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STANDPUNKT/636: Vielleicht kommt ja der Messias (Uri Avnery)


Vielleicht kommt ja der Messias

von Uri Avnery, 10. März 2017


WENN MIR vor 50 Jahren jemand gesagt hätte, die Herrscher von Israel Jordanien und Ägypten hätten sich im Geheimen getroffen, um Frieden zu schließen, hätte ich gedacht, ich würde träumen.

Wenn mir erzählt worden wäre, die Führer von Ägypten und Jordanien hätten Israel vollständigen Frieden angeboten, wenn es - bei einigem Gebietsaustausch und einer symbolischen Rückkehr von Flüchtlingen - die besetzten Gebiete zurückgäbe, hätte ich gedacht, der Messias sei gekommen. Ich hätte angefangen, an Gott oder Allah oder an irgendeinen da oben zu glauben.

Doch vor ein paar Wochen wurde bekannt, dass die Herrscher von Ägypten und Jordanien sich tatsächlich letztes Jahr im Geheimen mit dem Minister-Präsident von Israel im freundlichen Seebad Aqaba, wo die drei Staaten aneinanderstoßen, getroffen haben. Die beiden arabischen Führer, die tatsächlich für die ganze arabische Welt handeln, hatten dies Angebot gemacht. Benjamin Netanjahu blieb die Antwort schuldig und fuhr nach Hause.

Genauso wie der Messias.


DONALD TRUMP, Chef-Komödiant der USA, gab vor einiger Zeit seine Antwort auf die Frage nach der Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes: Zwei Staaten, ein Staat - worauf auch immer die beiden Seiten sich einigen, antwortete er.

Er hätte ebenso gut antworten können: "Zwei Staaten, ein Staat, drei Staaten, vier Staaten, sucht euch etwas aus!"

Und tatsächlich, wenn du im La-la-Land lebst, ist die Anzahl der Staaten unbegrenzt. Zehn Staaten sind genau so gut wie einer. Je mehr, desto lustiger.

Vielleicht ist ein total Argloser wie Trump nötig, um zu illustrieren, wie viel Unsinn über diese Wahl geredet werden kann.


AM FÜNFTEN Tag des Sechs-Tagekrieges veröffentlichte ich einen offenen Brief an Ministerpräsident Levy Eshkol und drängte ihn, den Palästinensern die Möglichkeit zu geben, in der Westbank und im Gazastreifen ihren eigenen Staat zu errichten, mit Ost-Jerusalem als ihrer Hauptstadt.

Unmittelbar nach dem Krieg lud mich Eshkol zu einem privaten Gespräch ein. Er hörte geduldig zu, während ich ihm die Idee erklärte. Am Ende sagte er mit einem wohlwollenden Lächeln: "Uri, was für ein Kaufmann bist du? Ein guter Kaufmann beginnt mit der Maximalforderung und bietet ein Minimum an. Dann feilscht man und am Ende wird in der Mitte ein Kompromiss erreicht."

"Stimmt", antwortete ich, "wenn man einen Gebrauchtwagen verkauft. Aber hier wollen wir die Geschichte verändern!"

Tatsache ist, dass in jener Zeit keiner daran glaubte, dass es Israel erlaubt sein würde, die Gebiete zu behalten. Es wird gesagt, dass Generäle immer den letzten Krieg kämpfen. Dasselbe gilt auch für die Staatsmänner. Eines Tages nach dem Sechs-Tage-Krieg dachten die israelischen Führer über den Tag nach dem 1956-Krieg nach, als US-Präsident Dwight D. Eisenhower und der sowjetische Präsident Nicolai Bulganin David Ben Gurion zwangen, alle besetzten Gebiete schmachvoll zurückzugeben.

Das schien so die einzige Wahl zu sein: die Gebiete an König Hussein von Jordanien zurückzugeben, wie es die große Mehrheit forderte oder sie dem palästinensischen Volk zu geben, wie meine Freunde und ich, eine winzige Minderheit, vorschlugen.

Ich erinnere mich noch an ein Gespräch. Der Minister für Industrie und Handel Haim Zadok, ein sehr kluger Rechtsanwalt, hielt in der Knesset eine feurige Rede. Als er aus dem Plenum kam, stellte ich ihn zur Rede: "Aber Sie glauben doch kein einziges Wort von dem, was Sie gerade gesagt haben." Worauf er lachend antwortete: "Jeder kann eine gute Rede über Dinge halten, an die er glaubt. Es ist eine Kunst eine gute Rede über Dinge zu halten, an die man nicht glaubt".

