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DILJA/1098: Linkspartei in der Haltung zur Kriegführung Israels uneins (SB)


Die Linkspartei und der Krieg Israels im Gazastreifen

Diametral entgegengesetzte Positionen drohen die Partei mit dem größten Oppositionspotential von innen heraus zu lähmen


Kontroversen und Widerspruchslagen, ja sogar konträre Standpunkte und vehement geführte inhaltliche Debatten und Streitgespräche könnten Ausdruck einer lebendigen politischen Kultur sein, die jeder demokratischen und in einem pluralistischen Meinungsbildungsprozeß befindlichen Partei zur Ehre gereicht. Die Tendenzen allerdings, die derzeit in der Linkspartei insbesondere in der prekären Frage zur Haltung zu Israel oder vielmehr zur Kriegführung Israels derzeit zu verzeichnen sind, lassen eher an eine systematisch betriebene Initiative zur Durchsetzung israelischer Maximalpositionen denken als an einen demokratischen Disput. Wer die Äußerungen einzelner Politiker oder auch bestimmter Parteiorganisationen Revue passieren läßt, wird kaum glauben oder inhaltlich nachvollziehen können, daß sie aus ein- und demselben politischen Zusammenhang stammen und allesamt der Linkspartei angehören.

Wolfgang Gehrcke beispielsweise, Obmann der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages und Mitglied des Parteivorstandes der Partei Die Linke, widersetzte sich in einem in der jungen Welt veröffentlichten Gespräch dem auch in der Bundesrepublik gemeinhin vorherrschenden Standpunkt, der Krieg Israels im Gazastreifen gelte der Hamas, wie folgender Passage [1] zu entnehmen ist:

In dem seit 13 Tagen anhaltenden Krieg gegen die Hamas ist Israel gestern auch aus dem Libanon heraus mit Raketen beschossen worden. Falls sich der Konflikt ausweitet, könnte sogar der Iran ins Spiel kommen, der als Förderer der libanesischen Hisbollah gilt. Stehen wir vor einem Flächenbrand?

Die Gefahr ist offensichtlich, daß sich der Krieg ausweitet. Ich darf Ihrer Frage aber in einem Punkt widersprechen: Es ist kein Krieg gegen die Hamas, sondern er trifft die Menschen in Gaza. Sie sind eingekesselt, werden aus der Luft, vom Land und von der See her beschossen.

Im weiteren Verlauf des Gesprächs machte Gehrcke den seiner Meinung nach auch vom Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi geteilten Standpunkt deutlich und stellte klar, daß sie beide wie auch die gesamte Bundestagsfraktion der Linkspartei sowohl mit Israel als auch mit Palästina solidarisch seien, weil beide Völker im Leiden aneinander gebunden seien und dieses Problem nur gemeinsam zu lösen sei. Ein solcher Standpunkt, wie er im übrigen auch vom inzwischen verstorbenen früheren FDP-Politiker Jürgen Möllemann eingenommen wurde, müßte mit dem politischen Selbstverständnis der im Bundestag vertretenen Parteien verträglich sein, da er ein Bekenntnis zu Israel, nur nicht eben ausschließlich zu Israel enthält. Doch nicht nur innerhalb des Bundestages, auch innerhalb der Linkspartei selbst scheint dieser in seinem Kern höchst moderate und ebenso kompromiß- wie versöhnungswillige Standpunkt nicht unumstritten zu sein.

Weitaus deutlicher noch als Gehrcke nahm nach Kriegsbeginn mit Norman Paech ein weiterer prominenter Mandatsträger Stellung. Paech, emiritierter Professor für Völkerrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg und außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken, erklärte in einer am 2. Januar 2009 in Hamburg gehaltenen Rede [2]:

Der jüngste Luftkrieg gegen den Gazastreifen ist ein von langer Hand vorbereiteter Angriff, der nicht etwa eine spontane Reaktion auf die Raketen der Hamas ist. Der Zeitpunkt ist genau kalkuliert: es ist nicht das erste Mal, dass ein Krieg die Wahlchancen der härtesten Kriegstreiber verbessern soll - und in Israel stehen Neuwahlen unmittelbar bevor. (...)

