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LAIRE/1246: Senioren-Bashing - Deutschland "überaltert" angeblich (SB)


Generation der Gefährder?

Utilitaristen rechnen Rentner als Bedrohung der Gesellschaft

Statistisches Bundesamt legt neue Daten zur Zahl der Rentnerinnen und Rentner vor


Deutschland überaltert, die Lage spitzt sich dramatisch zu, lautet der Tenor einiger Kommentare zu den jüngsten Rentenzahlen, die das Statistische Bundesamt am Freitag herausgegeben hat. Ende 2009 befanden sich von den 81,8 Mio. Einwohnern in Deutschland 16,9 Mio. im Rentenalter, was einem Anteil von 20,7 Prozent entspricht. Die Zahl der älteren Menschen ist seit 1990 bundesweit um fünf Millionen bzw. 42 Prozent gestiegen.

Eigentlich sollte das eine freudige Nachricht sein, zeigt dieser Trend doch, daß bei so vielen Einzahlern die Rentenkasse gut gefüllt sein müßte ... Das ist sie allerdings nicht, denn die Regierung legt das Geld nicht an, sondern gibt es mit beiden Händen aus. Beispielsweise für einen Umzug von Bonn nach Berlin, für einen Krieg in Afghanistan, für Bad Banks, nur damit sie ihre Risiken in Bad Bad Banks verlagern können, und andere elitäre Projekte mehr.

Da die Menschen heutzutage älter werden als vor einigen Jahrzehnten, soll nun ihre Rente gekürzt werden, indem das Rentenalter auf 67 Jahre hinaufgesetzt wird. Die Rentenkasse werde übermäßig beansprucht, lautet die vermeintlich rationale Begründung. Weil an einem Industriestandort wie Deutschland die zunehmend technisierte Arbeitswelt zum generellen Abbau von Arbeit führt, wäre auch ein ganz anderer Umgang mit dem Phänomen der wachsenden Zahl von Rentnern vorstellbar. Beispielsweise daß sie dabei unterstützt werden, einen ruhigen, nicht von finanzieller Existenznot bestimmten Lebensabend zu verbringen. Da aber nicht genügend Arbeitsplätze für ältere Semester bereitgestellt werden, müssen sich selbst diejenigen, die zum Ausklang ihres Berufslebens nicht mehr arbeiten können, da sie ihre Gesundheit womöglich jahrzehntelang bei der Arbeit ruiniert haben, irgendwie bis zum Renteneintrittsalter durchschlagen oder empfindliche Abstriche von ihren Bezügen hinnehmen.

Statistisch gesehen altert die Bevölkerung, das ist eine korrekte Aussage. Daß sie "über-"altert, ist jedoch keine statische Aussage, sondern eine von Nützlichkeitsdenken geleitete Interpretation der statistischen Daten. Gleiches gilt für die Behauptung, daß sich die Lage in der Bundesrepublik "dramatisch" entwickelt habe. Das Drama liegt ganz auf Seiten des Beobachters! Für die Rentnerinnen und Rentner dagegen gerät diese Entwicklung erst dann zum Drama, wenn Leute an die Regierung kommen, die die wachsende Zahl von älteren Menschen im Verhältnis zu jüngeren als Bedrohung empfinden.

Wenn eine Handvoll Banken von der Regierung als "systemrelevant" bezeichnet und mit Geldern im dreistelligen Milliardenbereich unterstützt wird, sollte dann nicht das Kriterium Systemrelevanz für die 20 Millionen Rentner, ohne die eben diese Gesellschaft nicht existierte, allemal gelten? Heutzutage wird gern moniert, daß die Sozialausgaben der höchste Einzelposten im Haushalt sind. Daran ist nicht das geringste auszusetzen, soziale Leistungen sind eines der ursprünglichen Aufgaben der arbeitsteiligen Gesellschaft.

Die Sozialausgaben sollten sogar noch gesteigert werden, schließlich bestand einmal die behauptete Aufgabe des technischen Fortschritts darin, die Menschen von Arbeit zu entlasten. Heute wird mit technischen Hilfsmitteln eine Produktivität erreicht, die es ermöglichen würde, daß die Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich verringert werden kann. Das hätte natürlich einen Nachteil: Die Gewinne der Banken und Konzerne würden in den Prozeß der gesellschaftlichen Umverteilung eingespeist - aber wäre das nicht Systemrelevanz auf höchstem Niveau?

1. Oktober 2010