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DILJA/1117: Folterlager Guantánamo - neue US-Administration betreibt Imagepflege (SB)


Folterlager Guantánamo - ein Makel auf der weißen Weste der USA?

Die neue Administration Präsident Obamas bemüht sich, das weltweit schlechte Ansehen der USA aufzupolieren


Unmittelbar nach seinem Amtsantritt hat der neue US-Präsident Barack Obama die Schließung des US-Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba bis spätestens Januar 2010 verfügt. Damit wollte der neue Hoffnungsträger im Weißen Haus dem Folterlager, durch das die USA weltweit während der Regentschaft George Bushs erheblich an Ansehen verloren hatten, seine zerstörerische Wirkung nehmen bzw. diese reduzieren - allerdings nicht in Hinsicht auf die rund 250 Gefangenen, die dort immer noch ausharren müssen und von denen sich bereits Mitte Januar 42 im Hungerstreik befanden, sondern in Hinsicht auf den lädierten Ruf der westlichen Führungsmacht. Dieser Unterschied ist keineswegs marginal, und so sind nicht nur der Präsidentenerlaß zur Schließung Guantánamos, sondern auch zwei weitere Verordnungen Obamas mit größter Vorsicht zu prüfen. Der neue Amtsinhaber hatte ebenfalls im Januar ein Verbot von Folter-Verhörmethoden sowie eine Überprüfung im bisherigen Umgang der US-Behörden mit sogenannten "Terrorverdächtigen" angeordnet.

Mit letzterer wurde Admiral Patrick M. Walsh beauftragt, der inzwischen einen Bericht vorlegte, demzufolge die Genfer Konventionen über den Umgang mit Gefangenen in Guantánamo eingehalten worden seien und auch sonst dort alles zum besten stünde. Allem Anschein nach enthalten die Genfer Konventionen bis zur völligen Unkenntlichkeit dehnbare Begriffe. So befand Walsh, daß die Zwangsernährung hungerstreikender Gefangener - im Januar wurden von den 42 Hungerstreikgefangenen 31 zwangsernährt - mit den Genfer Konventionen vereinbar sei, obwohl Menschenrechtsorganisationen diese seit 2002 angewandte Praxis des US-Militärs wieder und wieder kritisiert haben.

Mit der Begründung, ihr Leben retten zu wollen, werden die Hungerstreikenden auf spezielle Stühle fixiert. Gewaltsam wird ihnen durch die Nase bis in den Magen ein Schlauch eingeführt. Oft bleiben die Gefangenen, um sie am Erbrechen der zugeführten Nahrung zu hindern, stundenlang an die Stühle gefesselt. Das Pentagon wird triftige Gründe haben, diese speziellen Stühle der Öffentlichkeit nicht zu zeigen.

Nun ist Admiral Walsh alles andere als eine unabhängige Untersuchungskommission. Hätte die neue US-Regierung die Überprüfung der Haftbedingungen sowie der gegen die Guantánamo-Häftlinge eingesetzten Verhörmethoden mit einer gewissen Plausibilität durchführen wollen, hätte sie die Vereinten Nationen bitten können und einer aus internationalen Experten zusammengesetzten Kommission ungehinderten Zutritt zu dem gesamten Lager und allen Insassen zu gestatten. Einen hochrangigen Angehörigen des US-Militärs mit der Untersuchung von Vorwürfen zu beauftragen, die das US-Militär betreffen, läßt sich daher schon im Ansatz als Versuch entlarven, das international lädierte Ansehen der USA durch Bestrebungen aufzupolieren, die Folterrealität dieses (und weiterer) US-Gefangenenlagers schönzureden bzw. wegzubehaupten.

Nach Angaben des US-Militärs werden auf Guantánamo 60 Menschen festgehalten, denen keine Straftat nachzuweisen ist; doch auch die meisten der übrigen rund 180 Inhaftierte erhalten kein Strafverfahren. Lediglich gegen 21 Häftlinge wird vor einem Militärrichter in Guantánamo ein Verfahren durchgeführt, das nach rechtsstaatlichen Maßstäben nicht als "fair" bezeichnet werden kann. Somit stellen nicht nur die Folterungen, sondern auch die langjährigen Inhaftierungen der zuvor verschleppten Menschen schwerste Verletzungen internationaler Bestimmungen dar. All dies ficht die Regierung Obama, die sich in den ersten Tagen noch sehr bemüht hatte, vor den Medien gerade auch in Hinsicht auf das Reizthema Guantánamo den Eindruck zu erwecken, es wehe nun ein deutlich anderer Wind, nicht an.

