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LESERBRIEFE/013: Erwiderung des Schattenblick auf den Leserbrief 012 von Thomas Immanuel Steinberg (SB)



Erwiderung der Redaktion Schattenblick auf kurze Bemerkungen (*) zum Thema Geld

Zum Schattenblick-Bericht:
John Holloway - Wir sind die Krise des Kapitalismus (SB)

unter: POLITIK → REPORT → BERICHT/091


Lieber Thomas Immanuel Steinberg,

nachdem Du - und als Replik auf Dich - Andre Schlauch in unserem Bericht zur Diskussion mit John Holloway im Centro Sociale in Hamburg am 8. Dezember 2011 eine vermeintlich irreführende Analyse der Kategorie des Geldes respektive kritikwürdige "schiefe Argumente" ausgemacht haben, möchten wir versuchen, die in dem SB-Beitrag wiedergegebene Argumentation John Holloways zu diesem Thema zu erhellen und zu erweitern. Zweifellos konnte der Referent seine Thesen in einem Vortrag, der der Vorstellung seines jüngsten Buches "Kapitalismus aufbrechen" gewidmet war, zugunsten allgemeiner Verständlichkeit nur verkürzt und plakativ ausführen. Das nimmt jedoch dem Gehalt seiner von Dir zitierten Forderung, "die Macht und Herrschaft des Geldes zu brechen, und zwar weltweit", weil es sich beim Geld um eine "permanente Aggression uns gegenüber" gegenüber handle, nichts von ihrer Bedeutung.

Geld ist für Holloway "nicht einfach eine einmal etablierte Form, sondern der Prozess der Monetarisierung gesellschaftlicher Beziehungen" (S. 168) und als solcher ebenso zu verwerfen wie die abstrakte Arbeit, die im Antagonismus zum konkreten Tätigsein - dem Doppelcharakter der Arbeit als Tausch- und Gebrauchswert adäquat - im Zentrum seiner Kapitalismuskritik steht. Holloway begreift den Kampf gegen das Geld als ein Element der Auseinandersetzung mit den gesellschaftlich bestimmenden Formen und Wirkungen, durch die sich zweifellos die Interessen von Menschen artikulieren, die jedoch ihrerseits in ihrer gesellschaftlichen Determination untrennbar von den Verhältnissen sind, die sie erzeugen und von denen sie bedingt werden.

Sein Versuch, der eigenen Widersprüchlichkeit als kapitalistisch vergesellschafteter Mensch die Aufhebung aller Fremdbestimmung abzuringen, setzt geradezu voraus, die Erscheinungsformen und Wirkungen der widrigen und zwingenden Bedingungen als das zu nehmen, was sie sind. Für ihn ist die Möglichkeit, Kritik zu üben und damit die Grenzen kausaler Zirkelschlüsse zu überschreiten, Ausdruck der Antizipation dessen, was durch die Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung noch nicht vollständig aufgesogen wurde und daher das Beziehen einer wirksamen Gegenposition ermöglicht. Erhält man in der Phänomenologie der Attribute den Menschen bestimmender Verhältnisse den Eindruck, Holloway falle mit der Aufzählung den Menschen bestimmender Kategorien wie Kapital, Staat, Geld, Ware, Identität etc. einer analytischen Oberflächlichkeit oder indifferenten Beliebigkeit zum Opfer, so täuscht dies insofern, als es ihm in seinem subjektzentrierten Ansatz darum geht, zum operativen Umgang mit dem kapitalistischen Gewaltverhältnis, seiner parteilichen und unvermittelten Negation, vorzustoßen.

Schlicht gesagt geht es ihm darum, die eigene Beteiligung am Kapitalismus zum Ausgangspunkt seiner Überwindung zu machen. Für Holloway wird im Geld das politökonomische Gewaltverhältnis, das die kapitalistische Gesellschaft beherrscht, greifbar und angreifbar. Es handelt sich jedoch nicht um eine absolute, dem bürgerlichen Wertekosmos gegenüberzustellende Wahrheit, sondern um ein von der eigenen Vergesellschaftung bestimmtes Verhältnis, das jeglicher selbstbestimmten Verfügbarkeit entglitten ist. Es in seiner Totalität nicht anzugreifen, sondern über es - etwa in der Verabsolutierung der Menschen, die von diesem Gewaltverhältnis am meisten profitieren, zu ausschließlichen Tätern, die den ausschließlichen Opferstatus der von ihnen Ausgebeuteten zwingend zur Folge hat - hinauszugreifen, hieße darauf zu verzichten, die Kette dort zu zerschlagen, wo sie in ihrer fesselnden Wirkung manifest wird.

