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STELLUNGNAHME/064: Zum 1. Jahrestag des Gaza-Rückkehrmarsches (BAK Nahost der LINKEN)


Die Linke. Arbeitskreis gerechter Frieden in Nahost - 27.03.2019

Stellungnahme des Sprecherinnenrates des Bundesarbeitskreises Nahost der Partei DIE LINKE zum 1. Jahrestag des Beginns des

"Großen Marsches der Rückkehr und des Überwindens der Blockade" im Gazastreifen


Am 30. März jährt sich der Beginn des "Großen Marsches der Rückkehr", der in erster Linie darauf gerichtet ist, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge einzufordern und die vom Staat Israel 2007 verhängte völkerrechtswidrige Blockade zu überwinden.

Wir begrüßen ausdrücklich den Beschluss des Parteivorstands vom 1. Juli 2018[1]:

"[...] Die Partei DIE LINKE verurteilt das gewaltsame Vorgehen der israelischen Regierung und des israelischen Militärs gegen die mehrheitlich friedlichen Massenproteste der Palästinenser in Gaza im Zuge des "Großen Rückkehrmarsches", der am 30. März 2018 begann. [...]

Wir erklären unsere Solidarität mit den mutigen israelischen und palästinensischen Friedensaktivistinnen und -aktivisten und Besatzungsgegnerinnen und -gegnern, die sich für ein Ende der Besatzung, gegen das Massaker in Gaza und für ein sofortiges Ende der Blockade einsetzen. [...]

Das Leben im Gazastreifen gestaltet sich unter dieser Blockade äußerst menschenunwürdig. In einem Bericht der Vereinten Nationen heißt es sogar, der Gazastreifen werde im Jahr 2020 unbewohnbar sein, falls nicht sofort entschlossen gehandelt wird.[2] Der Staat Israel hat in den fast 12 Jahren der Blockade bereits drei Kriege gegen den Gazastreifen geführt mit Tausenden Toten, Verletzten und Traumatisierten.[3] Auch zwischen den Kriegen starben viele Menschen durch israelische Bomben und andere Kampfmittel und offensichtlich gibt es jetzt eine erneute Zuspitzung.

Beinahe 70 Prozent der Bevölkerung sind beim UN-Flüchtlingshilfswerk (UNRWA) registrierte Flüchtlinge im Gefolge der Nakba. Nakba ist das arabische Wort für Katastrophe und bezeichnet die Flucht und Vertreibung von über 700.000 Palästinenser*innen im Jahr 1948 aus dem heutigen Israel. Die Flüchtlinge im Gazastreifen sind nahezu vollständig von den UNRWA-Hilfsleistungen abhängig, deren finanzielle Mittel wiederum durch den von der Trump-Administration verfügten US-Beitragsstopp nun noch knapper geworden sind.[4] Obwohl die UN-Resolution 194 (1948) vorsieht, dass "den Flüchtlingen, die in ihre Heimat zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dieses zum frühest möglichen Zeitpunkt gestattet werden sollte und dass jenen, die nicht zurückzukehren wünschen, Entschädigung für ihr Eigentum, für den Verlust oder die Beschädigung des Eigentums zu zahlen ist". Eine Aufforderung, die Israel stets mit der Begründung ablehnt, damit seinen jüdischen Charakter zu gefährden. Auch Entschädigungszahlungen wurden immer verweigert.

Zivilgesellschaftlich initiiert, sollte mit der Protest- und Widerstandskampagne - friedlich auf der Grundlage eines basisdemokratisch verabredeten 12-Punkte-Prinzipienkatalogs - auf die im Gefolge der Blockade immer verzweifelter werdende Lage im Gazastreifen sowie die Unerfülltheit der UN-Resolution 194 aufmerksam gemacht werden. So sollte Unterstützung durch die internationale Öffentlichkeit mobilisiert werden. Dementsprechend haben sich seither mehrere zig-tausende Demonstrant*innen allen Alters, Geschlechts oder sozialer wie politischer Zugehörigkeit vornehmlich jeweils freitags zu verschiedensten Aktivitäten und kulturellen Events zusammengefunden. Als Ausdruck einer weit gestreuten Bewegung eines massiven Volkswiderstandes und zivilen Ungehorsams, der statt von Hamas kontrolliert zu werden, sich sogar auch gegen diese selbst richtet.

Auf die die israelische Armee allerdings mit Schusswaffengebrauch reagiert hat. So feuerten mehr als 100 israelische Scharfschützen auf die in der Mehrheit friedlichen Demonstrant*innen entlang des ganzen Gazastreifens. Im Ergebnis dessen waren bis Ende 2018 mindestens 183 Tote[5] zu beklagen, darunter 35 direkt durch Heckenschützen getötete Kinder und 27.000 Verletzte, darunter 6.106 durch scharfe Munition Verwundete, davon 940 Kinder.[6]

Allein am 14.05.2018, dem 70. Jahrestag der Gründung Israels und Tag der völkerrechtswidrigen Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem[7], wurden 73 Menschen getötet. Was israelische Prominente zu einer scharfen Verurteilung und einem Vergleich mit dem Massaker von Sharpeville/Südafrika im Jahr 1960 veranlasst hat; verbunden mit dem Appell an "aufrichtige Mitglieder der internationalen Gemeinschaft" zu handeln. "Keiner der Demonstranten stelle eine unmittelbare Gefahr für den Staat Israel und seine Bürger dar."[8]

Entsprechend dem von der unabhängigen Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrates Ende Februar 2019 vorgelegten Bericht[9] waren die Protest- und Widerstandsbekundungen in der Hauptsache friedlich. Von den 183 Toten seien 154 nachweislich unbewaffnet gewesen. Demgegenüber werden im Bericht Menschenrechtsverletzungen und Vergehen am humanitären Völkerrecht seitens Israels konstatiert. Der Staat Israel hat seine Mitwirkung zur Erstellung des Berichts verweigert und bezichtigt stattdessen den UN-Menschenrechtsrat, die Kommission und überhaupt die UN einer Israel-feindlichen Haltung.

