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STANDPUNKT/534: Die Kluft, die immer breiter wird (Uri Avnery)


Die Kluft, die immer breiter wird

von Uri Avnery, 16. Januar 2016


IN JEDER Liste mit Israels bedeutendsten Frauen würde Ilana Dayan eine bedeutende Stellung einnehmen.

Dayan (sie steht in keiner verwandtschaftlichen Beziehung zum verstorbenen General mit der Augenklappe) ist die Redakteurin eines der repräsentativsten Fernsehprogramme. Während das israelische Fernsehen im Allgemeinen allmählich in einem Morast dummer "Reality"-Unterhaltung versinkt, zeichnet sich ihre Sendung "Uwda" (Tatsache) als ein Gipfel verantwortungsbewussten investigativen Journalismus aus, und zwar in eben der Art, für die mein ehemaliges Nachrichtenmagazin bekannt war.

Im Allgemeinen ist Dayan immer als sanfte "Linke" angesehen worden, da kompromisslose Kritik an den Herrschenden im Allgemeinen der Linken zugeschrieben wird.

Jetzt wird sie beschuldigt, der extremen, fast faschistischen Rechten zu dienen. Schockierend!

In der wilden Debatte, die folgte, zitierte Dayan mich zur Unterstützung. 40 Jahre lang trug mein Magazin in seinem Impressum den Slogan "Ohne Furcht, ohne Vorurteil." Dayan behauptete, dass sie entsprechend dieses Mottos handeln würde.

Dies zwingt mich, mich in diese Diskussion einzumischen - gegen meine bessere Einsicht.


DER HINTERGRUND dieser Angelegenheit hat mit dem Fundament des israelisch-palästinensischen Konflikts zu tun.

Seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 besetzt Israel neben anderen Gebieten das Gebiet, das von den Arabern "die Westbank" (Westufer des Jordans) genannt wird und das die israelische Regierung und die politisch rechten Israelis bei ihren biblischen Namen "Judäa und Samaria" nennen.

Fast seit Beginn der Besatzung hat sich die israelische Rechte sehr darum bemüht, "das Land zu besiedeln" - jüdische Siedlungen und Städte, Dörfer und kleine Außenposten im ganzen Gebiet zu errichten.

Wem gehört das Land, auf dem die Siedlungen gebaut werden, offiziell?

Vieles davon war "Regierungsland". Dies geht zurück bis ins Osmanische Reich. Allgemeine Landreserven, die keinem einzelnen Bauer gehörten, sondern dem ganzen Dorf, waren auf den Namen des Sultans registriert. Unter der britischen "Regierung von Palästina" wurde es "Regierungsland". Als die israelische Armee das Gebiet besetzte, nahm die israelische Regierung von allen diesen Grundstücken Besitz. Das heißt, dass dieses Land jetzt ausschließlich der Nutzung durch die jüdischen Siedler vorbehalten ist.

Andere Teile des Landes wurden einfach von der Militärregierung "aus Sicherheitsgründen" oder für "öffentliche Zwecke" enteignet und dann den Siedlern übergeben.

Viele dieser Siedlungen sind offenkundig illegal, sogar nach dem israelischen Gesetz, das in diesen Gebieten gilt. Aber das Gesetz wird sehr selten angewandt. Die israelische Militärregierung, die Armee und die Polizei unterstützen ganz offen die Siedlungen, schützen sie und verbinden sie mit dem Stromnetz. Die Gerichte kümmern sich sehr selten um sie.

Doch was geschieht mit Siedlungen, die auf privatem arabischem Land stehen? Ah, hier liegt der Hase im Pfeffer. Alle möglichen und unmöglichen Tricks sind angewandt worden, um sie zu übernehmen. Dazu gehören die Anwendung von falschen Dokumenten, falschen Unterschriften, viele davon von toten Eigentümern. Aber die gewöhnlichste Methode ist der Einsatz arabischer Vermittler.


FÜR DAS palästinensische Volk ist dies ein existentieller Kampf. Die israelische Rechte, die jetzt die Regierung dominiert, verhehlt ihre Vision eines Landes, das frei von palästinensischen Arabern ist, nicht (im Deutschen nennt man das "araberrein"). Die Vision von einem ausschließlich von Juden besiedelten Land, in dem es keine anderen Bewohner gibt, ist für einige sehr verführerisch, besonders für Leute in religiösen Kreisen.

Die Siedler und ihre Verbündeten haben ein ganzes Netzwerk für legalen Land-Erwerb geschaffen. Sie bieten einem arabischen Besitzer eine riesige Summe für sein Land an. Das Geld kommt von jüdischen Milliardären aus den USA oder aus geheimen Regierungsfonds. Der arabische Eigentümer gerät in die größte Versuchung. Er will es am liebsten verkaufen und sich mit dem Geld davonmachen. Aber er fürchtet seine Nachbarn und fanatische Palästinenser.

An dieser Stelle kommen die arabischen Vermittler ins Spiel. Sie handeln als Agenten der Siedler und kaufen das gewünschte Land auf eine Art und Weise, die es dem Verkäufern ermöglicht, vorzugeben, er verkaufe seinen Besitz an andere Araber.

