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RAUB/004: D. R. Kongo - Krieg um Ressourcen auf den Körpern von Frauen (frauensolidarität)



frauensolidarität - Nr. 117, 3/11

Krieg um Ressourcen in der Demokratischen Republik Kongo auf den Körpern von Frauen

Von Rita Schäfer

"Kein Krieg auf Frauenkörpern!" - so lautet ein Motto kongolesischer Friedens- und Frauenrechtsaktivistinnen. Ihr drastischer Hinweis "Auf jedem Mobiltelefon klebt das Blut von Vergewaltigten" weist auf die internationalen Verflechtungen der gewaltsamen Ressourcenausbeutung im Osten des Landes hin.


Immer wieder wird die Weltöffentlichkeit von Massenvergewaltigungen in den ressourcenreichen Kivu-Provinzen im Osten der Demokratischen Republik Kongo aufgeschreckt. So wurden Ende Juli und Anfang August 2010 in Nord-Kivu, nahe den Siedlungen Walikale und Luvungi, über 300 Frauen und Mädchen vergewaltigt. Für die Übergriffe wurden lokale Milizen verantwortlich gemacht, die kongolesische Armee nahm einen Milizenchef gefangen, der anschließend auch verurteilt wurde. Frauenrechtsorganisationen hatten die umfassende Strafverfolgung der Täter gefordert. Allerdings hatten hier auch die UN versagt, denn die Gewaltakte fanden unweit eines Stützpunktes der UN-Friedenstruppe MONUSOC statt. Eigentlich war die UN-Friedenstruppe verpflichtet, die Zivilbevölkerung zu schützen. Sie wurde aber erst nach Tagen durch humanitäre Helfer auf die Gewaltexzesse aufmerksam. Ende 2010 und Anfang 2011 wurden in derselben Region erneut zahlreiche Frauen und Mädchen vergewaltigt.


Wirtschaftliche Gewaltkontexte

Diese Gewaltakte sind Teil der Eroberungsstrategien konkurrierender Milizen, die sich Zugang zu den Bodenschätzen in der Region verschaffen wollen. Zu den weltweiten Abnehmern der seltenen Mineralien wie Coltan zählt die Mobilfunk-, Computer-, Elektro-, Raumfahrt- und Rüstungsindustrie. Neben dem Handel mit den lukrativen Erzen floriert der Waffenschmuggel. So gibt es genügend lokale und internationale Profiteure, die daran interessiert sind, die unsichere Lage aufrecht zu erhalten. Sie nehmen die exzessive Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Kauf.

Deshalb dauert der "Krieg auf den Körpern der Frauen" auch fünf Jahre nach den nationalen Wahlen 2006 an. Offiziell wurden allein 2009 15.000 Vergewaltigungsfälle registriert, das ist allerdings nur ein Bruchteil der tatsächlich verübten Gewaltakte. Die meisten Opfer haben keinen Zugang zu medizinischer Hilfe oder zur Polizei. Viele vergewaltigte Frauen und Mädchen befürchten Racheakte der extrem brutalen Milizionäre und schweigen.


Probleme in der Armee

Offiziell sollten die Blauhelmsoldaten gemeinsam mit der kongolesischen Armee die Gewalt unterbinden, faktisch zählen aber etliche Soldaten und Kommandanten der nationalen Streitkräfte selbst zu den Tätern. Sie sind schlecht ausgebildet und erhalten wenig Sold. Immer wieder werden Dorfbewohnerinnen von Armeeangehörigen vergewaltigt, und ranghohe Militärs missbrauchen Mädchen. Zumeist gibt es keine Strafverfahren, selbst wenn die Täter namentlich bekannt sind. Die zuständigen Richter sind korrupt und mit der Zahl der Fälle überfordert. Zudem haben viele von ihnen sogenannte Vergewaltigungsmythen verinnerlicht und weisen den Opfern selbst die Schuld zu.

Schon vor Beginn der Bürgerkriege, die zwischen 1998 und 2003 vor allem die östlichen Provinzen erschütterten, agierte die Armee als verlängerter Arm des Diktators Mobutu. Auch während der belgischen Kolonialherrschaft ging sie systematisch gegen die kongolesische Bevölkerung vor. Anstatt eine notwendige und angekündigte Armeereform durchzuführen, ist das Ansehen der Armee durch die übereilte und bruchstückhafte Integration etlicher früherer Milizen drastisch gesunken. Zu ihnen zählen diverse kongolesische Rebellen und ehemalige Hutu-Milizionäre, die nach dem Genozid in Ruanda im Osten der Republik Kongo Unterschlupf suchten und dort ihre Gewaltexzesse unter neuen Vorzeichen fortsetzten.

