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DILJA/1108: ECFR (6) - Ein kleiner Zirkel mit Weltmachtsambitionen (SB)


European Council on Foreign Relations (ECFR) - Teil 6

Wer beeinflußt wen? Ein kleiner Zirkel will die Welt an einem starken Europa genesen lassen


Am 16. Oktober 2008 machte der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan anläßlich des Welternährungstages der Vereinten Nationen auf den täglichen Hungertod in der Welt aufmerksam. In der Dritten Welt, so Annan, verhungern jeden Tag 10.000 Kinder. Für das Jahr 2009 sagte er voraus, daß die Zahl der Menschen, die weltweit an Hunger und Unterernährung leiden, um weitere 50 Millionen auf 970 Millionen ansteigen würde. Im Dezember bestätigte die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, FAO) die Prognose, daß sich die Zahl hungernder Menschen weltweit einer Milliarde annähern würde. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, so die Einschätzung der FAO, habe noch mehr Menschen in Armut und Hunger gestoßen.

Nahrungsmangel, Hunger und Hungertod stellen eine weltweite Dauerkatastrophe dar, der in der sogenannten Weltöffentlichkeit ein Maß an Aufmerksamkeit und Besorgnis zugewandt wird, das in einem diametral umgekehrten Verhältnis zu der hohen Zahl täglich sterbender Menschen steht. Die "entwickelte" Welt überwiegend westlicher Industriestaaten, die sich schon begrifflich deutlich absetzt von den sogenannten "Entwicklungs- und Schwellenländern", in denen die Mehrheit der Hungernden lebt, hat aus naheliegenden Gründen kein primäres Interesse an einer grundsätzlichen Inangriffnahme des Hungerproblems, für dessen Behebung oder auch nur nennenswerte Minderung keinerlei plausible Lösungskonzepte bestehen.

In der noch wohlhabenden und vom weltweiten Hunger in geringerem Ausmaß betroffenen Zone des Nordens, wie die Staaten Europas und Nordamerikas auch genannt werden, lebt rund ein Fünftel der Weltbevölkerung zulasten der übrigen Regionen, deren zum Teil schon sehr extremes Elend keineswegs das Resultat naturgesetzmäßiger Entwicklungen darstellt, sondern am Ende einer jahrhundertelangen Geschichte von Eroberung, Ausplünderung, Kolonialisierung, wirtschaftlicher Abhängigkeit und Schuldknechtschaft steht. All dies ist sattsam bekannt und bedürfte eigentlich keiner weiteren Erwähnung, würden nicht die administrativen Kräfte des reichen Nordens in ihrem Bestreben, sich angesichts der sich abzeichnenden Zuspitzung des weltweiten Nahrungsmangels die Verfügung über die verbliebenen verwertbaren Substanzen weltweit zu sichern, immer wieder den Versuch unternehmen, sich gegenüber der übrigen Welt als Wohltäter auszugeben.

Schon heute leben 65 Prozent der Hungernden in Indien, China, Indonesien, Pakistan, Bangladesch, dem Kongo und Äthiopien. In Zahlen ausgedrückt hungern in Asien 600 Millionen und in den südlich der Sahara gelegenen Staaten Afrikas 300 Millionen Menschen. Nicht nur die USA, auch die EU-Staaten unternehmen in zunehmendem Maße konkrete Anstrengungen, um im Vorwege denkbarer Armuts- und Hungerrevolten oder noch massiverer Flüchtlingsströme repressive Vorkehrungen zur Bewältigung bzw. Abwehr dieser Probleme zu schaffen. In Europa wird nicht der Hunger auf dem afrikanischen Nachbarkontinent, sondern der Zustrom von Hungerflüchtlingen als Problem gesehen, was längst zu rigiden Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr geführt hat.

Theoretisch müßten Flüchtlinge und Vertriebene, die sich "außerhalb ihres Heimatlandes" befinden, auf Unterstützung rechnen können. Die Genfer Flüchtlingskonvention, die am 28. Juli 1951 verabschiedet und von 143 Staaten unterzeichnet wurde, stellte in Aussicht, daß das UNHCR (das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) unabhängig von Rasse, Religion, Geschlecht oder politischer Meinung Sofort- und Rechtshilfe leisten sowie bei der Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Heimatländer behilflich sein würde. Zu jener Zeit wird man an Kriegsflüchtlinge und sonstige Vertriebene, nicht jedoch an Hungerflüchtlinge gedacht haben, die ihrer Heimat aus purer Überlebensnot zu entkommen suchen und in eine Bastion relativen Wohlstands und befristeter Überlebensoptionen eindringen wollen, die sich aufs allerentschiedenste abschottet.

