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STELLUNGNAHME/087: Fruchtbarer Boden für Jihadisten (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 13. September 2021
german-foreign-policy.com

Fruchtbarer Boden für Jihadisten

Die Rolle Saudi-Arabiens, eines engen Verbündeten Berlins, bei den Anschlägen am 11. September 2001 ist weiter ungeklärt. In den 1980er Jahren förderten beide Länder Jihadisten am Hindukusch.


WASHINGTON/RIAD/BERLIN - 20 Jahre nach dem 11. September 2001 bleibt die Rolle Saudi-Arabiens, eines der engsten Verbündeten Deutschlands am Persischen Golf, bei der Vorbereitung der damaligen Anschläge ungeklärt. Unter wachsendem Druck von Angehörigen der Opfer, die sich gerichtlich um Aufklärung bemühen, hat US-Präsident Joe Biden angekündigt, eine Reihe von Dokumenten zu veröffentlichen, die Aufschlüsse geben sollen, ob und inwieweit saudische Stellen die Attentäter unterstützten. Das erste, am Wochenende publizierte Papier liefert keine entscheidenden Informationen. Die US-Regierung behindert die Aufklärung seit Jahren. Inzwischen liegen jedoch Hinweise vor, denen zufolge ein Mitarbeiter der saudischen Botschaft in Washington weitere saudische Staatsangestellte mit der Betreuung zweier Attentäter beauftragte. In den 1980er Jahren förderten Riad und Washington gemeinsam Jihadisten in Afghanistan, darunter Usama bin Ladin; beteiligt war auch Bonn. Nach Recherchen der US-Opferanwälte hat auch die Botschaft Saudi-Arabiens in Bonn bzw. Berlin bis 2001 Al Qaida-Strukturen unterstützt.

"Mit erheblicher Regierungsförderung"

Dass Personen und Organisationen aus Saudi-Arabien eine tragende Rolle bei Vorbereitung und Durchführung der Anschläge vom 11. September 2001 innehatten, ist seit langem bekannt. 15 der 19 Attentäter waren Staatsangehörige der Golfmonarchie. Die offizielle 9/11-Kommission, die im Dezember 2002 vom US-Kongress eingesetzt worden war, bestätigte in ihrem Abschlussbericht vom 22. Juli 2004: "Al Qaida fand fruchtbaren Boden für die Beschaffung von Geld in Saudi-Arabien, wo extreme religiöse Auffassungen verbreitet sind".[1] Zwar äußerte die Kommission, man habe "keinen Beweis gefunden, dass die saudische Regierung als Institution oder höhere saudische Staatssbeamte individuell die Organisation finanziert haben"; allerdings hat die präzise Wortwahl - "saudische Regierung", "höhere Regierungsbeamte" - stets den Verdacht genährt, es könnten weniger exponierte Beamte involviert gewesen sein, zumal es gängiger Praxis enspricht, dass Spitzenfunktionäre heikle Aktivitäten nicht selbst übernehmen, sondern sie der Ausführung durch andere überlassen. Außerdem räumte die 9/11-Kommission eine "Wahrscheinlichkeit" ein, "dass Wohltätigkeitsorganisationen mit erheblicher Förderung durch die saudische Regierung Gelder an Al Qaida umgeleitet haben".

