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KRIEG/1729: Rüstung - loyalitätsfreie Zone ... (SB)



Es ist eine Chance, die man nur einmal im Leben bekommt. Es ist eine einzigartige Chance, weil man bei einem riesigen Projekt dabei sein kann. Man kann eine neue Firma aufbauen, die eines Tages einer der größten Player der Welt sein wird.
Andreas Schwer (Rüstungsmanager baut saudische Waffenschmiede auf) [1]

Deutsche Regierungspolitik und einheimische Rüstungsindustrie marschieren für gewöhnlich im Gleichschritt, da es gilt, militärische Ambitionen, ökonomische Exportstärke und technologische Führungspositionen zu sichern und auszubauen. Scheint diese Offensive gegenwärtig auch aus dem Tritt gekommen zu sein, so läßt das keineswegs auf grundsätzliche Interessengegensätze dauerhafter Natur schließen. Die Unwuchten zeugen allenfalls von einer vorübergehenden Divergenz der beiderseitigen Prioritäten, da das Akzeptanzmanagement der Bundesregierung gewisse Rücksichten auf die Befindlichkeit der öffentlichen Meinung nehmen muß, während die Unternehmen danach trachten, weiterhin satte Profite zu generieren und ihre Aktionäre zu füttern.

Soweit in diesem Zusammenhang von einem Schlingerkurs der Großen Koalition die Rede sein kann, rührt dieser insbesondere aus dem vordergründigen Profilierungsversuch der Sozialdemokraten her, die als Friedenstaube bei der Wählerschaft punkten wollen. Sie haben nichts gegen Hegemoniestreben, Kriegsbeteiligung und Waffenproduktion, betätigen sich aber in bestimmten Einzelfällen opportunistisch als Bremser, wobei sie stets nach der mutmaßlichen Stimmung in der Bevölkerung schielen. Die jahrelang florierenden Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien sind auch auf ihrem Mist gewachsen, doch setzen sie nun in einer vorgeblichen Kehrtwende darauf, das hierzulande wachsende Unbehagen am mörderischen Krieg im Jemen und an dem repressiven Regime der Eliten in Riad zu bedienen.

Die deutschen Rüstungsexporte werden generell unter dem Deckel gehalten, tagt doch der Bundessicherheitsrat, in dem unter anderem Verteidigungs-, Innen-, Außen- und Wirtschaftsministerium vertreten sind, geheim. Dieses Gremium genehmigt Exportanträge der Rüstungsindustrie oder lehnt sie ab, wobei sich die parlamentarische Kontrolle in engen Grenzen hält. Wenngleich die Fraktionen des Bundestages mit Berichterstattern vertreten sind, bleiben doch viele Einzelheiten für die Öffentlichkeit im dunkeln. Im Koalitionsvertrag wurde auf Betreiben der SPD festgeschrieben, daß Rüstungsexporte in Länder, die unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind, untersagt werden. Dies galt jedoch nicht für bereits genehmigte Geschäfte, die weiter abgewickelt werden sollten.

Das änderte sich dann im November, als in Reaktion auf die mutmaßlich von führenden saudischen Kräften betriebene Ermordung des regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi der Exportstopp für Riad auch für laufende Geschäfte gelten sollte. Es wurden keine neuen Genehmigungen für Waffenexporte nach Riad erteilt und auch bereits durch die Bundesregierung genehmigte Rüstungslieferungen durften Deutschland nicht verlassen. Der zunächst auf zwei Monate begrenzte Lieferstopp wurde Anfang Januar nach längerem Gerangel zwischen den beteiligten Ressorts um zwei Monate bis März verlängert. Während die SPD angeblich mit einem unbegrenzten Embargo liebäugelt, fürchtet die Union um die heimische Rüstungsindustrie. [2]

Wie zahnlos die Initiative der Großen Koalition beschaffen ist, belegt neben der Befristung der Maßnahme insbesondere der Umstand, daß die Entscheidung rechtlich nicht bindend ist. Würde die Bundesregierung erteilte Genehmigungen für Geschäfte mit Saudi-Arabien rechtswirksam widerrufen, käme sie nicht darum herum, mit den betreffenden Unternehmen über die in Paragraph 9 Kriegswaffenkontrollgesetz vorgesehenen Entschädigungen in Verhandlungen zu treten. Sie hat vielmehr die Unternehmen lediglich eindringlich gebeten, bereits genehmigte Waffenexporte nicht auszuliefern. Dagegen hat bis auf Rheinmetall keine Firma protestiert, da die meisten Unternehmen auf eine absehbare Beruhigung der Krise setzen, zumal sie es sich mit Blick auf künftige Rüstungsgeschäfte nicht mit der Regierung verscherzen wollen.

