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STREITSCHRIFT/026: Durch die Hintertür (Hans Fricke)


Durch die Hintertür

Von Hans Fricke, 21. Oktober 2009


Es ist nicht mehr zu übersehen: Die Bundesrepublik Deutschland versinkt in Perspektivlosigkeit. Es mehren sich Anzeichen dafür, dass das, was die Bundesregierung "regieren" nennt, sich offenbar nur noch mit tricksen und täuschen ermöglichen lässt. Der jüngste Beweis dafür scheinen die schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen zu sein.

Statt des großen Frontalangriffs auf soziale Sicherungen und Umweltstandards, den sowohl Gewerkschaftler als auch Umweltschützer erwartet hatten, suchen die künftigen Regierungsparteien den Weg durch die Hintertür. Politik auf Schleichwegen scheint sich immer mehr zum Markenzeichen der Bundeskanzlerin zu entwickeln.

Das Bemühen von Union und FDP, den Ansprüchen der Atomindustrie entgegen zu kommen, ist - das wissen die Spitzen beider Parteien - nicht gesellschaftsfähig. Zu den berechtigten Sicherheitsbedenken der Bevölkerung, insbesondere störanfälligen KKW gegenüber, kommen begründete geologische Bedenken. Kritiker des Standortes Gorleben haben bereits Ende der 1970er Jahre, als die Pläne für das Endlager entstanden, darauf verwiesen, das Salz denkbar schlecht geeignet ist. Das Lager muss für mehrere zehntausend Jahre sicher sein, das heißt, ein Kontakt des hochradioaktiven Materials mit dem Grundwasser und der Luft muss ausgeschlossen sein.

Rund fünf Jahrzehnte, nachdem die ersten kommerziell genutzten Atomkraftwerke ans Netz gingen - in Deutschland sind es rund vier Jahrzehnte - gibt es weltweit noch immer kein sicheres Endlager für den anfallenden hochradioaktiven Müll. Salz ist leichter als Sand und Gesteine, die im Laufe der Erdgeschichte auf den Überbleibseln der Urmeere gelandet sind. Erst durch diese langsame Aufwärtsbewegung bilden sich die Salzstöcke, und die Wassereinbrüche und Deckeneinstürze im "Versuchslager" Asse II haben in letzter Zeit eindringlich gezeigt, dass sie nie richtig zur Ruhe kommen.

Diese Fakten sind seit langem bekannt. Umweltminister Gabriel (SPD) hatte im Vorfeld der Bundestagswahl ein wenig aus dem Nähkästchen geplaudert und die Öffentlichkeit wissen lassen, was die Bürgerinitiativen in Gorleben seit langem vermuten: Anfang der 1980er Jahre hatte die erste Regierung unter Helmut Kohl (CDU) dafür gesorgt, dass Bedenken gegen den Gorlebener Salzstock im Untersuchungsverfahren unter den Tisch fielen. Das gehe aus Unterlagen der ersten Regierungsjahre der schwarz-gelben Koalition hervor. Offensichtlich war Kohls große Aktenvernichtungsaktion im Bundeskanzleramt nach seiner Abwahl nicht umfassend genug.

"Angesichts dessen", erklärt Wolfgang Pomrehn in junge Welt vom 21. Oktober 2009, "sind der Öffentlichkeit die aktuellen schwarz-gelben Pläne, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern, kaum zu vermitteln. Entsprechend überlegen sich die künftigen Regierenden Tricksereien, wie sie ihr Vorhaben mit möglichst wenig Aufsehen umsetzen können. Wie es derzeit aussieht, wird im Koalitionsvertrag vermutlich nur eine vage formulierte Absicht zu finden sein."

Da die Laufzeiten der AKW - über die ihnen zugeteilten Reststrommengen definiert - im Atomgesetz festgehalten sind und eine Änderung des Atomgesetzes den Vertretern der Atom-Lobby unter den schwarz-gelben Koalitionären angesichts der wichtigen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im kommenden Jahr offenbar zu heikel ist, scheinen die Verhandler auf einen anderen Dreh verfallen zu sein. Das Anti-AKW-Netzwerk "ausgestrahlt" will erfahren haben, dass die neue Koalition den Betrieb der besonders alten und störanfälligen Reaktoren Biblis A und Neckerwestheim I, die nach dem geltenden Atomgesetz nur noch wenige Monate laufen können, verlängern will. Ihnen sollen Reststrommengen von jüngeren AKW übertragen werden. Nach Ansicht von "ausgestrahlt"-Sprecher Joachim Stay ist das illegal, denn das Atomgesetz erlaubt diese Übertragung nur im Ausnahmefall und auch nur dann, wenn der ältere Reaktor genauso sicher sei wie der jüngere. Bei diesen beiden KKW sei das jedoch nicht der Fall.

Die Trickserei im Interesse des Profits der Atomindustrie durch die schwarz-gelbe Regierung unter Kohl (CDU) Anfang der 1980er Jahre soll nun wohl unter der schwarz-gelben Regierung unter Merkel (CDU) fortgesetzt werden.

