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FLUCHT/028: Syrien - Leben in Zelten und Containern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Januar 2015

Syrien:
Leben in Zelten und Containern - Rund zwei Millionen Flüchtlinge von Nachbarland Türkei aufgenommen

von Fabíola Ortiz


Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Das von der türkischen Regierung errichtete Flüchtlingslager Harran
Bild: © Fabíola Ortiz/IPS

Harran und Nizip, Türkei, 8. Januar (IPS) - "Wir fühlten uns wie Ameisen, die aus ihrem Nest vertrieben wurden", erzählt der Syrer Professor Helit. "Um dem Bürgerkrieg zu entkommen, mussten wir drei Mal umziehen, um in der dritten Stadt festzustellen, dass wir wieder nicht sicher waren. Daraufhin beschlossen wir, das Land zu verlassen."

Mehr als 30 Jahre lang war Helit Direktor einer Schule in Syrien, bevor im März 2011 der bewaffnete Konflikt ausbrach. Heute leitet er im Flüchtlingslager Harran in der Türkei eine Schule, die von etwa 4.700 syrischen Kindern aus allen Altersgruppen besucht wird.

Bild: © Fabìola Ortiz/IPS

Syrische Kinder im Flüchtlingscamp Nizip
Bild: © Fabìola Ortiz/IPS

Als er vor zwei Jahren Syrien verließ, bombardierten Truppen des Regimes von Präsident Bashar al-Assad wahllos Städte und setzten Häuser von Zivilisten in Brand. Er und seine Kinder fuhren am 31. Dezember 2012 per Anhalter in einem Laster bis zur Grenze mit und schlugen sich dann bis zu dem 20 Kilometer entfernten 'Aufnahmelager' durch.

Harran ist eines der letzten Flüchtlingscamps, das von der türkischen Regierung 2012 errichtet wurde und gilt deshalb als eines der modernsten. Etwa 14.000 Menschen haben in den 2.000 Containerunterkünften Platz. Das Lager ist in kleine Viertel aufgeteilt, die nach universellen Werten wie Frieden und Brüderlichkeit benannt wurden. Von außen betrachtet, wirkt das Camp wie ein Gefängnis. Die Türen stehen hier jedoch immer offen, so dass die Flüchtlingsfamilien die nahegelegenen Einkaufszentren aufsuchen können.


Angst um Verwandte an der Front

Die Syrer in dem Lager versuchen so weiterzuleben wie in ihrer alten Heimat. Jeder von ihnen kann mindestens eine traurige Geschichte erzählen. Viele haben durch den Konflikt Angehörige verloren. Andere bangen um Verwandte, die noch immer gegen das Assad-Regime kämpfen.

Helit zeigt die Klassenräume, in denen Jugendliche zwischen 13 und 16 Jahren unterrichtet werden. An den Wänden hängen handgemalte Bilder, in denen die Schüler "ihre Gefühle und ihren Kummer" ausdrücken, wie er sagt. "Wir werden niemals aufhören, für unsere Unabhängigkeit zu kämpfen und bis zuletzt durchhalten."

Solche Geschichten sind in allen Flüchtlingscamps im Grenzgebiet zu hören. Allerdings genießen nicht alle Menschen den "Luxus" einer Containerunterkunft.

In den meisten Lagern - wie in der Industriestadt Nizip in der osttürkischen Provinz Gaziantep - leben Familien mit bis zu acht Mitgliedern in Zelten. In der Stadt sind etwa 10.700 syrische Araber untergebracht, die meisten von ihnen aus Aleppo und Idlib. Beide Städte wurden zu Angriffszielen der mit dem Terrornetzwerk Al-Kaida verbündeten Al-Nusra-Front.

Die Flüchtlinge in dem Lager in Nizip haben seit zwei Jahren die Möglichkeit, eigene Vertreter zu wählen. "Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich gewählt", sagt der 57-jährige Mustafa Kerkuz aus Aleppo. "In Syrien gab es immer nur einen Kandidaten, und das Ergebnis stand bereits im Voraus fest." Demir Celal, stellvertretender Direktor des Lagers in Nizip, meint dazu: "Wir wollen ihnen vermitteln, wie freie Wahlen ablaufen."


Türkei hält Türen für Syrer offen

Laut Veysel Dalmaz, Leiter der Allgemeinen Koordinationsstelle für syrische Asylsuchende, die dem Ministerpräsidenten untersteht, halten sich derzeit etwa zwei Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei auf. Das Land habe seine Möglichkeiten für humanitäre Hilfe nahezu ausgeschöpft, erklärt er. Dennoch praktiziere die Türkei weiterhin eine 'Politik der offenen Tür' und weise an der Grenze keine aus Syrien kommenden Menschen zurück.

Bislang hat die Regierung in Ankara mehr als fünf Milliarden US-Dollar an humanitärer Hilfe durch die nationale Katastrophenschutzbehörde AFAD bereitgestellt. Wie Dalmaz hervorhebt, hat es niemals zuvor über einen so kurzen Zeitraum eine solch massive Migrationswelle von einem Land in ein anderes gegeben. "Kein anderer Staat hat es geschafft, so viele Menschen in so kurzer Zeit aufzunehmen." (Ende/IPS/ck/2015)


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IPS-Tagesdienst vom 8. Januar 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2015


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