Die humanitären Kerngedanken, die der Genfer Konvention anhaften, stellen heute einen Anachronismus brutalsten Ausmaßes dar, weil die Tatsachen längst eine ganz andere Sprache sprechen. Wären die Behauptungen, den Hungernden helfen zu wollen, je etwas anderes gewesen als der Versuch, die Verlierer der weltweiten Handels- und Raubordnung darüber hinwegzutäuschen, daß ihr Schicksal aus Sicht des reichen Nordens längst besiegelt ist, hätte die stetig wachsende Zahl hungernder Menschen kaum die 1-Milliarde-Schwelle erreichen können. Vor diesem Hintergrund mutet es geradezu makaber an, wenn der "European Council on Foreign Relations" (ECFR), der im Oktober 2007 gegründete, wohl einflußreichste Thinktank Europas [1], in der von seinen 50 Gründungsmitgliedern unterzeichneten Grundsatzerklärung die Behauptung aufstellt, nicht nur die Europäer würden von einem starken Europa, sondern auch die übrige Welt würde von einer starken Europäischen Union profitieren. ("Europeans will benefit from having a stronger voice in the world and the world will benefit from a stronger European Union." [2])

Dazu muß man wissen, daß dieser Thinktank die Durchsetzung der Interessen eines mit starker Stimme sprechenden Europas im letzten Schritt auch mit militärischen Mitteln propagiert. Was im Rahmen der Gesamt-EU noch lange nicht konsensfähig ist und unter Umständen auch nie von allen Mitgliedsstaaten, insbesondere den kleineren, getragen werden würde, wird in diesem kleinen Zirkel keineswegs nur theoretisch vorgedacht. Ihm gehören Mitglieder an, die an nahezu allen Schaltstellen des politischen Geschehens in der EU, aber auch in internationalen Organisationen sitzen und somit für ein reibungsloses Hineinwirken der Prinzipien des ECFR in die gröberen und schwerfälligeren Umsetzungsapparate sorgen können.

Andre Wilkens beispielsweise vereint die beiden Seiten derselben Medaille in seiner Person. Als geschäftsführender Direktor des Open Society Instituts in Brüssel gehört er dem ECFR als Gründungsmitglied an. Die Institute "offener Gesellschaften" gehören zum Stiftungsimperium des US-Milliardärs George Soros, einem weiteren Gründungsmitglied und zugleich auch Hauptfinanzier des ECFR, und so personifiziert auch Wilkens die Symbiose zwischen zentralen Leitungsfunktionen und zivilgesellschaftlichem Tarnanstrich. In der aktuellen Mitgliederliste des ECFR [3] wird Wilkens jedoch aufgeführt als Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, in dem er an führender Position für den Kommunikationsdienst tätig ist. Eine solche Doppelfunktion käme der Quadratur des Kreises gleich. Würde das UN-Hilfswerk tatsächlich und ausschließlich das Ziel verfolgen, allen Flüchtlingen ungeachtet ihrer Herkunft oder sonstiger Eigenschaften in ihrer schweren Lebenslage zu helfen, wäre dies mit dem Ansinnen, ein geeintes, schlagkräftiges EU-Europa zu schaffen, schwerlich zu vereinbaren.

Unter der Annahme jedoch, daß auch die Hilfsorganisationen der Vereinten Nationen nur im Nachrang ihren behaupteten Zielen nachkommen (können) und zuvorderst administrative Hilfsdienste für die Staatenwelt des reichen Nordens übernehmen (müssen), ist schnell nachzuvollziehen, warum es aus Sicht des ECFR und damit der in ihm vertretenen europäischen bzw. transatlantischen Führungselite sehr wohl sinnvoll und nützlich sein kann, durch ein eigenes, im UNHCR aktives Mitglied die reibungs- und lautlosen Abläufe einer weltweiten Hunger- und Mangeladministration zu begünstigen.


[1] Zum European Council on Foreign Relations (ECFR) siehe in POLITIK\MEINUNGEN:
DILJA/1079: ECFR (1) - Europäischer Thinktank mit Griff zur Weltherrschaft (SB)
DILJA/1080: ECFR (2) - Zweites Bein transatlantischer Weltmachtsbestrebungen (SB)
DILJA/1083: ECFR (3) - Ein elitärer Zirkel will Europa zur Kriegsmacht machen (SB)
DILJA/1084: ECFR (4) - Die EU-Militarisierung auf leisen Sohlen vorantreiben (SB)
DILJA/1107: ECFR (5) - Ein ECFR-Mitglied wird neuer Bundeswirtschaftsminister (SB)

[2] http://www.fride.org/page/12/ecfrs-statement-of-principles

[3] http://www.ecfr.eu/content/council/

10. Februar 2009