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KOLLATERAL/009: Südsudan - Nach dem Krieg die Wirtschaftskrise (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Juni 2012

Südsudan: Nach dem Krieg die Wirtschaftskrise

von Charlton Doki

Mehr als die Hälfte aller Südsudanesen braucht Nahrungsmittelhilfe - Bild: © Jared Ferrie/IPS

Mehr als die Hälfte aller Südsudanesen braucht Nahrungsmittelhilfe
Bild: © Jared Ferrie/IPS

Juba, 5. Juni (IPS) - Trotz oder gerade wegen des Sparkurses, den sich der Südsudan als Antwort auf die schwere Wirtschaftskrise verordnet hat, werden die humanitären Organisationen ihre Hilfsleistungen nach Ansicht der Vereinten Nationen weiter aufstocken müssen.

Auslöser der südsudanesischen Wirtschaftskrise war die Entscheidung der Regierung vom Januar, die Erdölproduktion nach Differenzen mit dem Sudan über die Höhe der Gebühren zur Nutzung der sudanesischen Pipelines einzustellen. Erdöl generiert 98 Prozent aller südsudanesischen Staatseinnahmen.

Unmittelbar nach der Entscheidung stellte die Regierung in Juba ihr Sparprogramm vor, das staatliche Investitionen ausschließlich für wachstumsstimulierende Maßnahmen, eine Halbierung der Staatsausgaben und höhere Steuereinnahmen vorsieht. Außerdem konnte sich das Land einige Großkredite ausländischer Banken sichern, um die Folgen der Krise abzumildern.

Doch Lise Grande, Koordinatorin der UN-Hilfe für den Südsudan, fürchtet, dass mit dem Schwinden der vorhandenen Mittel die Gefahr wächst, dass für immer mehr Bereiche wie Bildung und Gesundheit immer weniger Geld zur Verfügung steht. "Wir fürchten, dass es am Ende die Hilfsorganisationen sein werden, die in die Bresche springen, wenn die Regierung den Rotstift noch stärker ansetzen muss", sagte sie im IPS-Gespräch.

Wirtschaftswissenschaftler und Vertreter der Weltbank prognostizieren dem Südsudan einen kompletten Zusammenbruch der Wirtschaft noch vor Ablauf des Jahres. Die lokale 'Sudan Tribune' bezog sich im letzten Monat auf durchgesickerte Weltbank-Dokumente, wonach mit einem "Staatsbankrott" zu rechnen sei.


"Wir haben nicht die Absicht zu scheitern"

Doch Regierungsvertreter wiegeln ab. "Der Südsudan braucht seine Zeit", sagte der Minister für Finanzen und Wirtschaftsplanung, Kosti Manibe, gegenüber IPS. "Wir haben nicht die Absicht zu scheitern, auch wenn es Personen gibt, die uns nicht wohl gesinnt sind und dies gern glauben würden. Wir haben nicht vor zu sterben."

Doch die Einstellung der Ölproduktion hat zu einem akuten Devisenmangel geführt, der wiederum zur Abwertung der lokalen Währung gegenüber dem US-Dollar beitrug. Der Wechselkurs liegt offiziell bei 2,95 Südsudanesischem Pfund, auf dem Schwarzmarkt bei fünf Pfund. Der Wertverlust geht mit einem Anstieg der Preise für Basisgüter um 200 Prozent in den Grenzregionen einher, wie die UN-Hilfskoordinatorin Grande berichtete.

Inzwischen ist Treibstoff Mangelware. Die Kosten für einen Liter Diesel oder Benzin liegen bei 30 Pfund (sechs US-Dollar). Vor der Krise war der Liter noch zu einem Fünftel dieses Betrags zu haben. Ein weiteres Problem ist, dass die Inflationsrate von 21,3 Prozent im Februar auf 50,9 Prozent im März zugelegt hat, wie Zahlen des Nationalen Statistikamts belegen.

"Die Zeiten sind schwer, das stimmt. Allerdings haben wir Möglichkeiten, um mit den Problemen fertig zu werden und zu überleben, wie uns dies schon in den schwierigen Zeiten des Krieges gelungen ist", versicherte Manibe. Der Südsudan war einst Teil des Sudans und zwischen 1983 bis 2005 ein Kriegsschauplatz.

Spencer Kenyi, Umweltökonom und Berater der Weltbank für den Privatsektor im Südsudan, wirft Juba vor, sich auf das Durchhaltevermögen der Bevölkerung zu verlassen, anstatt sich den wirtschaftlichen Herausforderungen zu stellen. "Die Menschen haben im Krieg gelitten. Das haben sie sich nicht gewünscht. Sie hatten damals keine andere Wahl", betonte er. Die Regierung forderte er auf, sich nicht mit unbefriedigenden Maßnahmen zufrieden zu geben, sondern die richtigen Entscheidungen zu treffen, um das Leben der Menschen zu verbessern.

