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KRIEG/1719: Europaarmee - am Beispiel Mali ... (SB)



Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht, das wissen wir alle. Aber die Soldaten, die hier rausfahren auf Patrouille, die sind alle gut ausgebildet und auch gut ausgerüstet. Das heißt im Klartext: Wer sich mit einer deutschen Patrouille anlegt, muss damit rechnen, dass er sich dann auch eine blutige Nase holt.
Oberstleutnant Michael Weckbach, Sprecher des deutschen MINUSMA-Kontingents in Gao [1]

Deutschland hat turnusgemäß zum dritten Mal das Kommando über die EU-Ausbildungsmission in Mali (EUTM) übernommen, wo die Bundeswehr bereits seit 2013 stationiert und auch an der UN-Mission MINUSMA beteiligt ist. Mit insgesamt 1100 Soldaten entspricht das vom Bundestag mandatierte Kontingent jenem in Afghanistan, und wie am Hindukusch ist auch in Mali ein Ende des Einsatzes nicht in Sicht. Vergleichbar entwickelt sich auch die Sicherheitslage, die sich dramatisch verschlechtert, während sich die Bundeswehr allen anderslautenden Aufträgen zum Trotz in zunehmendem Maße in die Kriegsführung verstrickt.

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich beansprucht Westafrika als sein Einflußgebiet und band auch Deutschland Schritt für Schritt in das militärische Engagement ein. Eine erste Anfrage, die Wahlen im Kongo abzusichern, erfolgte 2005, kurz nachdem Angela Merkel Kanzlerin geworden war. Frankreich, Großbritannien und die USA führten 2011 Krieg gegen Libyen, um Gaddafi zu stürzen, einen Regimewechsel zu erzwingen und den Staat zu zerschlagen. Zwangsläufige Folge war eine Destabilisierung des Landes wie auch der gesamten Region, welche die Kämpfe in Mali maßgeblich befeuert und bewaffnet hat. Dort riefen die Franzosen 2013 gewissermaßen den Bündnisfall in Europa aus, seit 2015 wird zur Begründung zusätzlich die Flüchtlingsabwehr herangezogen. [2]

Bezeichnenderweise warb die Bundesverteidigungsministerin bei ihrem aktuellen Besuch in Mali vor allem für den Aufbau einer gemeinsamen Truppe der EU-Staaten: "Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in absehbarer Zeit eine Armee der Europäer haben werden", so Ursula von der Leyen in der Hauptstadt Bamako. In Mali lasse sich bereits beobachten, wie eine Armee der Europäer zusammenwachse. Bis dahin könnten die EU-Staaten "in den Verfahren besser und schneller werden". Sie regte einen gemeinsamen Ausschuß "zwischen den europäischen Nationen" an, "der mit den verschiedenen Ländern besetzt ist, um schneller auch zu Ergebnissen zu kommen". Dieser Ausschuß solle auch die Verantwortung für die unterschiedlichen Nationen tragen, welche die Armee der Europäer bilden, und gewährleisten, dass "schneller in Krisensituationen reagiert werden kann, wenn der Einsatz europäischer Truppen erforderlich ist". Die Ministerin betonte zugleich, daß damit der Parlamentsvorbehalt keineswegs in Frage gestellt und der Bundestag nicht seiner Entscheidungsmacht enthoben werde. [3]

Von der Leyen brachte mit dieser sibyllinischen Verklausulierung zwei Positionen der Bundesregierung zum Ausdruck. Nachdem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Zuge des Gedenkens an das Ende des Ersten Weltkriegs eine "echte europäische Armee" angemahnt hat, nehmen deutsche Regierungskreise diese Steilvorlage umgehend auf, beharren aber auf einer anders konfigurierten künftigen Führungsstruktur. Die tiefe Integration der deutschen und niederländischen, der deutschen und norwegischen Truppen oder die Deutsch-Französische Brigade zeigten, wie eine Armee der Europäer aussehen könne, so die Ministerin. Deutschland unterhält mit allen drei Ländern enge militärische Kooperationen, die Soldaten unterstehen aber weiter den Nationalstaaten und nicht der EU. Sie stelle sich eine Armee der Europäer etwa so vor, wie die Zusammenarbeit zwischen deutschen und niederländischen Soldaten im nordmalischen Gao: "Jede Streitkraft hat ihre Besonderheiten, ihre Identität klar behalten, das ist auch wichtig für die eigene Vorstellungskraft, wie man agiert. Aber die Zusammenarbeit war so gut abgestimmt, so eng, dass aus einem Guss dann auch das Handeln hier vor Ort möglich war." Die Verantwortung für die Entscheidung über die eigenen Soldaten müsse aber in den Nationalstaaten verbleiben: "Dies sollte nicht zentralisiert werden, sondern es sollte breit getragen sein in Europa." [4]

Was den Parlamentsvorbehalt betrifft, muß die Entsendung von deutschen Soldaten zu Kriegseinsätzen in andere Länder vorab vom Bundestag genehmigt werden. Diese Kontrolle durch die Abgeordneten soll weiter eingeschränkt werden. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer drückt es so aus: "Ich glaube, dass eine europäische Armee Sinn macht. Auf dem Weg dorthin werden wir den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr ein Stück zurückfahren müssen."