Der naheliegende Einwand, daß der Mensch und nicht das Geld Herrschaft über Menschen ausübt, unterstellt handelnde Subjekte, die in ihrem räuberischen Interesse so selbstbestimmt wären wie die Objekte ihres Tuns ohnmächtig. Dieser zweifellos den subjektiven Erfahrungshorizont ausfüllende Antagonismus impliziert jedoch, daß die handelnden Akteure auf der Seite der Staats- und Kapitalmacht den von Marx als Geheimnis dargestellten Fetischcharakter der Ware, des Geldes und des Kapitals durchschauten, was zumindest seiner Ansicht nach nicht der Fall ist. Ihm war der Fetischismus, mit der er die bürgerliche Mystifikation des warenproduzierenden Systems auf die polemische Spitze nahm, in seiner Bedeutung, daß gesellschaftliche Beziehungen als gegenständliche Eigenschaften auftreten, schon vor Verwendung dieses Begriffs in der "Kritik der politischen Ökonomie" 1859 eine Kategorie ganz realer Art:

"Das Geld ist nicht Symbol, so wenig wie das Dasein eines Gebrauchswerts als Ware Symbol ist. Daß ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis sich als ein außer den Individuen vorhandener Gegenstand und die bestimmten Beziehungen, die sie im Produktionsprozeß ihres gesellschaftlichen Lebens eingeben, sich als spezifische Eigenschaften eines Dings darstellen, diese Verkehrung und nicht eingebildete, sondern prosaisch reelle Mystifikation charakterisiert alle gesellschaftlichen Formen der Tauschwert setzenden Arbeit. Im Geld erscheint sie nur frappanter als in der Ware." [1]

Im Kapitel über den "Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis" im ersten Band des Kapitals 1867 präzisierte er den gegenständlichen Charakter dieses Verhältnisses am Beispiel des gesellschaftlichen Charakters des Warentausches: Den Produzenten "erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen." [2]

Holloway führt seinen Ansatz, laut dem wir den Kapitalismus produzieren, es mithin in unserer Hand liegt, dies nicht mehr zu tun, am Beispiel des Geldes auf nämliche Weise aus:

"Geld ist eine Form von gesellschaftlicher Beziehung, eine Art des sich auf andere Beziehens. Wenn wir etwas kaufen und es mit Geld bezahlen, stellen wir eine gewisse Form von Beziehung mit dem Produzenten des Gegenstandes her, den wir kaufen. Wenn wir ihn stehlen, stellen wir eine andere Art Beziehung zur Produzentin her, und wenn wir ihn geschenkt bekommen, wieder eine andere. Die Art der Beziehung beruht weder darauf, was das Ding ist, das wir kaufen, stehlen oder geschenkt bekommen, noch darauf, aus was für einem Material das Geld, das wir zum Kauf benutzen, besteht (Papiergeld, Münzen). Wenn wir sagen, dass Geld eine Form gesellschaftlicher Beziehung ist, sagen wir also, dass es eine Form ist, die wir schaffen und immer wieder neu schaffen, die also nicht nur auf einem ursprünglichen Schöpfungsakt beruht, sondern auf unserer fortwährenden Neuschöpfung. Dasselbe gilt von Staat und Kapital."
(S. 231)

Vom Fetisch der Ware, des Geldes und des Kapitals zu sprechen, wie es Marx tat, macht mithin nur Sinn, wenn die postulierte Undurchschaubarkeit der damit bestimmten Verhältnisse den Horizont ihrer Aufhebung markiert. Gerade weil die Frage der Herrschaft des Menschen über den Menschen zentral ist, ist die Überwindung des Kapitalismus ohne Aufhebung der abstrakten Arbeit, des Warencharakters ihrer Produkte und des Tauschäquivalents Geld nicht zu haben. Letzteres als ein Mittel der Registratur anderer Formen des Tausches aufrechtzuerhalten hieße, Arbeit weiterhin auf ihren Tauschwert zu beziehen und nicht zum konkreten Tätigsein, wie Holloway es nennt, oder selbstbestimmten Tun vorzudringen. Allein das Interesse der Kapitaleigner an Akkumulation anzugreifen liefe auf eine modifizierte Verteilungsordnung unter dem fortgeschriebenen Diktat des Äquivalentetausches hinaus, mit dem die Unteilbarkeit des Menschen und eine kommunistische Praxis, die die Not des Mangels und damit den Zwang zum Tausch beendete, unmöglich würde. Das Erreichen dieser Ziele nicht auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben, sondern in der täglichen Lebenspraxis um sie zu kämpfen setzt schonungslose Analyse und Kritik der im besonderen wie allgemeinen herrschenden Gewaltverhältnisse selbstverständlich voraus.

Daß sich die Menschen in der EU eine Sparpolitik aufoktroyieren lassen, die ihnen schon aufgrund des Widerspruchs zwischen der fortschreitenden Entwicklung der Produktivkräfte und des immer bescheideneren Ertrags der ausbeutungstechnisch immer intensiver bewirtschafteten Lohnarbeit nicht einleuchten dürfte und die sie aufgrund der offenkundigen sozialen Ungerechtigkeit erst recht auf die Barrikaden treiben müßte, ist unseres Erachtens nicht Folge einer Fetischisierung, die von einer sinnvollen Verwendung des Geldes als Notizzettel abstrahiert, sondern der undurchschauten Fremdbestimmung durch abstrakte Arbeit und des vorgeblich naturgegebenen Charakter des Warentausches. Das Problem in der Zirkulation der Waren anstatt in ihrem Produktionsprozeß anzusiedeln hieße dementsprechend, das Pferd von hinten aufzuzäumen.