Die Politik der letzten Jahre hat nie ein ernsthaftes Anzeichen für einen wirklichen Friedenswillen erkennen lassen. Ja, sie ist kriminell, wenn wir die Folgen der Luftangriffe sehen, die zu einem Massaker unter der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen geführt haben. Sie sind durch kein Recht auf Selbstverteidigung oder Notwehr legitimiert, wie es Noch-Präsident Bush und Bundeskanzlerin Merkel behaupten. Das sind eindeutige Kriegsverbrechen, eine vollkommen unverhältnismäßige Reaktion auf die Raketen der Hamas. Der Gazastreifen ist mit 365 km² kaum halb so groß wie Hamburg mit 755 km². Er hat aber mit 1,5 Millionen Menschen fast so viele Einwohner wie Hamburg mit 1,7 Millionen. Er ist das dichtestbesiedelte Land der Welt. Kein Luftangriff kann die von dem Kriegsvölkerrecht geforderte Unterscheidung zwischen geschützten Zivilisten und legitimen Kampfgegnern gewährleisten.

Paech bezeichnete den Krieg der Israelis jedoch nicht nur als Kriegsverbrechen und begründet dies völkerrechtlich, er nimmt auch zu der Frage, ob denn die unter der Besatzung lebende Bevölkerung des Gazastreifens - und damit auch die Hamas als deren gewählte Regierung - nicht das Recht auf Widerstand habe:

Wie jedes Volk unter rechtswidriger Besatzung haben auch die Palästinenser ein Recht auf Widerstand. Für eine rechtswidrige Besatzung gibt es aber kein Recht auf Verteidigung, sondern nur die Verpflichtung, die Besatzung vollständig aufzuheben. Während der letzten sieben Jahre sind 14 Israelis zumeist durch Raketen vom Gazastreifen getötet worden. In der gleichen Zeit wurden mehr als 5000 Palästinenser mit Waffen getötet, die auch aus den modernsten Arsenalen der US-Armee stammen. Und während keine Raketen vom Westjordanland aus abgeschossen wurden, starben dort allein dieses Jahr 45 Palästinenser von israelischer Hand. Das ist die Realität der Besatzung, in der jede Art von Waffenstillstand nur dann einen Sinn hat, wenn die Besatzung selbst verschwindet.

Da sich die Bundesregierung und mit ihr auch die überwiegende Mehrheit der im deutschen Bundestag vertretenen Parteien eindeutig auf die Seite Israels geschlagen und deren Lesart bzw. Rechtfertigungslegende vollinhaltlich übernommen haben, wäre eine von der Linken durch ihren außenpolitischen Sprecher Norman Paech vorgetragene Diskussionsanregung nur zu begrüßen, um im Parlament wie auch in der deutschen Öffentlichkeit eine unvoreingenommene Debatte zu der Frage anzustoßen, wie denn die bekundete Solidarität zu Israel in dem Fall einer vollkommen völkerrechtswidrigen Kriegführung und Besatzungspolitik gegenüber den Palästinensern auszugestalten wäre. Die Linkspartei scheint in dieser Frage jedoch nicht nur zerstritten oder gespalten, sondern fast schon zur Bewegungslosigkeit gelähmt zu sein durch eine innerparteiliche Fraktion, die den von ihr bezogenen pro-israelischen Standpunkt, der sogar der Maximalposition der Regierung Olmert entspricht, in recht aggressiver Weise vertritt und namentlich Norman Paech direkt zu diskreditieren sucht.

Im Sommer vergangenen Jahres, als die Linkspartei nach dem Cottbusser Parteitag in der Öffentlichkeit gar nicht so schlecht dastand und als mögliche Protestpartei durchaus wahrgenommen wurde, machte innerhalb der Linksjugend, also der Jugendorganisation der Linkspartei, ein "Bundesarbeitskreis Shalom" (BAK Shalom) von sich reden. Dieser Arbeitskreis repräsentierte nicht etwa nur den "Realo"-Flügel innerhalb der Partei, der traditionsgemäß mit eher klassisch kommunistischen Linken, wie sie in der Kommunistischen Plattform aufzufinden sind, im Streit liegt, sondern vertrat Positionen, bei denen sich jeder Interessierte unweigerlich fragen müßte, weshalb sich die Repräsentanten dieser Formation überhaupt eine linke Partei ausgesucht haben.