Auch dem Unbehagen über die abenteuerlichen Steuersenkungspläne, selbst innerhalb der CDU und sogar unter CDU-Ministerpräsidenten, versuchen die Verhandler mit Trickserei und Täuschung zu begegnen. Die aktuellen Steuerpläne der FDP würden nach Auffassung des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich bedeuten, "dass wir das gesamte öffentliche Auftragswesen abwürgen". Bei der Einkommensteuer müssten die Länder nach gängigem Schlüssel 42,5 Prozent der offenbar geplanten Entlastung von etwas 20 Milliarden Euro aufbringen.

In Mecklenburg-Vorpommern hat die Not der Kommunen bereits dazu geführt, dass am 21. Oktober 2009 vor der Schlussberatung über das neue Finanzausgleichsgesetz des Landes sich (erstmals) hunderte Bürgermeister von Städten und Gemeinden mit Transparenten und Trillerpfeifen vor dem Landtagsgebäude versammelten und lautstark gegen die enormen Mittelkürzungen ab 2010 protestierten. Andere Aktionen, wie zum Beispiel stundenweises Abschaltung aller Lampen in Gemeinden des Kreises Bad Doberan, weisen auf den Ernst der Lage hin.

Die künftige Bundesregierung will weitere Einnahmeausfälle offenbar mit Bilanzierungstricks kaschieren. CDU-Haushaltsexperte Steffen Kampeter bestätigte am 20.10.2009 Medienberichte, laut denen zur Deckung der Defizite der Sozialversicherungen ein sogenanntes Sondervermögen eingerichtet werden soll. Der Sprecher der CSU-Landesgruppe, Jens Teschke, nannte für diesen "Schattenhaushalt" ein mögliches Volumen von 24 Milliarden Euro, die nicht unmittelbar als Schulden des Bundes ausgewiesen werden. Also auch hier Täuschung der besorgten Öffentlichkeit.

Erinnern wir uns: Im Herbst letzten Jahres hat die Bundesregierung mit 480 Milliarden Euro sehr viel Geld bereitgestellt, um das Bankensystem zu retten - selbstverständlich mit der Maßgabe, die Realwirtschaft zu retten und möglichst viele Arbeitsplätze zu erhalten. Der zentrale Fehler war, dies ohne hinreichende Kontrolle über die Zocker-Banken zu tun. Aus Scheu vor einer Verstaatlichung der heruntergewirtschafteten Commerzbank hatte die Regierung 18 Milliarden in diese Bank gesteckt. Dafür hätte man sie leicht und locker vier- oder fünfmal kaufen können. Die Commerzbank hat dann weiter nach privatkapitalistischer Logik ihre Geschäfte gemacht. Arcandor wurde fallengelassen, was sich auch auf den Versandhandel ausgewirkt hat, der durch die Schwächung der Binnennachfrage bereits gebeutelt war.

Mit Blick auf die Pleite von Quelle erklärte der Chefvolkswirt der Gewerkschaft ver.di, Michael Schlecht:

"Wir sind am Ende eines Dramas, das deutlich macht, dass wir eine ganz andere Wirtschaftspolitik brauchen. Das erste Problem ist die enger werdende Kreditklemme. Eine angemessene politische Antwort auf die Wirtschafts- und Finanzkrise wäre die Vergesellschaftung der Banken. Unter staatlicher Kontrolle müssten die Banken dafür sorgen, dass die Realwirtschaft funktioniert. Darüber hinaus muss die Politik das Lohndumping in Deutschland beenden. Quelle ist letztlich auch ein Opfer der Agenda 2010, mit der Lohndumping durchgesetzt wurde. Deshalb leiden wir an einer Schwächung der Binnennachfrage. Das setzt einen blindwütigen Anarchokapitalismus in Gang, der ganze Unternehmen über die Klinge springen lässt. Siehe Arcandor und Quelle."

Deshalb plädiert Die Linke für eine Verstaatlichung des Bankensektors. Nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil die Vergesellschaftung der entscheidende Hebel ist, um auf das operative Geschäft der Banken Einfluss nehmen zu können und die Realwirtschaft zu stützen.

Wie ausgelaugt und korrupt Institutionen des politischen Systems der BRD mittlerweile schon sind, und wie egal verantwortlichen Politikern offensichtlich das Morgen und ihr Ansehen in der Bevölkerung ist, zeigt die Offenheit, mit der anhand des bereitgestellten Schweinegrippen-Impfstoffes der Klassencharakter unseres Gesundheitswesens demonstriert wird. Es ist doch zutiefst beschämend für eine Bundesregierung, deren Kanzlerin lauthals verkündet, die Kanzlerin aller Deutschen sein zu wollen, wenn sie sich vom Vizepräsidenten der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagen lassen muss:

Nach Ansicht der Ärzteschaft sollte die Bundesregierung auf den besonderen Grippe-Impfstoff für Minister, Bundesbeamte und Soldaten verzichten. "Ich fordere die Bundesregierung auf, den für sie bestellten Impfstoff für Schwangere und Kinder zur Verfügung zustellen und stattdessen den allgemeinen Impfstoff zu benutzen."


Hans Fricke ist Autor des im August 2008 im Berliner Verlag am Park erschienenen Buches "Politische Justiz, Sozialabbau, Sicherheitswahn und Krieg", 383 Seiten, Preis 19,90 Euro, ISBN 978-3-89793-155-8


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Quelle:
© 2009 Hans Fricke
mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2009