Aus Sicht der Bundesregierung bleibt der europäische Zusammenschluß ein Projekt, dem deutschen Führungsanspruch auf bestmögliche Weise zur Durchsetzung zu verhelfen. Frankreich ist in diesem Kontext der stärkste Partner, um gemeinsam den Kurs zu diktieren und den Einfluß der EU zu wahren und zu festigen. Berlin ist aber angesichts zunehmender Verwerfungen der globalen Bündnisse und Ordnungsstrukturen um so weniger bereit, das Heft eigenständigen Handelns aus der Hand zu geben und an eine übergeordnete Instanz zu delegieren. Dieses strategische Muster zeichnet sich auch beim Einsatz der Bundeswehr in der Sahelzone ab, die sich so weit in den französischen Kampfeinsatz hineinziehen läßt, wie dies ihren eigenen Interessen entspricht, ohne sich dabei zum Handlanger zu degradieren oder den Gesamtansatz deutscher Intervention in Afrika preiszugeben.

Während Frankreich mit der Operation "Barkhane" in der Sahelzone einen Kampfeinsatz durchführt, ist die Bundeswehr ausschließlich zur Stabilisierung und Friedenssicherung mandatiert. Daß es zwangsläufig zu Überschneidungen kommt, liegt zum einen in der Natur dieser letztlich fiktiven Trennung, zum anderen an den Erfordernissen einer Kriegsführung, die mehr oder minder weit von den ideologischen Konstrukten deutscher und internationaler Mandatierung abweicht. Wie hiesige Medien unter Berufung auf vertrauliche UN-Unterlagen berichteten, sollen deutsche Drohnen und Hubschrauber auch zur Unterstützung des französischen Militärs eingesetzt worden sein. Aufklärung und Transport sind eben ein weites Feld, wozu Verteidigungsministerium und Einsatzführungskommando unisono erklärten, zu Details könne man "aus operativen Gründen" keine Auskunft geben.

Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, betonte, den Soldaten im Einsatz könne kein Vorwurf gemacht werden. Die verschiedenen Missionen vor Ort seien eng miteinander verknüpft, die Notwendigkeit einer Kooperation könne sich deshalb schnell ergeben: "Allerdings ist es dann unerlässlich, dass der Verteidigungsausschuss von der Regierung vollumfänglich darüber informiert wird und dann überprüfen kann, ob das mandatiert ist oder nicht." So geht Parlament, das sich bereitwillig auf ein Instrument der Affirmation und Legitimation reduzieren läßt. [5]

Das jüngste Mandat des Bundestags vom 26. April 2018 gilt bis zum 31. Mai 2019 und beinhaltet erneut eine Ausweitung, so daß nun der Einsatz von bis zu 1100 deutschen Soldaten bei MINUSMA möglich ist. An der Stabilisierungsmission in Mali beteiligen sich mehr als 50 Nationen mit rund 11.000 Blauhelmsoldaten, circa 1.500 Polizisten und Zivilpersonal. Der Großteil des deutschen Einsatzkontingentes ist in Gao (Camp Castor) stationiert. Deutschland stellt aber auch Personal für das Hauptquartier in Bamako und betreibt in Niamey, der Hauptstadt des benachbarten Niger, einen Lufttransportstützpunkt, um Material- und Personaltransporte und die medizinische Verwundetenversorgung zu ergänzen. EUTM ist eine Mission der EU mit dem Ziel des Trainings und der Beratung der malischen Streitkräfte und der G5-Sahel-Truppe (Mali, Mauretanien, Niger, Burkina Faso und Tschad). Zu EUTM gehören 350 deutsche Soldaten.

Von der Leyen eröffnete in Niger am Flughafen der Hauptstadt Niamey einen Stützpunkt der Bundeswehr, der als logistisches Drehkreuz für den Einsatz in Mali dienen soll. Sie übergab dem nigrischen Verteidigungsminister Kalla Moutari die ersten von 53 weiteren Militärlastwagen im Wert von sechs Millionen Euro, worauf ihr Amtskollege versprach, seine Truppen gegen den Feind auf dem eigenen Territorium einzusetzen. Gemeint ist damit insbesondere die Flüchtingsabwehr, die entsprechend dem auf deutsche Initiative entwickelten Entwurf der EU tief hinein nach Afrika vorgelagert wird. Dies führt dazu, daß immer mehr geflohene Menschen in der Wüste sterben, auch dies eine unmittelbare Folge deutscher und europäischer Kriegsführung in Afrika.

"Je besser sich diese Regionen entwickeln, desto geringer ist der Migrationsdruck auf Europa", so die Verteidigungsministerin. Da von einer Verbesserung in Mali jedoch keine Rede sein kann, in dessen gefährlichsten Landesteilen kaum ein Tag ohne Anschlag vergeht und sich verschiedene Islamistengruppen verbündet haben, ist ein Ende der vielschichtigen Auseinandersetzungen auf Jahre hinaus nicht absehbar.


Fußnoten:

[1] www.tagesschau.de/ausland/lage-in-mali-101.html

[2] www.morgenpost.de/politik/article214852759/Mali-wird-fuer-die-Bundeswehr-zum-zweiten-Afghanistan.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/343415.von-der-leyen-in-westafrika-traum-vom-blitzkrieg.html

[4] www.spiegel.de/politik/ausland/ursula-von-der-leyen-wirbt-fuer-armee-der-europaeer-a-1238076.html

[5] www.welt.de/politik/deutschland/article181545570/Bundeswehr-in-Mali-Bundeswehr-unterstuetzt-franzoesischen-Anti-Terror-Krieg-in-Mali.html

13. November 2018


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