Südossetien und Abchasien stationiert. Beide Regionen wurden von Moskau anerkannt. Erst am 1. Mai hat sich Rußland gegenüber beiden Republiken für fünf Jahre zum militärischen Schutz verpflichtet. Die vorgebliche Meuterei von Teilen der georgischen Armee droht nun zu einer Lunte zu werden, die, sollte es der georgischen Führung gelingen, ihre gegen Rußland vorgebrachten Vorwürfe durchzusetzen, im zweiten oder dritten Schritt eine militärische "Reaktion" der NATO begründen könnte. Georgien behauptet, der angeblich angezettelte Aufstand, in dessen Verlauf auch Saakaschwili hätte getötet werden sollen, wäre mit Rußland abgestimmt worden.

All dies wären Gründe genug, die NATO-Manöver zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt abzusagen. Die russische Seite hat auch auf diese Vorwürfe nur eine knappe, klare Antwort. Die von Saakaschwili vorgebrachte These, Rußland habe den Putschversuch des Panzerstützpunktes in Muchrowani finanziert, wurde von Moskau als "schwachsinnig" bezeichnet. Dmitri Rogosin, der russische Repräsentant bei der NATO in Brüssel, erklärte in diesem Zusammenhang, die NATO möge ihre Manöver lieber in einem Irrenhaus abhalten als in einem Land, in dem die Armee gegen ihren eigenen Präsidenten rebelliere.

NATO-Sprecher James Appathurai hingegen stellte klar, daß es an der Durchführung der Manöver nichts zu rütteln gäbe, sie sollten einen Monat dauern und offiziell am 11. Mai beginnen. Ob Zufall oder nicht, die NATO-Soldaten befinden sich auf einem früheren russischen Luftwaffen-Stützpunkt, der nur wenige Kilometer entfernt von dem Stützpunkt Muchrowani des georgischen Militärs liegt, in dem - nach Angaben der Regierung Saakaschwili - mit russischer Unterstützung angeblich gegen sie geputscht werden sollte. Wer wollte da nicht argwöhnen, daß die gegen Rußland vorgebrachten Vorwürfe, an einem Putschversuch gegen Saakaschwili beteiligt zu sein, eigens erhoben und inszeniert worden sein könnten, um eine Rechtfertigung für ein offensives Vorgehen der NATO-Soldaten zu schaffen?

7. Mai 2009