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DILJA/1119: Bei Berichterstattung Mord? ARTE-Dreharbeiten in Kolumbien abgebrochen (SB)


Vielsagendes Schweigen der deutschen Bundesregierung

Dreharbeiten zu einer Fernsehdokumentation über die von paramilitärischen Verbänden in Kolumbien verübten politischen Morde wegen Morddrohungen abgebrochen


"Impunity" (Straflosigkeit) lautet der Titel einer Fernsehdokumentation, die von ARTE und dem öffentlich-rechtlichen Schweizer Sender TSR in Koproduktion erstellt worden wäre, hätten die Dreharbeiten in Kolumbien nicht wegen mehrfacher Morddrohungen gegen das Filmteam abgebrochen werden müssen. Wie eine ARTE-Sprecherin am Dienstag in Straßburg bekanntgab, geht der Kultursender davon aus, daß "die Drohungen aus dem paramilitärischen Milieu stammen", was überaus plausibel ist, da die den paramilitärischen Gruppierungen zur Last gelegten politischen Morde und deren juristische Aufarbeitung Gegenstand der Filmdokumentation waren, weshalb diesbezügliche Mutmaßungen über das Motiv derjenigen, die das westeuropäische Filmteam auf so drastische Weise an der Berichterstattung gehindert haben, mehr als nahe liegen.

Konkret wollte Regisseur Lozano über den wichtigsten Prozeß in Kolumbien gegen über 40 führende Mitglieder paramilitärischer Gruppierungen berichten, denen die Tötung Tausender Zivilisten zur Last gelegt wird. Seit 2005 wird dieses Mammutverfahren in mehreren Städten des Landes, so auch in der Hauptstadt Bogotá, durchgeführt. Die Morddrohungen gegen das westeuropäische Team, deren Mitglieder nach dreiwöchigen Dreharbeiten Kolumbien verließen und nach Europa zurückgekehrt sind, schließen sich nahtlos der Thematik der Dokumentation an, die nicht nur die vielen Morde an Gewerkschaftern und politischen Oppositionellen zum Gegenstand hat, sondern zugleich auch die Methoden beleuchtet, mit denen ein solchermaßen gewaltsames System der Vertreibung und politischen Unterdrückung von staatlichen Nachstellungen nahezu unbehelligt funktionieren kann.

Informationen über die Praxis politischer Morde in Kolumbien haben keineswegs einen Enthüllungscharakter, denn seit Jahren klären Menschenrechtsorganisationen über diese Verbrechen und deren politische Implikationen auf. So wies unter anderem auch die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch mit Sitz in bzw. Nähe zu Washington darauf hin, daß ihrer Schätzung nach zwischen 1986 und 2008 in Kolumbien rund 2.500 Gewerkschafter umgebracht wurden und daß 98 Prozent dieser Morde unaufgeklärt blieben. Präsident Alvaro Uribe, dem eine persönliche Nähe zu den paramilitärischen Truppen des Landes nachgesagt wird, hatte im Jahre 2005 mit dem Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden angeblich deren Demobilisierung bewirken wollen, ohne daß in der Folgezeit die Zahl ermordeter Gewerkschafter rückläufig geworden wäre.

Nach den ersten, 2006 verübten Morden an führenden Persönlichkeiten sozialer Bewegungen drängte sich der Verdacht auf, daß die illegalen Truppen der sogenannten Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) nicht wirklich aufgelöst, sondern lediglich in Truppenverbände, die nun unter dem Namen "Neue Generation" in Erscheinung traten, umbenannt worden waren. Offiziell wurde der Regierung Uribe von ihren westlichen Partnerländern allerdings bescheinigt, durch ihre Politik der "demokratischen Sicherheit", ein Titel, hinter dem sich die Militarisierung des Landes verbarg, für Sicherheit und Ordnung sorgen zu wollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel erneuerte zu einem Zeitpunkt, an dem auch der UN-Menschenrechtsrat eine erschütternde Bilanz über die politischen Morde in Kolumbien vorgelegt hatte, ihre Präsident Uribe schon im Mai 2008 bei einem Besuch in Bogotá zugesicherte Rückendeckung.

Im Dezember 2008 hatte der UN-Menschenrechtsrat, eine Nachfolgeorganisation der UN-Menschenrechtskommission, Zahlen und Fakten veröffentlicht, denen zufolge seit dem Amtsantritt Uribes im August 2002 14.000 Menschen in Kolumbien "verschwunden" sind oder gewaltsam ums Leben kamen. Nach Angaben der Kolumbianischen Juristenkommission (CCJ) gingen die Tötungen zu 17,5 Prozent direkt auf das Konto der Sicherheitskräfte, während die überwiegende Mehrheit von ultrarechten Paramilitärs verübt wurde. Besonders häufig fielen Gewerkschafter den Mordanschlägen zum Opfer, wobei eine steil ansteigende Tendenz auszumachen ist. So wurden allein im Jahr 2008 in Kolumbien 40 Gewerkschafter ermordet, im Jahr zuvor waren es bereits 39. All dessen völlig ungeachtet wurde Präsident Uribe am 31. Januar dieses Jahres mit allen militärischen Ehren in Berlin von Bundeskanzlerin Merkel empfangen.

Die Rufe etlicher Aktivisten, unter ihnen Vertreter von Amnesty international, die vor dem Bundeskanzleramt "Asesino" (Mörder) riefen, fochten die Kanzlerin offensichtlich ebensowenig an wie der jüngste Bericht des UN-Menschenrechtsrats. Andernfalls hätte sie die Uribe bereits im Mai 2008 zugesicherte Rückendeckung für seinen eingeschlagenen harten Kurs gegenüber "Guerillaorganisationen und Drogenbaronen" überprüfen und revidieren können. Von einer solchen Kurskorrektur gegenüber dem Regime eines südamerikanischen Landes, das in einem anderen politischen Kontext auch von den westlichen Staaten wohl längst als "faschistisch" bezeichnet worden wäre, war allerdings nichts zu vernehmen, und so ist auch jetzt unschwer vorherzusagen, daß die deutsche Bundesregierung den massiven Angriff auf die deutschen und Schweizer Fernsehjournalisten, denen "Bei Berichterstattung Mord" angedroht wurde, geflissentlich übergehen wird.

5. März 2009