Kurze Zeit nach dem von Präsident Obama medienwirksam verfügten Folterverbot wurden jedoch die berühmt-berüchtigten Hintertüren installiert, um den größtmöglichen Nutzen in Sachen Imagepflege der USA mit der Fortsetzung der gewaltsamen "Antiterror"-Politik zu verbinden. In Einrichtungen, in denen Menschen nur kurz und vorübergehend festgehalten werden, soll das Folterverbot nämlich nicht gelten. Geheimgefängnisse, wie sie von der CIA betrieben wurden, sind zwar verboten, nicht jedoch die Fortsetzung der Politik der "renditions", also die Auslagerung der Folter an die entsprechenden Dienste in befreundeten Folterstaaten wie Ägypten oder Jordanien, denen Inhaftierte zur verschärften Vernehmung überstellt werden können.

Für die Betroffenen der US-Internierungs- und Folterpraxis könnte sich der Personalwechsel im Weißen Haus unter Umständen sogar noch negativ auswirken, weil die verstärkte Politik der Imagepflege dazu führen könnte, die Gefangenen noch stärker als bisher von Kontakten zu Dritten fernzuhalten, damit nicht die geringsten Anzeichen einer nur umso versteckteren Folterrealität an die Öffentlichkeit gelangen können. Wäre es der neuen US-Regierung oder ihren europäischen Verbündeten an einer tatsächlichen Aufklärung und Beendigung der katastrophalen Zustände in den Folterstätten der US-Militärs bzw. der westlichen Geheimdienste gelegen, hätten sie dem Bericht des ehemaligen Guantánamo-Gefangenen Binyam Mohamed größte Aufmerksamkeit entgegengebracht. Der seit seinem 15. Lebensjahr in London lebende Äthiopier ist als erster Guantánamo-Häftling nach Obamas Amtsantritt freigelassen worden und hat nach seiner Ankunft in London schwerste Vorwürfe auch gegen den britischen Geheimdienst erhoben.

Demnach waren auch britische Agenten an den Folterungen, die er während seiner vier Jahre und fünf Monate andauernden Gefangenschaft auf Guantánamo erleiden mußte, beteiligt. "Die Leute, von denen ich gehofft hatte, daß sie mich retten würden, haben sich mit meinen Peinigern zusammengetan", hat der Freigelassene laut Agenturberichten in London erklärt. Scotland Yard unterzog den heute 30jährigen einem fünfstündigen Verhör. In einer von seinen Anwälten verbreiteten Erklärung ließ dieser wissen, daß er auf mittelalterlich grausame Weise gefoltert wurde und Dinge erlebt habe, die er sich in seinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte vorstellen können. So wurden auf seine Wunden Chemikalien getan, auch sei er sexuell gedemütigt worden und mußte zweieinhalb Jahre in Isolationshaft verbringen. In auffälliger und nicht im mindesten überraschender Weise ähnelt seine Leidensgeschichte der des Deutsch-Türken Murat Kurnaz, der nicht nur seine Mißhandlungen, sondern auch die Beteiligung in seinem Fall deutscher Dienste an seinem Martyrium offenlegte.

Der neue Wind, der angeblich in Washington wehrt, droht nun die Lage für die rund 250 Menschen, die noch immer in Guantánamo inhaftiert sind, sogar noch zu verschlechtern, weil zu befürchten steht, daß sie nach der angekündigten Schließung des Lagers in spätestens einem Jahr lediglich an einer anderen Stelle - in den USA selbst oder auch in einem Drittland - in der Versenkung verschwinden sollen. Der einzige Überprüfungsmaßstab, der an Obamas Ankündigungen anzulegen wäre, bestünde in der fristlosen Freilassung all der Menschen, an denen das US-Militär durch illegale Verschleppungen und Inhaftierungen sowie schlimmste Mißhandlungen schwerste Verbrechen begangen hat - alles andere offenbart die Fortsetzung derselben irregulären Art der Kriegführung unter der Maßgabe einer verbesserten Außendarstellung.

26. Februar 2009