BAK Shalom bezeichnet sich auf seiner eigenen Website als "Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus", wobei schon der letzte Begriff die von diesem Arbeitskreis beanspruchte Position offenbart, nämlich zu entscheiden, welcher Antikapitalismus im Gegensatz zu einem "repressiven" richtig sei. Das riecht nach einem "großen Zensor", der innerhalb einer Partei mit einem wenn auch verwässerten, so doch keineswegs vollends preisgegebenen linken Anspruch mit mißliebigen Positionen aufräumen will, wobei der Solidarität mit Israel, an dieser Stelle verstanden als nahtlose Übernahme der Positionen der inzwischen kriegführenden Regierung Olmert, ein besonderer Stellenwert eingeräumt wurde. Der Grundsatzerklärung des BAK Shalom [3] ist insofern Aufschlußreiches zu entnehmen:

Die Gründung einer Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus innerhalb des Jugendverbandes Linksjugend ['solid] ist seit langem überfällig. Die Linke in Deutschland hat diese Themen nie als zentralen Bestandteil ihrer Gesellschaftskritik gesehen.

Die Entwicklungen der letzten Jahre, besonders nach den islamistischen Anschlägen in New York City am 11. September 2001, haben die Virulenz deutlich werden lassen, sich genau mit den Themen unseres Bundesarbeitskreises zu beschäftigen. Entgegen ihrer Selbsteinschätzung war die Linke nie gefeit vor regressivem Denken.

Gesamtgesellschaftlich gibt es einen erschreckend hohen Prozentsatz an antisemitisch eingestellten Personen aus allen politischen Lagern und in der Mitte der Gesellschaft. (...)

Heute manifestiert sich der Antisemitismus meist nicht mehr in seiner klassischen Gestalt. Die Ermordung der europäischen Juden hat zu einer Verschiebung des antisemitischen Ressentiments geführt. Die neue Form des "sekundären Antisemitismus" zeigt sich unter anderem im Antizionismus. (...)

Israel ist auch die Staat gewordene Konsequenz aus Auschwitz und den anderen Vernichtungslagern der Nationalsozialisten. Der gesellschaftliche Umschlag in die Barbarei macht einen jüdischen Staat als Bollwerk gegen antisemitische Verfolgung zu einer Notwendigkeit. Deshalb sind wir solidarisch mit Israel, was auch eine Solidarität mit Verteidigungsmaßnahmen aller Art einschließt. (...)

Dass Linke häufig reaktionäre Regime verteidigen statt diese zu kritisieren, resultiert aus einem obsoleten Antiimperialismus, der durch ein manichäisches Denken gekennzeichnet ist. Eine kompromisslose Absage an den Antiimperialismus ist die Voraussetzung für die Neukonstituierung einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik.

Das Kernstück des Antiimperialismus ist der Hass auf die Vereinigten Staaten von Amerika, auf die alle Übel der Welt projiziert werden. Im schlimmsten Fall wird die vermeintliche jüdische Dominanz angeprangert. Dies ist die offene Flanke hin zum Antisemitismus.
(...)

Es liegt auf der Hand, warum angesichts einer solchen Grundsatzerklärung Unmut innerhalb der Linkspartei aufkam und Initiativen ergriffen wurden, um einem solchen Verständnis von "links" in der eigenen Partei bzw. der ihr politisch nahestehenden Linksjugend entgegenzutreten. So wurde im BundessprecherInnenrat beschlossen, daß der BAK Shalom für seine Öffentlichkeitsarbeit nicht länger die Haushaltsmittel des Jugendverbandes in Anspruch nehmen könne, wofür dessen Satzung insofern eine Handhabe bot, als dafür keine Zustimmung des BundessprecherInnenrates vorlag. Einen politisch brisanten Konflikt auf solch formale Weise zu lösen, erwies sich als nicht tragfähig, und so konnte der BAK Shalom diesen Versuch, ihn entweder inhaltlich zu reformieren oder ihn von der Linksjugend abzukoppeln, abwehren. Heute scheint der BAK Shalom fester denn je im Sattel zu sitzen.