Für die palästinensische Gemeinde sind diese Vermittler schlimmer als Verräter. Sie gefährden die bloße Existenz des palästinensischen Volkes. Sie erregen glühenden Zorn.



AN DIESER STELLE setzt Ilana Dajans Fernsehbericht ein.

Er konzentriert sich auf einen israelischen Friedensaktivisten mit Namen Ezra Nawi, ein irakisch-jüdischer Name. Er ist in der Gegend von Hebron in der südlichen Westbank sehr aktiv. Seit Jahrzehnten kenne ich seinen Namen.

Mein Eindruck ist immer gewesen, dass Nawi eine Art Einzelgänger ist; selbstlos hilft er den Palästinensern und steht mit einigen der vielen aktiven israelischen Friedensorganisationen, besonders mit Ta'ayush, in Verbindung.

Hebron ist ein Zentrum der fanatischsten jüdischen Siedler. Dort war es, wo der Siedler-Massenmörder Baruch Goldstein Dutzende in der Moschee betende Araber massakrierte. Danach wurde er von den wutentbrannten Menschen, die den Massenmord überlebt hatten, getötet. Von den Siedlern wird er jetzt als Heiliger verehrt.

Diese Siedler kämpfen seit Langem darum, alle Araber aus den umliegenden Dörfern zu vertreiben. Sie zerstören ihre Häuser, sägen ihre Obstbäume ab, füllen ihre Brunnen mit Dreck. Ezra Nawi arbeitet unermüdlich daran, die Araber dabei zu unterstützen durchzuhalten.


AUF DER Seite der Siedler gibt es mehrere jüdische faschistische Organisationen (pardon, aber keine andere Bezeichnung trifft wirklich auf sie zu), die von amerikanisch-jüdischen Milliardären großzügig finanziert werden.

Wie es jetzt scheint, haben diese Organisationen ein Spionage-Netzwerk aufgebaut, um israelische Friedens- und Menschenrechtsgruppen zu infiltrieren. Einem ihrer Agenten gelang es, das Vertrauen des arglosen Nawi zu gewinnen, der sich in einem Augenblick der Selbstverherrlichung damit gebrüstet hat, dass er den palästinensischen Sicherheitskräften die Namen arabischer Landverkaufs-Vermittler mitgeteilt habe, die dann wegen Verrats exekutiert wurden.

Die faschistische Organisation gab diese Information an Ilana Dayan weiter, die dies zum Haupt-Thema ihres wöchentlichen Fernsehprogrammes machte. Nawi eilte zum Flughafen, wurde aber von der Polizei aus dem Flugzeug geholt.

Hier sind wir also.

Bei der wütenden Debatte, die jetzt in den Medien tobte, wird Dayan von den Linken wie Gideon Levy beschuldigt, sie sei eine Verräterin geworden und diene nun den Faschisten. Dayan antwortete mit einem wütenden Artikel, in dem sie mein Motto zitierte. Es sei nicht ihre Sache, behauptete sie, sich zu fragen, ob ihre Enthüllungen der Linken oder der Rechten diene. Ihr Job sei es nur, sicherzustellen, dass sie wahr sind.

Sie behauptete auch, es sei nicht ihr Job, die Motive der Leute zu erkunden, die die Information liefern. Auch hier stimme ich mit ihr überein. Eine wichtige Information kann zuweilen von ganz unangenehmen Quellen stammen. Das öffentliche Wohl mag seine Veröffentlichung trotzdem erfordern.

Ich bin unter allen Umständen gegen Todesstrafe. Ich bin auch gegen Folter. Doch habe ich nie irgendeinen Beweis gesehen, dass die palästinensischen Sicherheitsdienste arabische Landvermittler hingerichtet hätten, allerdings mögen sie sie harsch verhört haben.

Die Sache hat auch eine komische Seite. Nawi wird beschuldigt, Kontakte mit ausländischen Agenten zu haben, ein Verbrechen, das Spionage gleichkommt. Welche ausländischen Agenten? Der Sicherheitsdienst der palästinensischen Behörde unter dem Kommando von Mahmoud Abbas? Erst vor ein paar Tagen teilte der israelische Sicherheitsdienst mit, dass die beiden Sicherheitsdienste - der israelische und der palästinensische - eng zusammen arbeiten, um arabischen "Terrorismus" zu verhindern. Auf diese Weise wurden viele israelische Leben gerettet. In welchem Fall sind die palästinensischen Dienste nun Feinde, mit denen ein Kontakt ein schweres Verbrechen ist?

Eine weitere Frage betrifft die oben erwähnte Enthüllung, dass extrem-rechte Organisationen, die von ausländischen (jüdisch-amerikanischen) Geldgebern finanziert werden, weitverbreitete geheime Spionageaktivitäten gegen israelische Aktivisten durchführen. Wie kommt es, dass die Leute vom Schin-Bet nichts davon wissen oder dass sie, wenn sie davon wissen, ihr Wissen geheim halten?

Eine Sache ist sicher: Israelische Politik wird von Tag zu Tag hässlicher. Die Kluft zwischen links und rechts wird zu einem Abgrund des Hasses. Der rechte Flügel setzt Methoden ein, die mich an das Deutschland von 1933 erinnern.



Copyright 2016 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 16.01.2016
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2016

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