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STANDPUNKT/200: Der Wiener Neoliberalismus - Die Enteignung der Gemeinde Wien (Gilbert Karasek)


Die Enteignung der Gemeinde Wien

Seit Jahren werden Gesellschaftseinrichtungen der Stadt Wien in private Handelswaren umgewandelt.

von Gilbert Karasek, 13. Juni 2012



Egal in welchem europäischen Staat oder Gemeinde öffentliches Eigentum ausgegliedert wird, der Privatisierungsvorgang durchläuft immer und überall den gleichen Umstrukturierungsprozess. In diesem Prozess werden die Eigenschaften des öffentlichen Eigentums aufgehoben und in das Privateigentum privater Gesellschaften und Fonds übertragen.

Gerade die Umwandlung der gesellschaftlichen Einrichtungen in private Handelswaren, kennzeichnet den Neoliberalismus. Als Erster hatte Margaret Thatcher (Englands Premierministerin von 1979 - 1987) mit der Ausgliederung gesellschaftlicher Einrichtungen begonnen. Sie begann in ihrer 2. Legislaturperiode die Londoner Verkehrsbetriebe, Elektrizitätswerke, Eisenbahnen, Altersheime, Spitäler, British Telecom, British Petroleum (BP), usw. zu privatisieren. In den Jahren 1987 bis 1995 breitete sich der Neoliberalismus flächendeckend in Europa aus.

Auch die sozialdemokratische Fraktion des Wiener Gemeinderats war von der neoliberalen Philosophie überzeugt; sie übernahm das Liberalisierungsprogramm der Margaret Thatcher, adoptierte es für Wien und setzte bei der Ausgliederung städtischer Einrichtungen, ihre Gewerkschaften ein. Sie verschleiert den Zusammenhang, dass mit den Ausgliederungen zugleich auch die Gemeindebediensteten abgeschafft werden und dass an derer Stelle atypische und prekäre Arbeitsverhältnisse entstehen.

Bei Ausgliederungen achten SPÖ Gemeinderat und ihre Gewerkschaftsfraktion sorgfältig darauf, dass die betroffenen ArbeitnehmerInnen in Unwissenheit gehalten werden. Im Laufe der Zeit bildeten sich undurchschaubare Grauzonen. Es ist also kein Zufall, dass sich bei jeder weiteren Ausgliederung die Liste der Fragen verlängert.

Das Einzige das den ArbeitnehmerInnen bleibt, ist ihr Erfahrungsaustausch. Ich konnte zum Beispiel an meiner Dienststelle, den gesamten Prozess der Privatisierung miterleben. Die Umstrukturierung begann mit einer schlagartigen Umstellung von einer profitfreien zu einer asozialen, auf Profit ausgerichteten Versorgung.

Es bleibt noch die Frage zu beantworten, weshalb sich die Wiener Stadtregierung als Arbeitgeberin der Gemeindebediensteten, sich so intransparent zu den ArbeitnehmerInnen verhält. Für die sozialdemokratische Fraktion ist zwar die Verschleierung undemokratisch, aber eine notwendige Maßnahme, um die Bediensteten nicht in Unruhe zu versetzen. Dementsprechend werden auch die Informationen zensuriert.

Die Umsetzung der Verschleierungspolitik gegenüber den ArbeitnehmerInnen bezeichnet die Magistratsdirektion unter den Begriff "New Public Management" als Anwendung "neuer Informationstechnologien".

Wie wir sehen, ist die Verschleierung ein bewusst eingesetztes Mittel. Sie besteht aus juristisch zusammen gestellter Geheimnistuerei, den Gebrauch einer unverständlichen Sprache und kompliziert angelegter Geschäftskonstruktionen. Die Verschleierung ist ein nützliches Instrument, um die Menschen zu täuschen, um eben ihr Bewusstsein zu manipulieren.

Die ArbeitnehmerInnen haben weder die Mittel, noch die Befugnisse, sich selbst einen Überblick zu verschaffen. Aber wie wollen sie demokratisch aktiv sein, wenn die Verhältnisse, die über ihr Leben bestimmen, verschleiert sind. Die Demokratie, damit sie funktionieren kann, braucht Menschen, die auch die Verhältnisse durchschauen in denen sie arbeiten und leben.

Immer mehr wird unser Leben von den Spekulationen der Banken, Börsen und AktionärInnen diktiert. Sie drängen uns in atypischen und prekären Arbeitsverhältnisse, die auf Dauer Gesundheit, Bildung, Pensionen unfinanzierbar machen. Wir sollten darüber nachdenken, ob der Neoliberalismus die einzige Option ist, die wir haben. Zum Beispiel eine andere Option wäre eine Zukunft die vom Kapitalismus befreit ist, in der die ArbeitnehmerInnen gemeinsam und gleichberechtigt, die Wirtschaft kontrollieren und bewirtschaften.

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Quelle:
© 2012 by Gilbert Karasek
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2012