Wenngleich selbst dem Parlament der genaue Umfang der vorerst gestoppten Geschäfte nicht bekannt ist, gilt er als beträchtlich. Unter Verweis auf Insider ist von bereits produzierten Rüstungsgütern im Wert von bis zu zwei Milliarden Euro die Rede. Demnach stehen einige Waffensysteme für Saudi-Arabien wie beispielsweise vier Radarsysteme vom Typ "Cobra" fertig verpackt zur Ausschiffung bereit.

Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) hatte die rückläufigen Rüstungsexporte bereits im Dezember nicht zuletzt auf die "unvorhersehbare" und für Kunden und Partnerländer "durch überraschende Wendungen oft nicht nachvollziehbare" Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung zurückgeführt. Wie der Verband monierte, sei die deutsche Genehmigungspraxis deutlich zurückhaltender als die der wichtigsten Bündnispartner USA, Frankreich und Großbritannien. So war kein anderer großer Waffenexporteur in der EU oder NATO dem deutschen Beispiel gefolgt, im Kontext der Affäre um die Ermordung Khashoggis alle Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zu stoppen. Die Rüstungslobby verlangt, aus Gründen des Vertrauensschutzes zumindest den Exportstopp für bereits genehmigte Geschäfte aufzuheben. [3]

Nun droht der Konzern Rheinmetall mit einer Klage wegen Umsatzausfällen. Das Unternehmen hat in einem Schreiben an das Wirtschaftsministerium angekündigt, im Falle einer Fortsetzung des Embargos rechtliche Schritte gegen die Bundesregierung einzuleiten. Nach Überzeugung der Düsseldorfer Waffenschmiede besteht ein Schadenersatzanspruch, weil die Regierung bereits genehmigte Exporte aus politischen Gründen aufhalte. Offenbar fürchtet das Management, daß Aktionäre gegen Rheinmetall klagen könnten, wenn die Firma keinen Schadensersatz für die Einbußen verlangt. Das Wirtschaftsministerium wollte die Drohung von Rheinmetall auf Nachfrage nicht kommentieren, da "dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen hierbei eine besondere Stellung" zukomme. Rheinmetall wollte Brief und Inhalt "weder bestätigen noch dementieren". [4]

Hatte die Bundesregierung vermutlich darauf gesetzt, daß es ausreichen werde, die Backen dick aufzublasen und den Saudis pro forma die Leviten zu lesen, wird die Sache zunehmend vertrackt. Zwar dürfte die Beschwichtigung hiesigen Unmuts halbwegs gelungen sein, doch ist eine baldige Rückkehr zum Normalbetrieb deutscher Rüstungsexporte in diesem Fall nicht abzusehen. Das Verhältnis zu Saudi-Arabien ist weiterhin angespannt, da die Forderung nach Aufklärung des Khashoggi-Mordes unerfüllt bleibt. Statt dessen will Riad die angeblichen Täter in Geheimprozessen aburteilen, die vermutlich mit Todesurteilen enden werden. Von einer transparenten Untersuchung und einer Bestrafung der Hintermänner, wie dies Deutschland und die EU fordern, kann keine Rede sein. Im Fall Khashoggi seien "noch sehr viele Fragen offen", konstatierte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes säuerlich. Will die Bundesregierung ihr ohnehin verkniffenes Gesicht in dieser Angelegenheit nicht vollends verlieren, kann sie sich keinen Rückzieher leisten. Doch Riad liefert nichts, was sich als Erfüllung der Forderungen verkaufen ließe, und hat augenscheinlich auch nicht vor, dies jemals zu tun.