Die Administration mauert

Die US-Regierung hat jahrelang alles dafür getan, Erkenntnisse über eine etwaige Mittäterschaft saudischer Stellen zu unterdrücken und gerichtliche Untersuchungen zu unterbinden. So wurde ein Teil des 9/11-Kommissionsberichts im Umfang von 28 Seiten mehr als ein Jahrzehnt lang strikt geheimgehalten und erst nach anhaltend massivem Druck am 15. Juli 2016 teilweise freigegeben. Gerichtsprozesse, die Angehörige der Opfer angestrengt hatten, um eine etwaige Mittäterschaft saudischer Stellen aufzudecken und Riad zur Rechenschaft zu ziehen, scheiterten immer wieder an einem Gesetz aus dem Jahr 1976, das fremden Staaten Immunität vor US-Gerichten zuspricht. Der Justice Against Sponsors of Terrorism Act, der dieses Gesetz - unter eng definierten Umständen - aushebelt, musste am 28. September 2016 vom US-Kongress gegen ein Veto des damaligen US-Präsidenten Barack Obama verabschiedet werden. Seither wird - auf Klagen von Angehörigen der Opfer - gerichtlich umfassend ermittelt. Allerdings berichten Kläger unverändert, die Regierung in Washington mauere bei der Freigabe von Dokumenten; Behörden wie das FBI erklärten immer wieder, sie seien außerstande, wichtige Beweismittel - darunter selbstverfasste Berichte - aufzufinden.[2]

Auftraggeber in der Botschaft

Durch wachsende öffentliche Kritik von Angehörigen der Opfer unter Druck geraten, hat US-Präsident Joe Biden kürzlich angekündigt, weitere Dokumente öffentlich zugänglich zu machen; das erste davon wurde am Wochenende publiziert. Es ist an zahlreichen Stellen geschwärzt und bringt keinen Durchbruch, bestätigt aber bestehende Vorwürfe. Bereits bekannt ist etwa, dass zwei der Attentäter, als sie im Januar 2000 nach Kalifornien einreisten, dort umgehend Unterstützung durch zwei saudische Funktionäre erhielten: durch Fahad al Thumairy, einen Angestellten des saudischen Ministeriums für islamische Angelegenheiten, der damals als Diplomat beim Konsulat Saudi-Arabiens in Los Angeles akkreditiert war, sowie durch Omar al Bayoumi; von ihm heißt es, er sei für den saudischen Geheimdienst tätig gewesen, und dies wird durch Indizien gestützt. Al Bayoumi hat die zwei Attentäter mit Geld versorgt, ihnen eine Wohnung verschafft sowie die Eröffnung eines Bankkontos ermöglicht. Im Mai 2020 wurde durch ein Versehen des FBI die Identität von Mussaed Ahmed al Jarrah enthüllt, des Mannes, der laut dem FBI Thumairy sowie Bayoumi beauftragt hatte, den beiden Attentätern zu helfen. Jarrah war damals an Saudi-Arabiens Botschaft in Washington angestellt und unmittelbar dem Botschafter, Prinz Bandar bin Sultan al Saud, berichtspflichtig.[3] Dass Bandar bin Sultan, ein Mann mit besten geheimdienstlichen Verbindungen, über den Auftrag zur Unterstützung für die Attentäter nicht informiert gewesen sei, sei undenkbar, wird ein ehemaliger FBI-Ermittler zitiert.[4]

Feste Verbündete

Die Frage, ob die Regierung, Staatsfunktionäre oder Geheimdienstler aus Saudi-Arabien in die Vorbereitungen für die Anschläge involviert waren, ist für die Vereinigten Staaten nicht nur heikel, weil das Land ihr wohl engster Verbündeter im Mittleren Osten ist. Washington und Riad haben in der Vergangenheit gemeinsam Jihadisten unterstützt - in den 1980er Jahren am Hindukusch. Die US-Administration förderte damals zunächst unter Jimmy Carter, dann verstärkt unter Ronald Reagan die Mujahedin, zu denen nicht nur afghanische, sondern auch arabische Jihadisten zählten, darunter Usama bin Ladin. In der saudischen Botschaft in Washington war der ab 1983 dort als Botschafter tätige Bandar bin Sultan mit den Unterstützungsaktivitäten befasst.[5] In Riad und vor Ort in Afghanistan koordinierte insbesondere Prinz Turki al Faisal bin Abdulaziz al Saud die gemeinsamen Hilfsleistungen für die Mujahedin, für die allein die Vereinigten Staaten im Lauf der 1980er Jahre Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellten. Turki al Faisal traf dabei zuweilen mit Usama bin Ladin zusammen, von dem er später erzählte: "Er sprach wenig und erhob nie seine Stimme. Kurzum, er war ein netter Kerl."[6] Der Afghanistanexperte und Publizist Ahmed Rashid hat Turki al Faisal und Bin Ladin einst rückblickend als "feste Freunde und Verbündete in einer gemeinsamen Sache" eingestuft.[7]

