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STANDPUNKT/376: Gut für die Juden? (Uri Avnery)


Gut für die Juden?

von Uri Avnery, 7. Juni 2014



WIE WÄHLT ein Fußballclub sein Team?

Der einfache Weg ist der gewöhnliche: jede Seite hat ihren Trainer, der sein Team auswählt. Kein Problem.

Jetzt hat die Regierung Israels einen neuen Weg eingeschlagen. Unser Trainer ernennt sowohl unser als auch das gegnerische Team. Das vereinfacht die Sache.

Ich frage mich nur, ob diese Methode nicht verbessert werden könnte. Zum Beispiel: der Trainer jeder Seite wählt nur das Team der andern Seite; das könnte sich als interessant herausstellen.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Wett-Mafia beide Teams zusammenstellt. Dies könnte den Profit vergrößern - im Geist moderner Marktbeherrschung.


IM ERNST, der Anspruch Benjamin Netanjahus, er habe ein Recht, die palästinensische Regierung auszuwählen und zusammenzustellen, ist ziemlich erstaunlich.

Alle bedeutenden palästinensischen politischen Parteien sind mit einer neuen Regierungskoalition einverstanden. Dies ist eine negative Koalition: alle Parteien stimmen darin überein, keine eigenen Mitglieder in der Regierung zu haben. Die Regierung setzt sich aus nicht parteigebundenen "Technokraten" zusammen. Ich kenne fast keinen von ihnen.

Netanjahu sollte glücklich sein. Kein Mitglied der üblen, terroristischen, antisemitischen Hamas ist dabei.

Aber dann erfand der produktive Geist Netanjahus einen neuen Trick. Es stimmt, kein Hamas-Mitglied ist in der Regierung. Aber die Regierung wird von der Hamas unterstützt!

Schrecklich! Unerträglich! Wenn die Hamas jemanden unterstützt, muss dies sicher ein Selbstmordbomber sein, ein Judenmörder und natürlich ein Antisemit (Auch wenn er selbst ein Semit ist.)

Also solch eine Regierung muss boykottiert werden, nicht nur von Israel, sondern von der ganzen zivilisierten Welt.

Falls Europa oder gar die USA nicht damit einverstanden sind - zeigt das nur, dass sie ein Haufen von Antisemiten sind, oder etwa nicht?


EINE ALTE jüdische Frage spricht halb im Scherz und halb im Ernst aus: "Ist es gut für die Juden?"

Ob es das Wetter ist, ein Erdbeben in Alaska oder eine Flut in China. Die Frage erhebt sich gleichbleibend. Gut oder schlecht für die Juden?

Ein uns viel näher liegendes Ereignis als die Aufstellung einer palästinensischen Einheitsregierung stellt diese Frage weit dringender.

Dies ist keine neue Frage in diesem Kontext. Schon in den frühen 50ern debattierten dies zwei bedeutende Führer.

David Ben-Gurion glaubte nicht an Frieden. Er war sich sicher, dass "die Araber" uns in dieser Region nie akzeptieren werden. Seiner Meinung nach würde der Konflikt noch viele Generationen dauern, wenn nicht für immer.

Bitte, bringt mir keine Zitate, um das Gegenteil zu beweisen. Es gibt eine Menge davon. Die Historiker lieben sie. Aber Zitate von Staatsmännern sind nahezu wertlos. Sie reflektieren meistens die Bedürfnisse des Autors, in der realen Zeit ein vorübergehendes Ziel zu erreichen.

Es sind die Taten, die zählen, und Ben-Gurions Taten lassen keinen Zweifel. In jeder Phase nahm er, was er kriegen konnte, und wartete dann auf die nächste Gelegenheit, um mehr zu gewinnen. Keinen Frieden.

Da er sicher war, dass die Araber und besonders die Palästinenser für immer unsere Feinde bleiben würden, ist die logische Schlussfolgerung, alles Mögliche zu tun, um sie zu schwächen. Und am besten ist es, sie zu trennen: Divide et impera!

Ben Gurion tat alles Mögliche, um die arabische Welt zu spalten. Als Gamal-Abd-al-Nasser mit seiner panarabischen Botschaft auf der Bildfläche erschien, sabotierte Ben-Gurion in jedem Stadium alle seine Bemühungen. Er verschlimmerte den Konflikt mit seinen Vergeltungsattacken über die Grenze hinaus, und fiel 1956 in Ägypten ein - in geheimer Absprache mit den zwei widerlichen Kolonialmächten Frankreich und Großbritannien.

Sein intellektueller Gegner war Nahum Goldmann, damals der Präsident der zionistischen Weltorganisation. Der glaubte an das genaue Gegenteil. Die Araber, behauptete er, werden uns nur anerkennen, wenn sie vereinigt sind und sich stark fühlen. Deshalb war jede Spaltung der arabischen Welt "schlecht für die Juden".

(Goldmann wünschte übrigens, uns aus dem kalten Krieg herauszuhalten und Israel zur Schweiz des Nahen Ostens zu machen). In dieser Hinsicht gab es wenig Unterschied zwischen Ben-Gurion und all seinen Nachfolgern. Der Unterschied zwischen Ben Gurion und Netanjahu ist wie der zwischen einem kleinen Riesen und einem großen Zwerg.

Unnötig zu erwähnen, dass ich voll und ganz für die Goldmann-Linie war. Mein Magazin hieß die ägyptische Revolution von 1952 willkommen, erhob heftige Einwände gegen den Sinai-Krieg und unterstützte die panarabische Linie.


