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KRIEG/1697: Militär - Global Player ... (SB)



Dies ist eine Phase des Übergangs für den Irak. Alle meine Gesprächspartner betonen immer wieder, wie sehr sie sich ein Engagement Deutschlands an seiner Seite wünschen.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in Erbil [1]

Wie in Afghanistan und Mali, von zahlreichen weiteren Auslandseinsätzen einmal ganz abgesehen, ist die Bundeswehr auch im Irak gekommen, um zu bleiben. Nachdem sich deutsche Regierungspolitik bei den Kriegen gegen den Irak und Libyen noch Zurückhaltung auferlegt hatte, machte sie mit ihrer Beteiligung an den Kämpfen in Syrien ihren Anspruch geltend, auch in dieser Weltregion dauerhaft mitzumischen. Die Luftwaffe steuerte mit Aufklärung und Zielkoordinaten wesentliche Voraussetzungen der Kriegsführung bei, während sich die Ausbildung und Ausrüstung der Peschmerga im Nordirak der dortigen kurdischen Interessen bediente, um eine verbündete Söldnertruppe zu schaffen. Die Mandate der Bundeswehr für den Kampf gegen den IS laufen in wenigen Wochen aus, doch statt ihre bloße Verlängerung in Erwägung zu ziehen, kündigt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen eine Neuausrichtung des Irak-Einsatzes an, der auf das ganze Land ausgeweitet werden soll. Wie sie bei einem Truppenbesuch nahe der kurdischen Provinzmetropole Erbil erklärte, werde es ein anderes Mandat sein, das auch eine Unterstützung der irakischen Zentralregierung in Bagdad durch deutsche Streitkräfte einschließt.

Bislang bilden 150 deutsche Soldaten im Nordirak kurdische Peschmerga aus. Im Verbund mit den Waffenlieferungen stellt dies eine Schlüsselstellung der militärischen Intervention und politischen Einflußnahme dar, die jedoch im Zuge des Konflikts um das Unabhängigkeitsreferendum der Kurden an Bedeutung zu verlieren drohte. In Bagdad sind bisher nur einzelne Bundeswehrausbilder im Einsatz, während andere Mitgliedsstaaten der Anti-IS-Koalition an mehreren Stützpunkten im Zentralirak bereits die einheimischen Sicherheitskräfte trainieren. Die Ausweitung des Bundeswehrmandats ist mithin ein Befreiungsschlag angesichts des Scheiterns der Barsani-Fraktion, der die willkommene Gelegenheit nutzt, in die Offensive zu gehen und in der Konkurrenz der Bündnispartner aufzuschließen, wenn nicht gar perspektivisch die dominierende Position zu übernehmen.

Die Produktion von Vorwänden zur Verschleierung der maßgeblichen Kriegsgründe zählt bekanntlich zu den Stärken des deutschen Militarismus, der auch in ideologischer Hinsicht "Made in Germany" zu einem Markenzeichen macht. Den ersten und naheliegendsten Gesichtspunkt in der argumentativen Kette liefert der IS, der zwar in der Fläche geschlagen, aber noch nicht vollständig besiegt sei. Er verübe aus Rückzugsorten heraus weiterhin Anschläge und versuche nach wie vor, wieder an Stärke zu gewinnen. Deshalb müsse man sehr wachsam sein, warnt von der Leyen. Dies kommt einer geradezu euphemistischen Umschreibung der Sicherheitslage gleich, die man als verheerend beschreiben muß. Diverse Fraktionen und Gruppierungen verüben Anschläge mit zahlreichen Opfern, die Machtkämpfe werden den Irak auf Jahre hinaus erschüttern und spalten. Die Bundeswehr tritt sehenden Auges in einen Krieg ohne absehbares Ende ein, der unter unermeßlichem Blutvergießen und fortgesetzter Zerstörung den ursprünglichen Angriffsplan der USA und ihrer Verbündeten verewigt, Staaten im Nahen und Mittleren Osten zu zerschlagen, die ihrem expansionistischen Streben Einhalt gebieten könnten.

Als zweites Argument muß die Umschreibung herhalten, das neue Mandat der Bundeswehr solle eine Balance zwischen Bagdad und Erbil beinhalten. Die Beziehungen zwischen der Zentralregierung und der Kurden-Führung in Erbil sind bekanntlich höchst angespannt, und in diesem Konflikt will die Bundesregierung eine Mittlerrolle übernehmen. Nach den Worten der deutschen Verteidigungsministerin versuchen die Konfliktparteien, die Spannungen zu lösen, und setzen große Hoffnungen darauf, daß "gerade die Zuverlässigkeit Deutschlands" eine Brücke zwischen Bagdad und Erbil schlagen könne. [2] Um den naheliegenden Verdacht zu entkräften, daß sich Berlin in Wahrnehmung dieser Funktion mehr als nur die diplomatische Führung unter den Nagel reißen möchte, fügt von der Leyen hinzu, daß es sicherlich hilfreich wäre, wenn auch die internationale Gemeinschaft vermittelnd tätig würde. Daß viele Köche den deutschen Brei verderben könnten, weil sie eine ganz andere Würze bevorzugen, fällt unter die zentralen Problemfelder dieser Expansion.

