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STANDPUNKT/643: Konfliktforscher plädiert für die Fortsetzung friedenpolitischer Konsultationsprozesse (Uni Augsburg)


Universität Augsburg - Pressemitteilung vom 5. April 2017

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Mit Blick auf die neuen Leitlinien der Bundesregierung für Krisenmanagement und Friedensförderung plädiert der Augsburger Konfliktforscher Christoph Weller für die Fortführung friedenpolitischer Konsultationsprozesse und eine reflexive Außenpolitikberatung.

Augsburg/CW/KPP - Brexit, Syrien, Trump - die deutsche Außenpolitik hat's nicht leicht, wenn Krisenengagement und Friedensförderung die außenpolitischen Leitlinien der Bundesregierung sein sollen. "Krisenprävention weiter denken!" lautet deshalb das Motto, mit dem das Außenministerium zur Mitwirkung am "PeaceLab 2016" eingeladen hat - an einer Plattform zur Diskussion der Entwicklung neuer Leitlinien der Bundesregierung für Krisenengagement und Friedensförderung. In einem aktuellen Blog-Beitrag plädiert der Augsburger Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Prof. Dr. Christoph Weller jetzt für eine Fortführung friedenspolitischer Konsultationsprozesse - auch und gerade nach der nun kurz bevorstehenden Verabschiedung dieser Leitlinien.

Solche Leitlinien können zwar Orientierung geben, aber - so Weller in seinem Blog-Beitrag - "keine Handlungsoptionen bereitstellen, insbesondere wenn es darum geht, sich durch kluge Entscheidungen möglichst große Handlungsspielräume offen zu halten, damit auch für die nächste Krise noch Entscheidungsmöglichkeiten gewahrt bleiben."

Abwägung unterschiedlicher Weltsichten

Wie solche Entscheidungen im Sinne des Offenhaltens möglichst großer Handlungsspielräume im Falle des Brexit aussehen könnten, hat Weller bereits im Sommer 2016 unter dem Titel "Resiliente Brexit-Reaktionen?" im Blog "Resilienz" des bayerischen Forschungsverbunds ForChange dargelegt. Im "PeaceLab 2016" plädiert er jetzt dafür, mehr reflexive Formen der Außenpolitikberatung zu etablieren, in denen der Vergleich und die Abwägung unterschiedlicher Weltsichten und Perspektiven in einem kontinuierlichen Konsultationsprozess der Außenpolitikberatung stattfinden.

Gerade eine Krisenpräventionspolitik könne - so Weller - auf die selbstkritische Prüfung ihrer Weltsichten nicht verzichten, weshalb in den entsprechenden Konsultationsprozessen "speziell die Friedens- und Konfliktforschung eine besonders wichtige Gesprächspartnerin ist: Sie bringt die Einsichten unterschiedlicher Disziplinen zu Fragen von Frieden, Krieg und Gewalt zusammen, verbindet die grundlagentheoretische Forschung mit anwendungsorientierten Fragestellungen und zeichnet sich vor allem durch ein hohes Maß an Reflexivität aus: Wer unterschiedliche Weltsichten als wichtige Ursache internationaler Konflikte untersucht, ist sich auch der Abhängigkeit der eigenen Weltsicht von Vorannahmen, interessengeleiteter Perspektivität und normativen Erwartungen wohl bewusst."

ForChange-Projekt "Reflexive Politikberatung"

Weller bezieht sich hier auf Studien im Rahmen seines Forschungsprojekts "Reflexive Politikberatung". Es ist Teil des bayerischen Forschungsverbunds "ForChange", der vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst gefördert wird. ForChange bearbeitet interdisziplinär und universitätsübergreifend Fragen zur Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Individuen, Gruppen und Institutionen unter Bedingungen existenziellen Wandels. Beteiligt sind neben der Universität Augsburg die LMU München, die FAU Erlangen-Nürnberg sowie die Universitäten Regensburg und Würzburg.

Wissen - sicheres, umstrittenes, fehlendes?

Im Augsburger Teilprojekt "Reflexive Politikberatung" untersuchen Weller und seine Mitarbeiterin Charlotte Rungius, welche Rolle wissenschaftliche Politikberatung in der deutschen Außenpolitik spielt und wie in den entsprechenden Beratungsprozessen mit Wissen umgegangen wird. Wird die Entstehung von Wissen als offen, ungesichert und wandelbar reflektiert? Welche Formen der Politikberatung sind diesem Verständnis von Wissen angemessen? Ist Reflexive Politikberatung in dem Sinne reflexiv, dass die Umstrittenheit und Unsicherheit von Wissen und das Nicht-Wissen unmittelbar in den Beratungsprozess mit einbezogen werden? Weit verbreitete Annahmen, herkömmliche Problembearbeitungen oder etablierte Perspektiven werden dann nämlich in Frage gestellt.

Reflexion auch des Beratungsprozesses

Reflexive Politikberatung bedeute zugleich aber, auch den selbst mitgestalteten wissenschaftlichen Beratungsprozesse reflexiv zu halten, also bewusst mit der eigenen Eingebundenheit in etablierte Erkenntnis- und Wissensstrukturen umzugehen. Gerade die internationale Politik sei geprägt von unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Situationsbeschreibungen über die Welt. Zahlreiche internationale Konflikte basierten darauf, dass Staaten globale Probleme unterschiedlich wahrnähmen und unterschiedliche Konsequenzen für ihr Handeln ableiteten. Dies zu reflektieren eröffne neue Gestaltungsmöglichkeiten, was insbesondere beim Krisenengagement und in der Friedensförderung von großer Bedeutung sei. Darauf, so Weller, basiere sein Plädoyer für reflexive Formen der Außenpolitikberatung in der Krisenpräventionspolitik.

Originalbeiträge:

Christoph Weller, Krisenprävention bedarf reflexiver Formen der Außenpolitikberatung:
http://www.peacelab2016.de/peacelab2016/debatte/friedensforschung/article/krisenpraevention- bedarf-reflexiver-formen-der-aussenpolitikberatung/

Christoph Weller, Resiliente Brexit-Reaktionen?:
http://resilienz.hypotheses.org/950

Zum Augsburger ForChange-Teilprojekt "Reflexive Politikberatung":
http://www.forchange.de/projekte/reflexive-politikberatung/

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Quelle:
UPD 46/17 - Pressemitteilung vom 5. April 2017
Hrsg.: Pressestelle der Universität Augsburg
Klaus P. Prem / Michael Hallermayer
Telefon: 0821/598-2094
E-Mail: info@presse.uni-augsburg.de
Internet: www.uni-augsburg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2017

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