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LAIRE/1227: Pentagon intensiviert Forschungen zur synthetischen Biologie (SB)


Ausbau der US-Militärforschung auf den Gebieten Biologie, Cybersicherheit und Sozialwissenschaften

Abwehr biologischer Waffen setzt deren Besitz voraus


Zur Durchsetzung des imperialistischen Projekts der USA bedarf es geschickterer Mittel als die der rein militärischen Kriegführung. Kaum ein Forschungszweig, der nicht dazu beitragen könnte, an der Erreichung der strategischen Ziele mitzuwirken. Hatte das Pentagon die Biotechnologie jahrelang vernachlässigt, so wird ihr spätestens mit dem in der Folge der Anschläge vom 11. September 2001 aus einem amerikanischen Forschungslabor stammenden Anthraxviren eine größere Aufmerksamkeit geschenkt. Gegenüber dem britischen Wissenschaftsmagazin "Nature" [1] erklärte nun Zachary Lemnios, Direktor der Abteilung für Verteidigungsforschung und -technik des US-Verteidigungsministeriums, daß sich seine Abteilung nunmehr verstärkt auf Biologie, Cybersicherheit und Sozialwissenschaften konzentrieren wolle. Er begründete das damit, daß alle drei Forschungsrichtungen das Potential besäßen, eine Wende auf dem Schlachtfeld herbeiführen zu können.

Außerdem berichtete Lemnios, daß von den 1,8 Milliarden Dollar, die das Verteidigungsministerium im laufenden Haushaltsjahr für die Grundlagenforschung ausgebe, mehr als die Hälfte an Universitäten fließen werde. Das nutze nicht nur der Entwicklung von Technologien der nächsten Generation, sondern schaffe auch eine Pipeline von Forschern und graduierten Studenten, was ebenso wichtig sei. Was Lemnios hier unterschlägt: Die gesamten US-Gesellschaft wird noch stärker militarisiert, als sie es ohnehin schon ist. Der Trend, daß Militärforschung an Universitäten mehr und mehr Einfluß gewinnt, ist auch in der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten.

Innerhalb der Biowissenschaften hat sich die synthetische Biologie rasant zu einer Hauptforschungsrichtung des Pentagons entwickelt. Forschungen zur künstlichen Erzeugung neuer oder Modifikation existierender Lebensformen, die bestimmte Aufgaben erfüllen sollen, erleben in den letzten Jahren einen regelrechten Hype. So sollen Bakterien als "Wächter" eingesetzt werden und auf chemische Substanzen reagieren, die typisch für Sprengstoff sind - nur ein Anwendungsbeispiel von vielen für diese fachübergreifende Forschungsrichtung.

Aus dem Munde Lemnios' erscheinen die Beschreibungen der Forschungsrichtungen defensiv und vermeintlich harmlos. Doch ebenso wie vom "Verteidigungs"ministerium der USA Kriege bzw. bewaffnete internationale Konflikte geplant und geführt werden und der Begriff Angriffsministerium die Tätigkeit sehr viel treffender beschriebe, werden auch die Forschungen zu synthetischen Biologie und Cybersicherheit nicht bzw. nicht allein der Verteidigung dienen, sondern auch die Angriffsfähigkeiten der USA stärken. Es ist ganz einfach: Wer modernste biologische Abwehrwaffen gegen Pathogene entwickelt, muß über diese Pathogene verfügen; die Abwehr von B- und C-Waffen setzt das Wissen über diese Waffen voraus.

Mit den Mitteln und Methoden der synthetischen Biologie, die sich zu einem wichtigen Schwerpunkt des US-Verteidigungsministeriums gemausert hat, können neue biologische Waffen gebaut werden. Es ist anzunehmen, daß diese in Zukunft eine parallele Entwicklung zur sogenannten maßgeschneiderten Genetik in der Medizin nehmen. Die größte Herausforderung für Militärtechnologen besteht nämlich nicht darin, einfach nur die zerstörerischste Waffe herzustellen, sondern die zerstörerischste Waffe, deren Wirkung sie regulieren können.

Ähnlich wie die Vereinigten Staaten eine Abrüstung auf dem Gebiet der strategischen Atombomben vornehmen, aber kleinere, taktische Atomwaffen weiterentwickeln, werden sie möglicherweise auch auf dem Gebiet der biologischen Kriegführung an Enzymen, Gen-Sequenzen, Genomen und Bakterien forschen, die an- und abgeschaltet werden können, also zeitlich befristet wirken und auch bestimmte räumliche Grenzen nicht überschreiten. Damit würde die biologische Kriegführung machbarer. Es gehört sicherlich zur Wunschvorstellung von Militärs, Mikroben zu besitzen, die über feindlichen Raketenstellungen abgeworfen werden und den Sprengstoff verzehren. Die Organismen wären dann so "programmiert", daß sie anschließend sterben und keinen Schaden mehr anrichten.

Gemessen am gesamten Budget des Verteidigungsministeriums der USA von 680 Milliarden Dollar für das Fiskaljahr 2010 (ohne Nachbesserungen für die Kriege in Irak und Afghanistan und ohne Militärausgaben, die nicht vom Verteidigungsministerium getätigt werden), nimmt sich der Einzelposten des Wissenschafts- und Technologieforschungsprogramms in Höhe von zwölf Milliarden Dollar für 2010 bescheiden aus. Doch entspricht es in etwa dem gesamten Militärhaushalt der Türkei.

Die Anforderungen an die Forscher des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums gehen weit über die Bereitstellung militärischer Gewaltmittel hinaus. Das ist eine der Lehren aus den Kriegen gegen Irak und Afghanistan. Oder, um es mit den Worten des "Nature"-Berichts zu sagen, diese beiden Kriege haben die Grenzen der "traditionellen Militärtechnologie" aufgezeigt.

Abgesehen von der synthetischen Biologie und der Cybertechnik will sich das US-Militär auch die Kenntnisse von Medizinern, Psychologen, Anthropologen und weiteren Sozial- und Geisteswissenschaftlern nutzbar machen. Denn es gilt nicht nur, die Hände und Füße der zu unterwerfenden und der eigenen hegemonialen Sphäre zuzuführenden Völker zu fesseln, sondern auch deren Köpfe und Herzen. Das Wissen um die kulturellen Eigenarten und Gepflogenheiten eines Volkes ist womöglich wertvoller als das um deren Bewaffnung. So kann die Bestechung von irakischen Kommandeuren und afghanischen Warlords Türen öffnen, die durch keine noch so schwere Bombe aufzubrechen wären.

Verschiebungen innerhalb des Budgets des Verteidigungsministeriums gehen stets mit entsprechenden Erwartungen einher. Daß sich das Militär der synthetischen Biologie bedient, eröffnet die Perspektive auf bevorstehende, wenn nicht sogar geplante Auseinandersetzungen. Wenn die USA Defensivverfahren gegen modernste biologische Waffen entwickeln, könnten sich potentielle Widersacher aufgerufen fühlen, die gleiche militärische Forschungsrichtung auszubauen, da sie zum Schutz ihrer eigenen Sicherheit davon ausgehen müssen, daß die USA im Schatten der Entwicklung von Defensivsystemen ein Aggressionspotential aufbauen.


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Anmerkungen:

[1] "Pentagon turns to 'softer' sciences", 14. April 2010, Nature 464, 970 (2010), doi:10.1038/464970a
http://www.nature.com/news/2010/100414/full/464970a.html

15. April 2010