Als drittes Argument wird der enorme Bedarf an deutscher Hilfestellung und deren hochwertige Umsetzung ins Feld geführt. Die deutschen Soldaten hätten eine außergewöhnliche Ausbildungsleistung erbracht, so von der Leyen. Jetzt gehe es um die "langfristige Stabilisierung des Erfolgs". Im Irak müßten loyale, einsatzfähige Streitkräfte aufgebaut werden, wozu Deutschland seinen Beitrag leisten wolle. Der Irak wünsche sich Beratung und Ausbildung unter anderem im militärischen Sanitätswesen und in der Logistik. Dieser Bitte werde die Bundeswehr nachkommen. Es sei eine Phase des Übergangs für den Irak, so die Bundesverteidigungsministerin. Alle ihre Gesprächspartner betonten immer wieder, wie sehr sie sich ein Engagement Deutschlands an der Seite des Irak wünschen. Man habe aber in den Gesprächen in Bagdad deutlich gemacht, daß man das gesamte Land "in seiner Einheit" begleiten wolle. Es ist bekanntlich ein Treppenwitz der Kriegsgeschichte, daß die Truppenpräsenz in einem anderen Land noch immer auf Einladung dortiger Fraktionen erfolgt ist. Um nicht als brachialer Aggressor in Erscheinung zu treten, läßt man sich zumindest zum Auftakt zur Hilfe ins Land bitten, um wen auch immer zu schützen.

Nun drängt sich natürlich die Frage auf, wer oder was die Verteidigungsministerin einer geschäftsführenden Bundesregierung dazu ermächtigt, derart weitreichende militärische Entwürfe zu verkünden, als seien sie längst beschlossene Sache. Gerade im Limbus zwischen der alten und der neuen Großen Koalition ist der Zeitpunkt besonders günstig, scheint uns von der Leyen zu signalisieren. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD demnach darauf verständigt, den Einsatz zur Peschmerga-Ausbildung in seiner jetzigen Form auslaufen zu lassen, jedoch zugleich den Anti-IS-Einsatz in eine Mission zur langfristigen Stabilisierung des Irak umzubauen.

Die Einwände des SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich gegen die Erklärung von der Leyens muten denn auch fadenscheinig an, wenn er die Festlegung der Ministerin als voreilig und in der geschäftsführenden Bundesregierung nicht abgestimmt bezeichnet: Ein neues Mandat könne nur eine neue Bundesregierung dem Bundestag vorlegen. Sollte die SPD in die Bekanntgabe des Vorhabens tatsächlich nicht einbezogen worden sein, ändert das nichts an ihrer grundsätzlichen Beteiligung an der deutschen Kriegspolitik. Die Sozialdemokraten handeln auch in dieser Frage, wie sie immer gehandelt haben. Von Martin Schulz ungewollt parodistisch auf die Spitze getrieben, ist die Halbwertzeit ihrer Versprechen inzwischen derart geschrumpft, daß ihr unvermeidlicher Bruch aufgrund der zeitlichen Nähe mehr denn je ins Auge sticht.

Die Wahlkampfversprechen von Frieden und Abrüstung sind längst Makulatur, im Koalitionsvertrag stimmt die SPD der Aufrüstungsverpflichtung bei der NATO in Gestalt des Zwei-Prozent-Ziels ohne Einwände zu. Das läuft auf eine Verdoppelung des deutschen Militärhaushalts von derzeit 37 auf rund 75 Milliarden Euro im Jahr 2024 hinaus. Das größte Aufrüstungsprogramm seit Ende des Zweiten Weltkriegs soll eine globale Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr möglich machen, worunter nicht zuletzt die dauerhafte Präsenz im Irak fällt. [3] Die Fortsetzung der Großen Koalition ist ungeachtet aller vordergründigen Verwerfungen in den Verhandlungen ein Gebot der Stunde zur reibungslosen Umsetzung der Staatsräson insbesondere in der Kriegs- und Sicherheitspolitik, der durch kein pseudodemokratisches Prozedere Steine in den Weg gelegt werden dürfen. Wenn die deutsche Verteidigungsministerin heute im Irak verkündet, was die erst noch zu bildende neue Bundesregierung dann in den Bundestag einbringen muß, der mehrheitlich zustimmen soll, zeigt diese pragmatische Abkürzung in Vorwegnahme auf höchst anschauliche Weise, wie Regierungspolitik um so zielführender weitergeht, während sich das Volk an der koalitionären Seifenoper abarbeitet.


Fußnoten:

[1] www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/brennpunkte_nt/article173430673/Bundeswehr-soll-kuenftig-den-ganzen-Irak-unterstuetzen.html

[2] www.zeit.de/politik/deutschland/2018-02/ursula-von-der-leyen-irak-bundeswehr-einsatz-ausweiten-is.html

[3] www.jungewelt.de/artikel/327104.der-aufrüstungsvertrag.html

12. Februar 2018


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