Jihadisten in Oberbayern

Turki al Faisal war damals auch ein Bezugspunkt für die Bundesrepublik: Er stand von 1977 bis 2001 an der Spitze des saudischen Geheimdienstes GIP (General Intelligence Presidency), der zu den Kooperationspartnern des Bundesnachrichtendienstes (BND) gehörte. Der BND wiederum leistete ebenfalls Unterstützung für die afghanischen Mujahedin - unter anderem, indem er in Oberbayern, wie es in einem Standardwerk über den Geheimdienst heißt, arabische Afghanistan-Freiwillige trainierte.[8] Der damalige GIP-Chef Turki als Faisal hält noch heute Kontakt nach Deutschland: als Mitglied des Advisory Council der Münchner Sicherheitskonferenz.

Geld für Al Qaida

Die Frage nach einer etwaigen Beteiligung saudischer Stellen an Vorbereitungen für die Anschläge am 11. September 2001 ist für Deutschland nicht nur deshalb von Bedeutung, weil das Land einer der engsten Verbündeten Berlins im Mittleren Osten ist. Treffen Vorwürfe der Opferanwälte zu, die aktuell vor US-Gerichten eine Aufklärung über die saudische Rolle anstreben, dann sind aus der Golfmonarchie nicht nur - von 1996 bis 2001 - Mittel an Al Qaida-Strukturen in Deutschland geflossen, die der Rekrutierung von Mitgliedern dienten, unter anderem der Hamburger Zelle, der mehrere Attentäter angehörten. Zudem sollen zwei Mitarbeiter des saudischen Ministeriums für islamische Angelegenheiten in ihrer Funktion als Botschaftsmitarbeiter in Bonn bzw. Berlin rund 800.000 US-Dollar aus Botschaftsmitteln an das Al Qaida-Netzwerk in Deutschland gezahlt haben: bis unmittelbar vor den Anschlägen in den USA.[9]


Anmerkungen:

[1] The 9/11 Commission Report.

[2] Marty McGinley, Dennis McGinley: The 9/11 attacks, 20 years on: A victim's family reflects on justice delayed. nbcnews.com 11.09.2021.

[3] Michael Isikoff: In court filing, FBI accidentally reveals name of Saudi official suspected of directing support for 9/11 hijackers. news.yahoo.com 12.05.2020.

[4] Nikolaus Steiner: Die Hintermänner von 9/11: Welche Rolle spielte Saudi-Arabien? wdr.de 09.09.2021.

[5] Steve Coll: Ghost Wars. The Secret History of the CIA, Afghanistan and bin Laden, from the Soviet Invasion to September 10, 2001. London 2004.

[6] Der meistgesuchte Mann der Welt. zeit.de 02.05.2011.
S. auch Gute Jungs, böse Jungs.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/5840/

[7] Ahmed Rashid: Taliban. Militant Islam, Oil and Fundamentalism in Central Asia. New Haven 2000.
S. auch Verbündete in gemeinsamer Sache.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/6841/

[8] Peter F. Müller, Michael Mueller mit Erich Schmidt-Eenboom: Gegen Freund und Feind. Der BND: Geheime Politik und schmutzige Geschäfte. Reinbek 2002.
S. auch Alte Verbündete.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/4454/

[9] United States District Court, Southern District of New York. Consolidated Complaint. 03 MDL 1570 (GBD)(SN).

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 14. September 2021

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