Ganz offen begründen Soldaten die von ihnen begangenen Vergewaltigungen damit, dass sie so ihre Macht demonstrieren und ihre Männlichkeit beweisen wollen. Mit ihrem Potenzgebaren demütigen sie - ähnlich wie die Milizionäre - außer ihren unmittelbaren Opfern auch deren Ehemänner, Brüder, Väter und Söhne. So zerstören Vergewaltigungen nicht nur die Gesundheit und Persönlichkeit der Frauen und Mädchen, sie beschädigen zudem das Selbstverständnis der männlichen Familienangehörigen und den familiären Zusammenhalt.


Hilfe für Gewaltüberlebende

Lokale Frauenorganisationen wollen den Opfern medizinisch, psychosozial und juristisch helfen. Ihre Arbeit ist jedoch wegen der schlechten Infrastruktur und der eingeschränkten Erreichbarkeit vieler Siedlungen äußerst schwierig. Deshalb richten sie Anlaufstellen in den Städten der Kivu-Provinzen ein. Die dortigen staatlichen Krankenhäuser sind schlecht ausgestattet, und die privaten Kliniken haben nur begrenzte Kapazitäten.

Neben schweren körperlichen Schäden und HIV-Infektionen sind zahllose Gewaltopfer extrem traumatisiert. Umso wichtiger sind psychosoziale Arbeit und medizinische Beratung. Darum kümmert sich die Frauenorganisation Promotion et Auppui aux Initiatives Féminines (PAIF). PAIF ermöglicht vergewaltigten Frauen und Mädchen Zugang zu medizinischen Behandlungen und zahlt die Kosten für Transport, notwendige Operationen und Medikamente, denn dafür haben die mittellosen Vergewaltigten zumeist nicht das Geld. Diese Unterstützung ermöglichen international tätige Frauenorganisationen wie Medica Mondiale.

Die PAIF-Beraterinnen helfen den Gewaltüberlebenden mit individueller Traumaarbeit, denn viele Frauen haben die in der Gesellschaft verbreiteten Vergewaltigungsmythen verinnerlicht. Scham, Selbstzweifel und Angst vor Stigmatisierung sind die Folgen. Sie fürchten, von Ehemännern oder anderen männlichen Familienmitgliedern verstoßen zu werden und damit ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Die PAIF-Beraterinnen ermutigen die Gewaltüberlebenden, informelle Selbsthilfegruppen zu gründen, in denen sie sich gegenseitig unterstützen und Rückhalt finden. Friede und Gewaltfreiheit als Utopie benötigen eine wirtschaftliche Basis.

Darüber hinaus versuchen PAIF-Beraterinnen die Ausgrenzung der Vergewaltigten einzudämmen, indem sie die Dorfbewohner in öffentlichen Versammlungen über die Gewaltmuster und deren Folgen informieren. Um die extreme Armut insbesondere der Frauen in den Dörfern zu vermindern, bietet PAIF handwerkliche Schulungen und ökonomische Starthilfen an. Denn in einigen Gebieten ist es für Frauen und Mädchen zu gefährlich, die Felder zu bestellen. Feldarbeit war über Jahrhunderte die Basis für das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Frauen. Um so wichtiger sind neue wirtschaftliche Perspektiven. Es geht also nicht nur um die Linderung der Versorgungsnot in einem Gebiet mit fruchtbaren Böden. Utopische Vorstellungen von einem friedvollen Zusammenleben erfordern konkrete Versöhnungsschritte und pragmatische Lösungen, so die Einschätzung der PAIF-Aktivistinnen.


Politische Forderungen

Auf Provinzebene und im nationalen Kontext verlangt PAIF Reformen von Polizei und Justiz, um die Straflosigkeit zu beenden. Dabei beruft sich die Organisation auf nationale Rechtsgrundlagen, insbesondere auf das 2006 verabschiedete Vergewaltigungsgesetz, und auf internationale Abkommen wie die UN-Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit, zu deren Umsetzung die kongolesische Regierung einen nationalen Aktionsplan verabschiedet hat. Der politische Wille zur Umsetzung erschöpft sich jedoch oft in offiziellen Absichtserklärungen; um so wichtiger ist die beharrliche Lobbyarbeit der Frauenrechtsaktivistinnen. Diese zeichnet auch ihr Vorgehen hinsichtlich der für November 2011 geplanten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen aus. Sie richten sich mit konkreten Forderungen an die derzeitigen politischen Machthaber, wie dem Vorschlag, mobile Wahlstationen einzurichten, die es Frauen in abgelegenen Dörfern ermöglichen, ihr Wahlrecht zu nutzen. Darüber hinaus fordern sie alle Parteien und Kandidaten auf, der Gewalt als Einschüchterungsstrategie Einhalt zu gebieten, damit sich die Demokratisierung auch in den Kivu-Provinzen entfalten kann.


Zur Autorin:
Rita Schäfer ist freiberufliche Ethnologin und Autorin der Bücher "Frauen und Kriege in Afrika" (2008) und "Im Schatten der Apartheid" (2. Auflage 2008).


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 117, 3/2011, S. 12-13
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
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andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2011