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OFFENER BRIEF/028: An die Staatsanwaltschaft Dresden (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V. - 23. Februar 2010

Offener Brief an die Staatsanwaltschaft Dresden

In einem Offenen Brief an die Staatsanwaltschaft Dresden wenden sich das Komitee für Grundrechte und Demokratie und neun ihrer Vertreter namentlich gegen die fortdauernde Kriminalisierung der Leute, die den Aufmarsch der national und gewalttätig Verirrten in Dresden blockiert haben.


Offener Brief an die Staatsanwaltschaft Dresden
Herrn Staatsanwalt Christian Avenarius

Gewaltfreie (Sitz)blockaden dürfen nicht erneut kriminalisiert werden!

Keine Strafverfolgung der Leute, die den Aufmarsch der national und gewalttätig Verirrten in Dresden blockiert haben!



Sehr geehrter Herr Staatsanwalt Avenarius,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Verwundert und empört nehmen wir zur Kenntnis, dass die Staatsanwaltschaft Dresden noch immer überlegt, gegen die Demonstrierenden vorzugehen, die am 13. Februar 2010 den Aufmarsch von Neonazis in Dresden verhindert haben. Schon die Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme der Aufrufe zu gewaltfreien Blockaden der Versammlung neuer Nazis im Vorfeld der Demonstrationen waren rechtswidrig. Sie sollten wohl eher engagierte Demokraten abschrecken. Die Berichte über die Ereignisse in Dresden am 13. Februar 2010 belegen, dass die vielen (jugendlichen) Bürger und Bürgerinnen aus ganz Deutschland, die sich nicht abschrecken und einschüchtern ließen, die öffentlichkeitswirksame Manifestation getragen haben. Ihnen gilt unser Dank!

Das Dresdener Gedenken der Bombardierung hat viele Facetten. Eine Konsequenz daraus sollte sein, dass jeder Bürger und jede Bürgerin sich gegen Diskriminierungen und Gewalt wehren. Schweigen, sich wegducken, die Verantwortung dem Staat überlassen und bei nationalsozialistischem, antisemitischem und rassistischem Denken und Handeln wegsehen, haben den Terror mit verursacht, der von Deutschland ausging.

Verbreitete Fehlinformationen sind zu korrigieren.

Blockaden sind keine Straftat nach § 240 Strafgesetzbuch, wie das Bundesverfassungsgericht 1995 in seinem Beschluss zu den Mutlangen-Blockaden festgestellt hat. Sie stellen keine verwerfliche Nötigung und keine Gewalt dar.

Auch nicht angemeldete Demonstrationen stehen unter dem Schutz des Versammlungsrechts. Schon in seiner "Brokdorf-Entscheidung" von 1985 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass "die Anmeldepflicht nicht ausnahmslos eingreift und dass ihre Verletzung nicht schon schematisch zum Verbot oder zur Auflösung einer Veranstaltung berechtigt". Gerade hat das höchste Gericht in seiner Eilentscheidung zum Bayerischen Versammlungsgesetz im Februar 2009 die Bußgeldvorschriften zu Bekanntmachungs- und Anzeigepflichten außer Kraft gesetzt, weil diese "der Inanspruchnahme eines elementaren demokratischen Kommunikationsgrundrechts die Unbefangenheit" nähmen. Eine polizeiliche Auflösung einer solchen Versammlung steht unter dem Gebot der "strikten Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" (BVerfG 1985).

Auch die Versammlungen alter und neuer Nazis stehen unter dem Schutz des Versammlungsrechts, wie auch das Bautzener Oberverwaltungsgericht im Vorfeld festgestellt hat. Es gibt in Deutschland keine Orte, an denen Nazi-Demos niemanden stören. Der Staat darf solche Aufmärsche jedoch nicht einfach verbieten. Die Bürger und Bürgerinnen sind dagegen aufgerufen, sich dem braunen Spuk entgegenzustellen.

Sie nehmen ihr Recht auf Versammlungsfreiheit wahr, wenn sie öffentlich zum Ausdruck bringen, dass sie diese Menschenrechte missachtenden Meinungen in ihrer Stadt nicht dulden wollen.

Der Rechtsstaat braucht die mündigen BürgerInnen. Allein die Freiheit, Unabhängigkeit und Mündigkeit der selbstbewussten BürgerInnen kann ihn vor Erstarrung in geschäftiger Routine und vor Schlimmerem bewahren.

Mit freundlichen Grüßen
Elke Steven

gez.: Theo Christiansen, Corinna Genschel, Stephan Nagel, Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr, Prof. Dr. Roland Roth, Prof. Dr. Albert Scherr, Martin Singe, Dr. Elke Steven, Dirk Vogelskamp
(alle: Komitee für Grundrechte und Demokratie)


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Quelle:
Mitteilung vom 23. Februar 2010
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Aquinostr. 7-11, 50670 Köln
Telefon: 0221/9726920
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2010