Kenyi gehört zu den erklärten Gegnern der Einstellung der Ölproduktion. Seiner Meinung nach wurde die Entscheidung vorschnell getroffen, ohne die Folgen bedacht und vorbeugende Maßnahmen getroffen zu haben.

Die Regierung jedoch gibt an, auf Reserven zurückgreifen zu können, die in den letzten sieben Jahren angespart wurden. Zwar machte sie keine detaillierten Angaben, versicherte aber, dass die Gelder 18 Monate reichen würden.

"Wenn diese Reserven aufgebraucht sind, wird die Wirtschaft kollabieren", meinte Kenyi. Dass es an den Tankstellen nicht genug Treibstoff gebe, sei ein sicheres Anzeichen dafür, dass der Prozess des staatlichen Zusammenbruchs bereits im Gang sei.


Diversifizierung der Wirtschaft verpasst

Der ehemalige Minister für Finanzen und Wirtschaftsplanung, Arthur Akuein Chol, kritisierte die Regierung dafür, nicht in die Diversifizierung der Wirtschaft investiert zu haben. Die im Mai gestartete Regierungskampagne zur Erhöhung der Einnahmen aus Steuern auf Produkte, die nichts mit Öl zu tun haben, werde keine besonderen Einkünfte generieren, ist er überzeugt.

Doch Manibe zufolge konnten die Steuereinnahmen in den letzten drei Monaten viervierfacht werden. "Außerdem werden nicht-traditionelle Quellen angezapft, auf die in der Vergangenheit ausschließlich der Sudan einen Anspruch hatte." Dazu zählte er Lizenzgebühren, die beispielsweise Telekommunikations-, Bergbau- und Erdölförderfirmen entrichten müssen.

Im Mai sicherte sich der Südsudan zudem einen 100-Millionen-Dollarkredit der Nationalbank von Katar zur Finanzierung der wichtigsten Importe wie Nahrungsmittel, Medikamente, Maschinen und Basisgüter und -dienstleistungen. Auch soll sich die Regierung derzeit um einen weiteren 100 Millionen Dollar Kredit von der Stanbic-Bank bemühen. Von einer auf Anonymität beharrenden Quelle war zu hören, dass Vorbereitungen für die Aufnahme eines weiteren Kredits in Höhe von 500 Millionen Dollar angelaufen sind.

Im April hatte China dem jungen Staat einen Kredit in Höhe von acht Milliarden Dollar bereitgestellt. Die Gelder sollen für den Ausbau der Infrastruktur verwendet werden und angeblich mit künftigen Erdölgeldern zurückgezahlt werden.

Kenyi zufolge hätte der Südsudan besser daran getan, sich an die Weltbank oder den Internationalen Währungsfonds (IWF) oder die Geberstaaten zu wenden. Allerdings räumte er ein, dass es problematisch sei, wenn eine so junge Volkswirtschaft wie der Südsudan sich so sehr verschulde.

Die Kampagnengruppe 'Global Witness' rief den Südsudan dazu auf, bei den durch Erdöl gedeckten Finanzierungen Vorsicht und Transparenz walten zu lassen. Sie empfahl Juba sämtliche Kreditdetails zu veröffentlichen und damit Ausbeutung, Korruption und Missmanagement vorzubeugen.


Lebensmittelhilfe für mehr als die Hälfte der Bevölkerung

Grande zufolge wird die UN alles in ihrer Macht Stehende tun, um die von Hunger bedrohten Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. "Das Welternährungsprogramm (WFP) wird in diesem Jahr Nahrungsmittel für 2,7 Millionen der 4,7 Millionen Südsudanesen bereitstellen", sagte sie.

Nach Ansicht von Kenyi werden die Vereinten Nationen nicht in der Lage sein, die gesamte Last zu schultern. "Die UN und andere Hilfsorganisationen können nur Flüchtlingen und Vertriebenen helfen. Ich denke nicht, dass sie der gesamten Bevölkerung Nahrungsmittel und Medikamente bereitstellen können. "

Von den Geberstaaten werde nicht viel Hilfe kommen, meinte er. "Europäische Länder haben ihre eigenen Probleme. Es ist unwahrscheinlich, dass sie immer mehr Geld in Nichtregierungsorganisationen investieren, damit diese den Südsudanesen helfen." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:
http://www.sudantribune.com/EXCLUSIVE-South-Sudan-economy-on,42512
http://www.sudantribune.com/DOCUMENT-World-Bank-Analysis-of,42534
http://www.globalwitness.org/library/south-sudan-faces-test-transparency-commitments-pursuing-oil-backed-financing
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107996

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. Juni 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2012