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LAIRE/1267: Muslime haben das heutige Deutschland mitgegründet (SB)


Muslimen-Bashing aus der Mitte der Gesellschaft

Neuer Innenminister fischt am rechten Rand


Kaum im Amt gefällt sich der neue Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) im Verbreiten provozierender Äußerungen. "Dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt", wird er in der Presse zitiert. Die Absicht des Ministers, eine solche Aussage zu treffen, ist nicht mißzuverstehen: Er will den Muslimen vor's Schienbein treten. Wäre es anders, hätte er sich die Aussage sparen können. Gewiß wird Friedrichs Einstellung bei einer bestimmten Klientel am rechten politischen Rand, um den die CSU traditionell wirbt und gegenüber dem sie sich zugleich abzugrenzen bemüht, gut ankommen. Zumal jene Kreise noch um "ihren" Guttenberg trauern und sich bei ihnen ein nicht unerhebliches Protestpotential aufgebaut hat.

Bevor jemand mit inbrünstiger Überzeugung behauptet, was nicht zu Deutschland gehöre, müßte er eigentlich erklären, was er unter "Deutschland" versteht. Der Begriff selbst existiert zwar bereits seit dem 17. Jahrhundert, doch gibt es dazu keine entsprechende Kontinuität der Staatsform. Dem 1990 wiedervereinigten Deutschland gehen die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik, diesen wiederum das Deutsches Reich, das Deutsche Kaiserreich, der Deutsche Bund und schließlich in vorvergangener Zeit das Heilige Römische Reich Deutscher Nation voraus. Wenn man also sagte, daß Deutschland als Staat historisch gesehen erst 21 Jahre alt ist, dann hätten daran auch mehrere Millionen Muslime teil, sie hätten Deutschland mitgegründet.

Nähme man dagegen den durchaus vertretbaren Standpunkt ein, daß Deutschland bereits durchgängig seit dem 19. Jahrhundert existiert, müßte man sich konsequenterweise die Frage stellen, ob es dann nicht heute noch den Adel, einen Kaiser oder gar einen Reichsführer geben müßte. Daß sie abgeschafft wurden, bedeutet, daß "Deutschland" einen Teil seiner Geschichte abgelegt hat, einen anderen dagegen nicht. Daraus folgt logischerweise, daß das, was heute zu Deutschland gehört, eine Frage der aktuellen Sichtweise ist.

An dieser Stelle erhält Friedrichs Aussage eine unmißverständliche, die Absicht zweifelsfrei zum Ausdruck bringende Bedeutung: Ihr Muslime gehört nicht zu Deutschland. Ihr seid geduldet, da ihr nun mal schon hier lebt, aber eigentlich seid ihr nicht erwünscht. Von einem Innenminister, der demnächst der Islamkonferenz vorsitzt, ist somit zu erwarten, daß er diesen, eine Minderheit diskreditierenden Standpunkt beibehalten wird. Friedrich ist kein Thilo Sarrazin und kein Geert Wilders, aber als Minister tritt er als Brückenbauer für deren Menschenbild, das sich offensichtlich aus einer entwickelten Islamfeindlichkeit nährt, in Funktion.

Im übrigen - und hier bekommt die ganze Angelegenheit eine neue Wendung -, erscheint die Frage nach dem Ist-Zustand Deutschlands nachrangig gegenüber der viel drängenderen Frage, was aus Deutschland werden soll. In welcher Gesellschaft wollen die Deutschen leben? Soll Deutschland ein Land werden, in dem es zur Staatsräson zu gehören scheint, mehrere Millionen Muslime zu marginalisieren, also ihre Religion zum Anlaß zu nehmen, um deren Anhänger generationenübergreifend als nicht-zugehörig zu definieren? Damit würden Muslime faktisch zu Bürgern zweiter Klasse gemacht. Wiese eine solche Gesellschaft nicht viel mehr Ähnlichkeiten mit der eines zutiefst abzulehnenden "Deutschland" auf, in der Menschen aufgrund ihres Glaubens und ihrer Gesinnung verfolgt wurden, als mit einer Gesellschaft, in der Religions- und Meinungsfreiheit gewährleistet werden und nicht zur Ausgrenzung führen?

4. März 2011