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LAIRE/1121: Appell für atomwaffenfreie Arktis (SB)


Haltet die Arktis von Atomwaffen frei!

Kein Alarmismus, aber ...


Der Ruf nach einer atomwaffenfreien Arktis sei kein Alarmismus, eröffnet das kanadische "Edmonton Journal" [1] einen Artikel über einen entsprechenden Appell von Akademikern an die Außenminister der Arktis-Anrainerstaaten, die in diesem Monat zu einer Konferenz nach Kanada reisen. Die Gefahr eines Atomwaffeneinsatzes in der Arktis sei vielleicht zur Zeit vage, aber es sollte der Boden für mögliche zukünftige Konfrontationen wegen sich überlappender Ansprüche hinsichtlich Souveränität, Einfluß und Ressourcen in dieser Region bereitet werden, so die Co-Autoren Michael Wallace und Steven Staples. Außerdem sei ein solcher Schritt klug, um die arktische Umwelt vor Unfällen mit Nuklearmaterial zu schützen.

Nein, um Alarmismus handelt es sich bei dem Aufruf, der den Titel "Ridding the Arctic of Nuclear Weapons, A Task Long Overdue" trägt, nicht. Dennoch werden seine Urheber nicht leugnen können, daß die Arktis potentieller Brennpunkt eines internationalen Konflikts ist, der mit schwersten Waffen ausgefochten werden könnte. Die kanadische Regierung, die nach Ansicht der beiden politischen Analysten [2] die Nordwest-Passage als atomwaffenfreie Zone ausrufen sollte, um einen Anfang zu machen und andere Staaten zu verleiten, ihr zu folgen, rüstet massiv auf, um den Anspruch Kanadas auf arktische Territorien militärisch zu sichern.

Auch Rußland zeigt unmißverständlich deutliche Präsenz in dieser polaren Region. Andere Anrainerstaaten wie die USA, Norwegen und Dänemark entwickeln ebenfalls ihre Fähigkeiten weiter, um ihre Interessen mit militärischen Mitteln gegen Konkurrenten durchzusetzen. Selbst China hat ein Forschungsschiff ins Nordmeer entsandt. Ganz zu schweigen von der Europäischen Union, die zwar mit Dänemark in der Arktis vertreten ist, aber dem finanziell angeschlagenen Island nicht zuletzt wegen seiner geostrategischen Lage einen Weg in die EU auf der Überholspur zugesteht.

Gegenwärtig wird das Weltgeschehen von anderen Konflikten, wie denen im Nahen und Mittleren Osten, dominiert; sie binden weitgehend die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Auch die globale Finanz- und Wirtschaftskrise und ihre Folgen sind zur Zeit von vordringlichem Interesse. Aber nur weil es in der Arktis noch zu keinem bewaffneten Konflikt, vielleicht vergleichbar mit dem zwischen Argentinien und Großbritannien über die Falkland-Inseln auf der Südhalbkugel, gekommen ist, bedeutet das nicht, daß sich keine Spannungen aufbauen, die sich irgendwann plötzlich entladen können.

Die USA und Rußland betreiben inzwischen wieder das aus Zeiten des Kalten Kriegs berüchtigte Katz- und Maus-Spiel, bei dem sich die Atom-U-Boote der Kontrahenten in der Arktis gegenseitig belauern. Das "Spiel" könnte man als harmlose Vorstufe für umfangreichere Auseinandersetzungen bezeichnen. Solche Entwicklungen unterliegen zwar keinen Zwangsläufigkeiten. Durchaus vorstellbar, daß sich die Arktis-Anrainerstaaten über die ungeklärten territorialen Fragen einigen und die Ressourcen (Erdöl, Erdgas, Erze, Fische, Süßwasser, etc.) gemeinschaftlich nutzen. Diese Option besteht immer. Aber gegenwärtig weist der Trend in eine andere Richtung. Das gilt speziell für die arktische Region wie allgemein für das Verhältnis der Hauptkonkurrenten USA und Rußland. Letztere sehen sich in der Arktis ausschließlich mit Mitgliedern des Militärpakts NATO konfrontiert und reagieren keineswegs zu empfindlich auf Verschiebungen der Kräfteverhältnisse, wenn sie in der nordpolaren Region Flagge zeigen.

Global treiben die USA ihre Einkreisungsstrategie gegen Rußland unter Hochdruck weiter voran. War der frühere US-Präsident George W. Bush in die Kritik geraten, weil er Raketenstellungen in Polen und eine Radarstation in Tschechien errichten wollte, so punktete sein Nachfolger Obama damit, daß er die Pläne wieder zurücknahm ... und durch sehr viel weitreichendere ersetzte! Nun sollen Raketenstellungen in Polen vor Kaliningrad sowie in Rumänien und Bulgarien errichtet werden - rascher, als von Bush vorgesehen. Darüber hinaus wollen die USA ihre Abfangraketen, die nicht zuletzt auf die Zweitschlagskapazität Rußlands zielen, auf Kriegsschiffen installieren. Die könnten dann, wenn das Klima es zuläßt, durch die Nordostpassage entlang der russischen Nordküste fahren und Rußland bedrohen. Zudem intensivieren die USA ihre militärische Präsenz im Schwarzen Meer. Als Vorwand dienen dabei Manöver, die mal mit Rumänien, mal mit Georgien durchgeführt werden.

Nein, von Alarmismus kann bei der Forderung nach einer atomwaffenfreien Arktis nicht die Rede sein, wohl aber von einem Aufruf, der die gegenwärtig politische Stimmung sehr gut wiedergibt. Ein Waffengang in der Arktis gewinnt an Wahrscheinlichkeit. Dazu paßt, daß der kanadische Westen mit vier Grad über der langjährigen Durchschnittstemperatur der wärmste und trockenste Winter seit Beginn der regelmäßigen Aufzeichnungen im Jahr 1948 ist. [3] Der Eisschwund in der Arktis hat die Begehrlichkeiten der Anrainerstaaten geweckt, zumal fossile Energieträger in den nächsten Jahrzehnten knapper und damit teurer werden.


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Anmerkungen:

[1] "Canada urged to seek nuclear-free Arctic zone", Canwest News Service, 10. März 2010
http://www.edmontonjournal.com/news/Canada+urged+seek+nuclear+free+Arctic+zone/2665223/story.html

[2] Wallace ist Prof. emer. der Universität von British Columbia, und Staples fungiert als Präsident des Rideau Institute; beide sind Mitglieder des Think Tanks Canadian Pugwash Group, der sich für die Verhinderung und Auflösung von bewaffneten Konflikten einsetzt.

[3] "Warmest, driest winter in Canadian record books, Environment Canada says", Canwest News Service, 10. März 2010
http://www.edmontonjournal.com/technology/Warmest+driest+winter+Canadian+record+books+Environment+Canada+says/2664227/story.html

11. März 2010