Wie Gegner der Ausfuhrsperre argumentieren, spiele Deutschland im Rüstungsgeschäft mit Saudi-Arabien im Vergleich zu den USA oder auch europäischen Staaten wie Großbritannien nur eine sehr untergeordnete Rolle. Zudem sei es nicht gelungen, alle EU-Mitglieder auf eine Linie zu bringen. Die Bundesrepublik schneide sich folglich mit ihrem Exportstopp aus marginalen Gründen und daher unnötig ins eigene Fleisch. Diese Argumentation läuft indessen darauf hinaus, daß von deutscher Seite im Grunde überhaupt keine Rüstungsexportkontrolle erforderlich sei. Mögen Militaristen jeder Couleur auch von einer solchen Entfesselung träumen, wäre dieser Sprung angesichts der deutschen Geschichte derzeit noch immer zu groß und riefe heftigen Protest auf den Plan. Was die Protagonisten der Aufrüstung und Kriegführung am allerwenigsten gebrauchen können, ist eine öffentlichkeitswirksame politische oder juristische Barriere, die ihre Bestrebungen womöglich jahrelang auf Eis legt.

Was die angedrohte Klage des Konzerns Rheinmetall betrifft, könnte dessen Vorstoß dreister kaum sein. Bekanntlich nutzt das Unternehmen Schlupflöcher der deutschen Rüstungsexportkontrolle und liefert über Tochterfirmen auf Sardinien und in Südafrika Rüstungsgüter auch an Saudi-Arabien, die unter anderem im Jemen-Krieg und gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden. Damit nicht genug, wurde publik, daß sich der Vorstandsvorsitzende Helmut Merch in Telefonkonferenzen mit Bankenanalysten darüber lustig gemacht hat, daß man die deutschen Rüstungsexportbestimmungen locker umgehen könne. [5] Von dem jüngsten deutschen Exportstopp seien diese Lieferungen "nicht betroffen", bestätigte er laut Protokoll. Merch bezifferte den Wert der jährlichen Munitionslieferungen auf über 100 Millionen Euro. Ein Joint Venture, das Rheinmetall in Südafrika betreibt, bewirbt einige Produkte für ihre "außergewöhnliche Tödlichkeit". Die staatliche saudi-arabische Rüstungsholding SAMI soll derzeit versuchen, Anteile des südafrikanischen Partners an diesem Gemeinschaftsunternehmen in Südafrika zu übernehmen. Geführt wird die SAMI von dem eingangs zitierten früheren Rheinmetall-Bereichsvorstand Andreas Schwer. Neben ihm sind offenbar noch mindestens drei weitere ehemalige Rheinmetall-Manager für die SAMI tätig. In der Branche sei sogar von einem Dutzend Deutschen bei SAMI die Rede, heißt es. [6]

Die Rüstungsgeschäfte mit Saudi-Arabien laufen in beträchtlichem Umfang weiter, weil die Bundesregierung große Schlupflöcher im deutschen Exportrecht zuläßt, die ihr seit langem bekannt sind. Nach Angaben des ehemaligen Präsidenten des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Arnold Wallraff wäre es relativ einfach und bedürfte nicht einmal der Zustimmung des Bundestages, um bislang geltende Ausfuhrbegrenzungen entsprechend zu erweitern und die Löcher zu schließen. Ein politischer Wille, dies in Angriff zu nehmen, ist jedoch nach wie vor nicht zu erkennen.


Fußnoten:

[1] www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/rheinmetall-ruestungsexporte-saudi-arabien-102.html

[2] www.spiegel.de/politik/deutschland/rheinmetall-will-schadenersatz-fuer-lieferstopp-nach-saudi-arabien-a-1248824.html

[3] www.t-online.de/nachrichten/deutschland/militaer-verteidigung/id_85099808/weniger-waffenlieferungen-deutsche-ruestungsexporte-brechen-ein.html

[4] www.tagesspiegel.de/politik/lieferstopp-fuer-saudi-arabien-rheinmetall-will-offenbar-schadenersatz-von-der-bundesregierung/23887724.html

[5] www.deutschlandfunk.de/schadenersatz-fuer-gestoppte-ruestungsexporte-rheinmetall.694.de.html

[6] www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2018-12/ruestungskonzern-rheinmetall-saudi-arabien-munitionslieferung-exportstopps-lieferungen

21. Januar 2019


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