Machte man die Probe aufs Exempel und versetzt das ohnmächtige Subjekt in die Position des ihn ausbeutenden Kapitalisten, dann erweist sich der Mensch, wie prominente Karrieren in der deutschen Linken belegen, als allemal anfällig für die damit in Griffnähe gelangenden Verheißungen. Damit soll keiner postrukturalistischen Beliebigkeit von jeglicher Herrschaftskritik bereinigter Machtdispositive das Wort geredet, sondern ganz im Gegenteil die Unabdinglichkeit der Negation eigener Beteiligung am kapitalistischen Gewaltverhältnis unterstrichen werden. Dies wiederum verlangt eine Unbescheidenheit in Analyse und Kritik, die vor der Frage der Vergesellschaftung als ein im Wortsinn fremdbestimmtes - unter anderem durch Geldform und staatliche Organisation fungierendes - Verhältnis nicht halt macht.

Holloway steht mit dieser Konzeption nicht allein auf weiter Flur, wie etwa Werner Imhof in seinem Artikel "Skizzen eines emanzipatorischen Kommunismus" aus dem Jahr 2000 belegt:

"[...] die Herrschaft von Menschen über Menschen erscheint eben nicht als bloße Folge ihrer Herrschaft über Sachen, sondern als etwas, was sie unter den Bedingungen des trennenden Privateigentums auch ist, als Vollzug versachlichter Zwänge, wie brutal, deprimierend oder verhaßt sie auch sein mögen. Und das um so mehr, je weniger sie durch das persönliche Regime (den "Herr-im-Haus-Standpunkt") der kapitalistischen Eigentümer oder ihrer Funktionäre verdeckt werden. Denn diese Zwänge sind nicht an die "Charaktermasken" der Privatkapitalisten oder der Kapitalmanager gebunden, auch wenn sie immer noch von ihnen vollstreckt und beeinflußt werden. Selbst wenn alle Betriebe "in Arbeiterhand" wären, das Privateigentum an Produktionsmitteln also in einer Richtung - als Trennung in Besitzende und Besitzlose - aufgehoben wäre, bliebe mit der Wertform der Produkte auch ihre Kapitalform erhalten, würde sich die Arbeit in bezahlte und unbezahlte, in notwendige Arbeit zur Reproduktion der Belegschaften und in Mehrarbeit zur erweiterten Reproduktion der Produktionsmittel teilen und der Zwang zur Ausdehnung letzterer auf Kosten ersterer die Produktion beherrschen, solange das Privateigentum nicht auch in der anderen Richtung - als Trennung der Produzenten (die immer zugleich produktive und individuelle Konsumenten sind) voneinander - aufgehoben wäre, solange die Markt- und Geldbeziehungen zwischen ihnen nicht durch andere Beziehungen ersetzt würden. Kurz: Die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise ist nur möglich als Aufhebung der Warenproduktion überhaupt und damit auch des Geldes." [3]

Wie Holloway ist Imhof der Ansicht, daß dies nicht in staatlicher Regie erfolgen kann, wie dieser geht es ihm um die Abschaffung der Marktwirtschaft als solcher. Hier mögen sich die Geister revolutionärer Gesellschaftsveränderung scheiden, doch ganz gewiß ist Holloway keine vordergründige Polemik gegen das Geld anzulasten, die ihn auch nur entfernt in die Nähe der staat- und marktorientierten Freiwirtschaftslehre eines Silvio Gesell rückte.

Mit solidarischen Grüßen, Redaktion SB


Fußnoten:
[1] http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_015.htm
[2] http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_049.htm#Kap_1_3_D
[3] http://www.trend.infopartisan.net/trd0600/t080600.html

Seitenangaben der Zitate aus:
John Holloway
Kapitalismus aufbrechen
(Aus dem Englischen "Crack Capitalism" von Marcel Stoetzler ins Deutsch übertragen)
Verlag Westphälisches Dampfboot
276 Seiten
ISBN: 978-3-89691.863-5


(*) Erwiderung auf Thomas Immanuel Steinberg:
Über den lähmenden Blick auf die Erfolgsaussichten - und über Geld
Kurze Bemerkungen zu einem Schattenblick-Bericht
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/pmle0012.html
http://www.steinbergrecherche.com/alternative.htm#Erfolgsaussichten

und

Andre Schlauch
Kurze Bemerkungen zu einem Schattenblick-Bericht - über Geld
Replik
http://www.steinbergrecherche.com/alternative.htm#Schlauch
anläßlich des SB-Berichts "John Holloway - Wir sind die Krise des Kapitalismus (SB)"
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0091.html

6. Februar 2012