DIE GRUNDLEGENDE Frage ist natürlich, ob man überhaupt Frieden haben will: Ist der Frieden "gut für die Juden?". Ben Gurion hat offensichtlich nicht so gedacht - Goldmann ja.

Wie war es mit Yitzhak Rabin?

Ich glaube, dass Rabin wirklich Frieden wollte, die Idee aber, die die unvermeidliche Grundlage für Frieden ist, hat er niemals akzeptiert: einen palästinensischen Staat neben Israel. Wenn er fähig gewesen wäre, seinen Weg weiterzugehen, wäre er wahrscheinlich dort angekommen, aber er wurde, bevor er dort ankam, umgebracht.

Doch war es Rabin, der die schicksalhafte Entscheidung traf, die Palästinenser zu spalten. Das Oslo-Abkommen stellte einstimmig fest, dass die Westbank und der Gaza-Streifen eine territoriale Einheit sind.

Um das zu verwirklichen, vier "sichere Passagen" zwischen den beiden Regionen zu öffnen, wurden Wegweiser in drei Sprachen aufgestellt: "nach Jericho" " nach "Gaza" etc. Doch keine der vier Passagen wurde jemals geöffnet.

Heute ist es schwierig, sich daran zu erinnern, dass vom Beginn der Besatzung 1967 bis zum Oslo-Abkommen 1993 Bewegungsfreiheit zwischen Israel und Palästina herrschte. Palästinenser von Gaza und Hebron konnten ohne Probleme Haifa besuchen, Israelis konnten leicht Lebensmittel in Nablus oder Jericho einkaufen. Es klingt unglaublich: das Oslo-Abkommen setzte diesem Paradies ein Ende.

Nach Oslo kam die Trennungsmauer und all die anderen Maßnahmen, die den Gazastreifen und die Westbank in Open-Air-Gefängnisse verwandelten. Die unvermeidbare Folge war die Spaltung.


ES GIBT in der Geschichte nur wenige Beispiele von Staaten, die aus zwei oder mehr getrennten Gebieten bestehen. Das auffallendste unserer Zeit ist Pakistan.

Als Indien geteilt wurde, lagen große muslimische Gebiete östlich von dem Land, das dann Indien wurde. Es funktionierte nicht. Es dauerte nur wenige Jahre für die Ost-Pakistaner, sich über die Vorherrschaft der West-Pakistaner zu ärgern. Gegenseitiger Hass kam auf. Das östliche Pakistan brach mit Hilfe Indiens weg und bildete einen eigenen Staat - Bangladesh.

Zwischen den beiden pakistanischen Gebieten war eine sehr weite Entfernung: das massige Indien. Aber zwischen der Westbank und dem Gazastreifen liegen nur gerade 40 km.

Anfangs gab es eine Menge Gerede, wie man die Entfernung überbrücken könne. Buchstäblich. Ehud Barak spielte mit der Idee, eine riesige Brücke zu bauen, und man sah sich in der Welt nach einem Modell um. Andere dachten über eine exterritoriale Schnellstraße oder Bahnlinie nach. Nichts wurde ausgeführt.

In der Zwischenzeit geschah, was geschehen musste. In beiden Gebieten wurden freie Wahlen abgehalten, beobachtet von Jimmy Carter - und Hamas gewann. Eine Regierung wurde gebildet. Unter immensem israelischen Druck wurde sie von Europa und den USA boykottiert und fiel auseinander.

Der Rest ist Geschichte. Eine Fatah-Fraktion in Gaza, angeführt von einem israelisch-amerikanischen Kollaborateur, versuchte, in Gaza einen Putsch durchzuführen. Die Hamas reagierte mit einem eigenen Putsch (falls man einen Putsch durchführen kann, nachdem man eine Wahl gewonnen hat) und wurde die Regierung im Gazastreifen. Fatah übernahm die Macht in der Westbank. Beide Seiten diffamierten einander - zum Entzücken Israels und seiner Unterstützer.

Aber die Geschichte hat ihre eigenen mysteriösen Wege. Nach einigen Kanonen- und Raketen-Duellen griff Israel den Gazastreifen an und nach einer Menge Blutvergießen griff auch Ägypten ein und arrangierte ein Abkommen (keine Waffenpause "Hudna", was Waffenstillstand bedeutet, sondern eine "Tahdiya", was Waffenruhe bedeutet). Beide Seiten waren glücklich, zusammen zu arbeiten. Hamas unternahm sogar konkrete Schritte, um die Angriffe der kleineren, extremeren Gaza-Fraktionen zu beenden; Israel verhandelte auch mit der Hamas über die Rückkehr des israelischen Soldaten Gilat Shalit.

Die israelischen Armeeoffiziere schienen sogar lieber mit der kämpferischen Hamas als mit der sanfteren Fatah zu verhandeln, deren Führer Mahmoud Abbas von Ariel Scharon ein "gerupftes Hühnchen" genannt wurde.


PRÄSIDENT JOHNSON sagte einmal, es sei besser, einen Feind innerhalb des Zeltes zu haben, der dann hinaus spucken kann, anstatt ihn außerhalb des Zeltes zu haben, damit er hineinspucken kann.

Einbeziehen ist besser als ausschließen. Eine Hamas, die die Verantwortung für eine Palästinensische Einheits-Regierung trägt, ist besser, als eine Hamas die angreift. Falls man wirklich Frieden mit dem palästinensischen Volk schhließen will.

Falls.



Copyright 2014 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 07.06.2014
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2014