Basierend auf dem Untersuchungsbericht hat der UN-Menschenrechtsrat am 22.03.2019 eine Resolution verabschiedet, in der "die offensichtlich vorsätzliche Anwendung von rechtswidriger tödlicher und anderer exzessiver Gewalt durch die Besatzungsmacht Israel gegen Zivilisten, einschließlich Zivilisten mit besonderem völkerrechtlichen Schutzstatus, insbesondere Kinder, Journalisten, Gesundheitspersonal und Menschen mit Behinderungen, die keine unmittelbare Gefahr für das Leben darstellen, verurteilt"[10] wird.

Wie überhaupt die ständige Anwendung von Krieg und Gewalt völlig unakzeptabel ist. Stattdessen muss es jetzt darum gehen,

• der Blockade- und Gewaltpolitik Israels gegenüber dem Gazastreifen endlich Einhalt zu gebieten. Die strikte Achtung der Menschenrechte hat auch für die Palästinenser*innen zu gelten. Auch der Westen darf sie nicht länger angemaßten israelischen Sicherheitsinteressen unterordnen. Vor allem die EU - und darunter insbesondere die deutsche Regierung, die bei jeder Gelegenheit das hohe Gut ihrer Werte betont, machen sich ansonsten mitschuldig auch an künftigen Eskalationen. Der UN-Generalsekretär António Guterres bedarf der dringenden Unterstützung in seiner Forderung an die internationale Gemeinschaft, effektive Anstrengungen zur Revitalisierung der Wirtschaft im Gazastreifen zu unternehmen;

• für eine sofortige Aufhebung der Blockade wie für die Beendigung der bereits über ein halbes Jahrhundert andauernden Okkupation und damit einhergehenden Missachtung des legitimen palästinensischen Rechts auf Selbstbestimmung einzutreten. Wie die ganze bisherige Entwicklung zeigt, bedeuten die mit angeblichen Sicherheitsinteressen zu rechtfertigen versuchte Blockade des Gazastreifens wie ebenso die Okkupation palästinensischen Territoriums auch für Israel selbst nicht mehr Sicherheit. Mit jedem Krieg wachsen Hass und Radikalität. Nur ein Frieden mit den Palästinenser*innen kann Israel eine sichere Existenz gewährleisten. Mehr als überfällig ist deshalb ein Paradigmenwechsel hin zur Suche nach einem fairen Interessenausgleich im israelisch- palästinensischen Konflikt unter Beteiligung aller maßgeblichen Akteure, einschließlich Hamas, auch im Interesse der Überwindung der palästinensischen Spaltung zwischen Gazastreifen und Westbank.


Anmerkungen:

[1] https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteivorstand/2016-2018/beschluesse/detail/news/fuer-ein-ende-der-besatzung-und-der-blockade-von-gaza/.

[2] Zu Hintergrundinformationen siehe: Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg.): Fakten über den Gazastreifen,
http://www.rosalux.org.il/fakten-uber-den-gazastreifen/.

[3] 2008-2009 Operation Cast Lead mit 1.400 palästinensischen und 13 israelischen Toten; 2012 Operation Pilar of Defense mit 174 palästinensischen und 6 israelischen Toten und 2014 Operation Protective Edge mit 2.251 palästinensischen und 71 israelischen Toten.

[4] Dazu unsere Erklärung zur drastischen Mittel-Kürzung für das UNO-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) durch die US-Regierung vom 16.012018. https://www.antikapitalistische-linke.de/?p=2469.
Später haben die USA ihre Zahlungen komplett gestrichen.

[5] Laut palästinensischem Gesundheitsministerium beläuft sich die Zahl der Toten sogar auf 260.

[6] Human Rights Council: A/HRC/40/74 Report of the independent international commission of inquiry on the protests in the Occupied Palestinian Territory, 25.02.2019,
https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoIOPT/A_HRC_40_74.pdf.

[7] Dazu unsere Erklärung "Zur Jerusalem-Entscheidung der US-Regierung" vom 18. Dezember 2017,
http://www.antikapitalistische-linke.de/?p=2365#more-2365.

[8] https://www.tagesspiegel.de/politik/appell-israelischer-prominenter-nach-den-blutigen-protesten-in-gaza-die-welt-muss-eingreifen/22571212.html

[9] Human Rights Council: A/HRC/40/74 Report.

[10] Human Rights Council: Resolution (A/HRC/40/L.25) on ensuring accountability and justice for all violations of international law in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem,
https://undocs.org/A/HRC/40/L.25.

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Quelle:
Bundesarbeitskreis Gerechter Frieden Nahost der LINKEN
BAG Frieden und internationale Politik
E-Mail: info@bag-fip.de
Internet: https://bagfip.wordpress.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2019

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