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STELLUNGNAHME/050: Zur Kampagne gegen Vietnam - Erinnerung an die Entführung Kapplers (Gerhard Feldbauer)


Die Entführung Kapplers

Die Kampagne gegen Vietnam gibt Anlass, daran zu erinnern, wie in der BRD vor gut 40 Jahren die Entführung des SS-Kriegsverbrechers Kappler aus der Haft in Italien organisiert wurde

von Gerhard Feldbauer, 18. Januar 2018


Während in Hanoi der Prozess gegen der Korruption verdächtige Manager mit Geständnissen der Angeklagten läuft, geht hierzulande die Kampagne gegen Vietnam weiter. Wenn sich Berlin zum Hüter von internationalem Recht aufspielt, fällt auf, dass die Bundesanwaltschaft sonst keinen Anstoß daran nimmt, dass beispielsweise die CIA die Bundesrepublik als Spielwiese ihrer Operationen benutzt oder der Geheimdienst des türkischen NATO-Partners ungestört sein Unwesen treiben kann, was natürlich gegen internationales Recht wie auch das Grundgesetz verstößt. Im Fall des sozialistischen Vietnams werden die Behauptungen der angeblichen Entführung des derzeit in Hanoi wegen Millionen schwerer Korruption und der Veruntreuung von Staatsgeldern vor Gericht stehenden früheren Managers Trinh Xuan Thanh zum Anlass genommen, wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit und der Freiheitsberaubung Ermittlungen aufzunehmen. Als langjähriger Korrespondent in Italien (1973-1979) fällt mir dazu noch eine Parallele ein. Im August 1977 leistete sich die BRD eklatante Verstöße gegen Völkerrecht und Grundgesetz, von der Schützenhilfe für einen SS-Kriegsverbrecher ganz zu schweigen.

In der Nacht zum 15. August floh damals der in Italien zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte Nazi-Kriegsverbrecher Herbert Kappler aus dem Militärgefängnis Celio bei Rom in die Bundesrepublik, wo er in seinem Geburtsort Soltau frenetisch gefeiert wurde. Wie italienische Zeitungen berichteten, hatten deutsche und italienische Komplizen den Ausbruch organisiert. Daran direkt beteiligt war eine Gruppe von ehemaligen führenden Nazis zusammen mit Geheimdienstlern, darunter aus dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr. Ein "zahlreicher Freundeskreis" habe die Operation mit großen finanziellen Beträgen unterstützt. Der Stab der Organisatoren befand sich, schrieb die Zeitung "Europeo", in Bonn im Hause eines hohen Politikers und im Südtiroler Bozen bei ehemaligen SS-Kameraden.

Kappler war SS-Kommandant von Rom. Am 25. März 1944 hatte er die Ermordung von 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom kommandiert. Die Justizbehörden in Bonn verweigerten die von Italien geforderte Auslieferung Kapplers. Der Geiselmord in den Tuffsteinhöhlen war eines der barbarischsten Verbrechen des Besatzungsregime Hitlerdeutschlands in Italien. Zeitungen des Landes erinnerten in zahlreichen Berichtern ausführlich, was sich damals ereignete. Die Hauptstadt war Anfang 1944 nach einer Vereinbarung mit der deutschen Besatzungsmacht zur "offenen Stadt" erklärt worden. Die Wehrmacht hielt sich nicht an die Verpflichtung, ihre Truppen abzuziehen, und die Alliierten flogen daraufhin am 19. März 1944 einen schweren Luftangriff auf die Hauptstadt. Daraufhin beschloss der Militärausschuss des Nationalen Befreiungskomitees (CLN), den der Sozialistenführer Sandro Pertini (1978-1984 Staatspräsident) leitete, für den 23. März einen Überfall auf eine Einheit des SS-Regiments von Bozen in der Via Rasella, bei dem 32 Angehörige getötet wurden. Ein weiterer Mann starb an seinen Verwundungen. Kappler ließ daraufhin am 25. März zur Vergeltung 335 Geiseln hinrichten. Einige der Opfer erschoss er persönlich. Festgelegt war, je zehn Geiseln für einen toten SS-Mann zu exekutieren. Es waren jedoch fünf zu viel zusammengetrieben worden, die Kappler nicht übriglassen wollte.

Unter den Ermordeten befanden sich 38 Militärs, darunter die Generäle Corrado Simoni (Held des Ersten Weltkrieges), Dardano Fenulli und Martelli Castaldi sowie Oberst Giuseppe Cordero Lanza di Montezemolo, die antifaschistische Positionen bezogen hatten. Die übrigen 297 waren Zivilisten: Kommunisten, Sozialisten, Christdemokraten und Anhänger der Monarchie, darunter 70 Juden. Die älteste Geisel war 75 Jahre, die jüngste ein 14jähriger Junge. Keiner der Exekutierten stand in irgendeiner Beziehung zu dem Partisanenüberfall. In Sonderheit erregte ein Buch des Publizisten Guido Gerosa "Il Caso Kappler. Von den Ardeatinischen Höhlen nach Soltau", das schon kurz nach der Flucht des SS-Mörders erschien, die Öffentlichkeit. Der Autor schilderte, wie die Geiseln in die Tuffsteinhöhlen hinabgetrieben, sich in Fünferreihen aufstellen mussten und dann durch Genickschuss umgebracht wurden. Als der Leichenberg anwuchs, mussten die folgenden Opfer auf die bereits erschossenen treten. Nach dem Ende des neun Stunden dauernden grausigen Blutbades wurden die Höhlen durch Sprengung zugeschüttet.

Kappler beteiligt sich auch an der Verfolgung der Palastverschwörer, die im Juli 1943 den "Duce" stürzten. Den zu ihnen gehörenden Schwiegersohn Mussolinis, Graf Galeazzo Ciano, lockte er nach Rom und lieferte ihn Mussolini aus, der ihn am 11. Januar 1944 hinrichten ließ. Die Tochter König Vittorio Emanuele III., des ranghöchsten Verschwörers vom Juli 1943, Mafalda von Savoyen, lockte Kappler in die deutsche Botschaft, wo sie festgenommen und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert wurde, das sie nicht überlebte. Gerosa legte auch dar, wie Kappler gegen die jüdische Gemeinde von Rom vorging. Mit dem Versprechen, es werde ihnen nichts geschehen, erpresste er von ihnen 80 Kilo Gold. Danach ließ er am 16. Oktober 1944 das jüdische Ghetto von Rom liquidieren. 1.007 Juden, darunter Alte und Kinder, Kranke und Schwangere, wurden in die Konzentrationslager verschickt, von denen nach 1945 nur 15 lebend zurückkehrten.

Gerosa schrieb, die herzliche Begrüßung des verurteilten SS-Verbrechers in der Bundesrepublik sei "ein Symbol für diese unbewältigte Vergangenheit", worüber man sich aber nicht wundern müsse. Er hielt der Bundesrepublik den Spiegel vors Gesicht, dass es sieben Jahre vor der Flucht Kapplers in der Bundeswehr noch 176 Generäle gab, die als höhere Offiziere unter Hitler gedient hatten. Italienische Zeitungen verwiesen darauf, dass seit Adenauers Zeiten führende Politiker der Bundesrepublik, darunter 232 Bundestagsabgeordnete und Mitglieder der derzeitigen Bundesregierung, die Freilassung Kapplers gefordert hatten.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Januar 2018

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