Am 5. Januar 2009 gab Benjamin Krüger, Bundessprecher des BAK Shalom, anläßlich der gegen die Kriegführung Israels durchgeführten Demonstrationen eine Presseerklärung [4] heraus, in der Norman Paech direkt attackiert wird. Darin heißt es es unter anderem:

Die Militäroffensive hat das Ziel, die Raketenangriffe der Hamas auf das israelische Staatsgebiet zu beenden. Seit 2001 wurde Israel über 10000mal mit Raketen beschossen. Es ist daher vollkommen unverständlich, warum diese Tatsache auf allen Demonstrationen vollkommen ignoriert oder im schlimmsten Fall sogar noch bejubelt wird. Nicht selten wurde auf den Demonstrationen ganz offen die Auslöschung Israels gefordert, die dritte Intifada propagiert und Israel beschuldigt, einen Völkermord bzw. einen "neuen Holocaust" zu betreiben. Dies stellt nicht nur eine unentschuldbare Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus dar, sondern ist auch fernab jeder Realität. 400 Tote durch die Luftangriffe als "Völkermord" zu bezeichnen, ist absurd. Jeder Tote Zivilist ist ein Toter zuviel, jedoch muss klar benannt werden, dass die Hamas nicht nur die alleinige Schuld an der erneuten Eskalation des Konflikts trägt, sondern die Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen ganz bewusst als menschliche Schutzschilde benutzt und damit ihren Tod mehr als billigend in Kauf nimmt.

Außerdem ist es schockierend, dass Funktionäre der Linkspartei zum Teil an maßgeblicher Stelle an diesen Demonstrationen mitgewirkt haben. Dass der außenpolitische Sprecher der LINKEN- Bundestagsfraktion, Norman Paech, am 02. Januar in Hamburg vor einer Fahne der Terrororganisation Hamas von einem Massaker der Israelis an den Palästinensern sprach, ist unerträglich. Die Hamas steht auf der Terrorliste der Europäischen Union und vertritt eine durch und durch reaktionäre und frauenfeindliche Ideologie. Ebenso verurteile ich die Beteiligung von Linksparteifunktionären in Berlin und NRW an den Demonstrationen.

Die naheliegende Frage, warum Benjamin Krüger und andere Mitglieder dieses Arbeitskreises sich nicht von vornherein in einer Partei engagiert haben, in der die von ihnen bezogenen Positionen bereits vorherrschender Konsens sind, läßt sich schwerlich beantworten. Die Vermutung jedoch, daß durch den BAK Shalom auf eine potentiell auch gegenüber der israelischen Kriegspolitik kritischen Partei wie eben der LINKEN Einfluß genommen werden soll, kann keineswegs ausgeschlossen werden.


Anmerkungen:

[1] "Das ist doch ein absurdes Theater". Linke im Bundestag bleibt beim kategorischen Nein zur deutschen Beteiligung an einem Blauhelmeinsatz, Gespräch mit Wolfgang Gehrcke, von Peter Wolter, junge Welt, 9.1.2009, S. 2

[2] Wer rechtswidrig besetzt, hat kein Recht auf Verteidigung, von Norman Paech, im Schattenblick unter BÜRGER & GESELLSCHAFT\FAKTEN; STANDPUNKT/101

[3] Grundsatzerklärung des BAK Shalom der Linksjugend ['solid], http://bak-shalom.de/index.php/wir/

[4] Pressemitteilung des BAK Shalom der Linksjugend ['solid] vom 5. Januar 2009,
http://bak-shalom.de/index.php/2009/01/04/pressemitteilung-05-januar-2009-demonstrationen-gegen-israel/

15. Januar 2009