Dann fügte er noch ernsthaft an: "Wenn sie uns zwingen, alle Gebiete wieder zurückzugeben, dann werden wir alle Gebiete wieder zurückgeben. Wenn sie uns zwingen, einen Teil der Gebiete zurückzugeben, dann werden wir einen Teil der Gebiete zurückgeben. Wenn sie uns nicht zwingen, etwas zurückzugeben, dann werden wir alles behalten."

Das Unglaubliche geschah. Präsident Lyndon Johnson und die ganze Welt haben sich einen Dreck darum gekümmert. Man ließ uns die gesamte Kriegsbeute bis zum heutigen Tag.


ICH KANN nicht der Versuchung widerstehen, einen alten Witz zu wiederholen.

Direkt nach der Gründung Israels erschien Gott David Ben-Gurion und sagte ihm: "Du hast meinem Volk Gutes getan. Äußere einen Wunsch und ich werde ihn dir gewähren!"

"Ich wünsche mir, dass Israel ein jüdischer Staat und ein demokratischer Staat wird und alles Land zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan umfasst," antwortete Ben Gurion.

"Das ist auch für mich zu viel!" rief Gott aus. "Aber ich will dir zwei von drei Dingen gewähren." Seitdem können wir zwischen einem jüdischen und einem demokratischen Israel in einem Teil des Landes, einem demokratischen Staat im ganzen Land, der nicht jüdisch sein wird, und einem jüdischen Staat im ganzen Land, der nicht demokratisch sein wird, wählen.

Genau diese Wahl haben wir nach all der langen Zeit auch heute noch.

Der jüdische Staat im ganzen Land bedeutet Apartheid. Israel hat schon immer herzliche Beziehungen mit dem rassistischen Afrikaander-Staat in Südafrika unterhalten, bis er zusammenbrach. Hier einen solchen Staat zu schaffen, ist der reine Wahnsinn.

Die Annektionisten haben einen Trick in petto: Die Westbank annektieren, aber ohne den Gazastreifen. Das würde einen Staat mit einer Minderheit von 40% Palästinensern schaffen. In einem solchen Land würde eine ständige Intifada wüten.

Aber in Wirklichkeit ist auch dies nur ein Hirngespinst. Gaza kann nicht für immer von Palästina getrennt werden. Es ist seit ewigen Zeiten ein Teil des Landes. Es muss wieder angeschlossen werden. Dies wäre ein Staat mit einer kleinen arabischen Mehrheit, eine Mehrheit ohne nationale und zivile Rechte. Diese Mehrheit wird schnell wachsen.

Solch eine Situation wäre auf die Dauer unhaltbar. Israel wäre gezwungen, den Arabern das Wahlrecht zu gewähren.

Utopische Idealisten würden solch eine Lösung willkommen heißen. Wunderbar! Die Ein-Staat-Lösung! Demokratie, das Ende des Nationalismus. Als ich sehr jung war, habe ich meine Hoffnung auch auf diese Lösung gesetzt. Das Leben hat mich davon geheilt. Jeder der tatsächlich im Lande lebt, weiß, dass dies vollkommen unmöglich ist. Die beiden Völker würden sich gegenseitig bekämpfen. Wenigstens die ersten ein oder zwei Jahrhunderte lang.

Ich habe nie einen detaillierten Plan gesehen, wie solch ein Staat funktionieren würde. Außer von Vladimir Jabotinsky, der brillante Führer der zionistischen Ultra-Rechten schrieb 1940 einen Plan für die Alliierten. Wenn der Präsident des Staates ein Jude sein wird, verfügte er, wird der Ministerpräsident ein Araber sein usw. Jabotinsky starb ein paar Monate später - und der Plan mit ihm.

Zionisten kamen hierher, um in einem jüdischen Staat zu leben. Das war ihr vorherrschendes Motiv. Sie können sich ein Leben, in dem sie wieder eine jüdische Minderheit wären, gar nicht vorstellen. In solch einer Situation würden sie langsam emigrieren, wie die Afrikaander es tun. Tatsächlich vollzieht sich solch eine Emigration in die USA und nach Deutschland bereits unbemerkt. Zionismus war immer eine Einbahnstraße - nach Palästina. Nach dieser "Lösung" würde sie nun in die andere Richtung gehen.



DIE WAHRHEIT ist, dass es überhaupt keine Wahl gibt.

Die einzige realistische Lösung ist die viel geschmähte "Zwei Staaten für zwei Völker"-Lösung, die schon viele Male für tot erklärt worden ist. Entweder diese Lösung oder die Vernichtung beider Völker.

Und wie sehen die Israelis dieser Realität ins Auge? Sie tun es auf israelische Art: indem sie der Realität nicht ins Auge sehen. Sie leben einfach Tag für Tag vor sich hin und hoffen, dass sich das Problem von selbst löst.

Vielleicht kommt der Messias schließlich doch.



Copyright 2017 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 10.03.2017
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2017

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