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FLUCHT/023: Im Schnee den Krieg vergessen - syrische Flüchtlingskinder lernen im Irak Skilaufen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. Februar 2014

Irak: Im Schnee den Krieg vergessen - Syrische Flüchtlingskinder lernen im Irak Skilaufen

von Jewan Abdi


Bild: © Nuzha Ezzat/IPS

Syrische Flüchtlinge beim Skiunterricht im Irak
Bild: © Nuzha Ezzat/IPS

Penjwin, irakische Kurdenregion, 18. Februar (IPS) - Niemand hat hier von den Olympischen Winterspielen in Sotschi gehört. Doch die Schneeverhältnisse in der gebirgigen Kurdenregion im Irak sind geradezu ideal. Der elfjährige Hassan Khishman, ein Flüchtlingskind aus Syrien, ist begeistert, zum ersten Mal auf Skiern zu stehen. "Ich erinnere mich an die guten Zeiten mit Freunden in Syrien", erzählt der Junge, nachdem er eine kleine Anhöhe heruntergefahren ist.

Das Bergdorf Penjwin, etwa 300 Kilometer nordöstlich von Bagdad gelegen, war einst ein erster Fluchtpunkt für Iraker, die der Verfolgung durch das Regime von Saddam Hussein entkommen wollten. Heute ziehen Schmugglerkarawanen mit Eseln durch die schroffen Täler in dem Grenzgebiet, in dem immer noch zahlreiche Landminen lauern.

Die Einheimischen haben sich ihr Skigebiet deshalb sorgfältig ausgesucht. Für sie liegt der Krieg bereits in weiter Ferne. Kinder wie Hassan erleben hier freudige Überraschungen. Auf Initiative von Igor Urizar, der die erste Skischule im Irak gegründet hat, werden die Kinder aus Flüchtlingslagern nach Penjwin geholt.

"Wir sind wegen des Krieges aus Syrien geflohen. Viele sind gestorben, die Nahrungsmittel extrem teuer geworden", sagt Hassan, der aus der syrischen Stadt Hasakah stammt und vor fast einem Jahr über die Grenze kam. Inzwischen lebt er in dem Lager Arbad in der Provinz Suleymania, einem von sechs Flüchtlingslagern in der autonomen Kurdenregion.


Rund 200.000 syrische Flüchtlinge im Nordirak

Nach Angaben der Vereinten Nationen haben mehr als 200.000 Flüchtlinge aus Syrien im Norden des Iraks Zuflucht gefunden. In Zelten zusammengekauert, müssen sie einen der kältesten Winter aushalten, den die Region jemals erlebt hat.

Helin Kaseer, die drei Jahre älter ist als Hassan, beschreibt eindrucksvoll ihre Flucht aus dem kurdischen Dorf Girke Lege. "Wir haben Syrien vor acht Monaten verlassen, weil sich in unserer Gegend immer mehr Islamisten aufhielten. Es gab viele Kämpfe, und mehrere meiner Freunde wurden entführt. Deshalb konnten wir nicht mehr zur Schule gehen", erklärt sie. Dass sie im Irak skilaufen würde, hätte sie sich vorher kaum vorstellen können.

"Auch viele andere Kinder aus dem Lager wären gern hier, hatten aber keine Möglichkeit dazu", berichtet sie. Das liegt Urizar zufolge an der begrenzten Zahl der Skier. "Sie reichen nur für ein paar Dutzend Kinder. Außerdem war es ein regelrechter Albtraum, die Genehmigungen zu bekommen, sie aus dem Camp holen zu dürfen", sagt der 38-Jährige.


Aus den Pyrenäen in den Irak

Bevor er 2010 zum ersten Mal Penjwin besuchte, war Urizar Skilehrer in der nordspanischen Region Navarra, wo jedes Jahr etwa 5.000 Schüler eine Woche in den Pyrenäen Wintersport treiben. Seinen Traum, das Projekt auf die kurdische Bergregion auszuweiten, verwirklichte er mit Hilfe der baskisch-kurdischen Organisation 'Tigris'.

Die Dorfbewohner und die Behörden sind gleichermaßen von der Initiative angetan. Eine zweite Skischule ist inzwischen in Ranya, 430 Kilometer nordöstlich von Bagdad, eröffnet worden. Falah Salah, der lokale Koordinator von Tigris, berichtet, dass Hero Khan, die Frau des irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani, das Projekt bereits im zweiten Jahr in Folge unterstützt.

Salah will im April bei den irakischen Parlamentswahlen antreten und gibt sein Amt daher an Khalid Mohamad Qadir, den Leiter des Jugendzentrums in Penjwin, weiter. "Vor drei Jahren hat uns Tigris in die Pyrenäen eingeladen, um uns von den Möglichkeiten des Skisports für die nachhaltige Entwicklung zu überzeugen", erklärt Qadir.


Auch Touristen aus Europa

"In den vergangenen zwei Jahren hat die Skischule im Roncal-Tal junge Kurden zu Skilehrern ausgebildet, die jetzt die immer zahlreicheren Besucher unseres Gebiets unterrichten. Die meisten von ihnen sind Kurden, aber in letzter Zeit kommen auch Franzosen und Niederländer", sagt er.

Nachdem er seine Stiefel über drei Paar Socken angezogen hat, ist Mohamed Ibrahim fertig. Der 13-Jährige aus Tirbespiye, 600 Kilometer nordöstlich der syrischen Hauptstadt Damaskus, lächelt. Doch die Erlebnisse in seiner Heimat hat er nicht vergessen.

"Die Dschihadisten verfolgten uns, um uns zu töten. Es gab weder Nahrungsmittel noch Öl. Bei der erstbesten Gelegenheit sind wir von dort weggegangen. Ich habe noch nie in meinem Leben solche Angst gehabt", erzählt er.

Als die Kinder bei Sonnenuntergang in einen Bus steigen, um zum Camp zurückzufahren, wirkt Urizar entspannt. Die bürokratischen Hürden sind vergessen. "Ich muss immer daran denken, dass diese Kinder bald wieder in Zelten schlafen müssen", sagt er. "Ich hoffe nur, dass sie wiederkommen können. Oder dass sie etwas erleben, das ihnen ihre Kindheit zurückgibt, und sei es nur für ein paar Stunden." (Ende/IPS/ck/2014)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2014