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KRIEG/1643: Warnung vor dem Weltenbrand aus berufenem Munde (SB)




Einmal mehr erwecken führende Grüne den Eindruck, als Speerspitze des deutschen Imperialismus ihre historische Bestimmung gefunden zu haben. Einhellig werfen Cem Özdemir, Rebecca Harms und Marieluise Beck den Verfassern des Aufrufs "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!" [1] vor, mit NATO und EU die falschen Adressaten anzusprechen. Schuld an der Eskalation in den Beziehungen zu Rußland sei dessen Präsident Wladimir Putin, der damit von Teilen der deutschen Gesellschaft in seinem sinistren Treiben unterstützt werde [2]. Bei den Unterzeichnern des Aufrufs handelt es sich jedoch nicht um die üblichen "Putin-Versteher", sondern eine Riege ehemaliger Politikerinnen und Politiker, deren Vorgeschichte in höchsten Ämtern der Republik dafür bürgt, keinesfalls einer die Hegemonialinteressen der EU und BRD hintertreibenden Russophilie zu frönen.

Was Eberhard Diepgen, Roman Herzog, Otto Schily, Manfred Stolpe, Gerhard Schröder oder Klaus von Dohnanyi, um nur einige der bekannteren Namen aus der langen Liste der Unterzeichner zu nennen, dazu treibt, sich mit prominenten Kulturschaffenden zusammenzutun, um vor der drohenden Gefahr eines Krieges zu warnen, ist die nur ein Jahr nach Beginn des Aufstands auf dem sogenannten Euro-Maidan nicht mehr zu beschönigende Möglichkeit, daß es sich dabei keineswegs um übertriebene Schwarzseherei handelt. Indem sie, nicht ohne "die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin" zu nennen, "die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau" eingestehen, erkennen sie an, was Berlin und Washington unisono bestreiten - Rußland hat Sicherheitsinteressen, die durch die NATO tangiert wurden, so daß diese zumindest zur Hälfte für das Zustandekommen der brisanten Lage verantwortlich ist.

Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Aufrufs würden ihren Namen kaum dafür hergeben, wenn in dem Text das ganze Ausmaß EU-europäischen Expansionsstrebens - wobei insbesondere der EU-Assoziationsvertrag zu nennen und im Detail zu analysieren wäre - und US-amerikanischer Ränkespiele bei der zweiten Inszenierung einer bunten Revolution in Kiew aufgeführt wäre. Die Ungereimtheiten um den Abschuß der malaysischen Verkehrsmaschine und die nach wie vor in der ukrainischen Regierung vertretenen Rechtsradikalen bleiben ebenso unerwähnt wie der von der EU entfesselte Wirtschaftskrieg gegen Rußland. Auch die verärgerten Reaktionen auf den Aufruf unter Kommentatoren von Welt [3] bis taz [4] belegen, daß schon ein halber Schritt in Richtung Entspannung ein ganzer Schritt zurück in Richtung auf den letzten gescheiterten Versuch zu sein scheint, den immer noch größten Flächenstaat der Welt zur Beute eigener Interessen zu machen.

Man mag diesen Aufruf ob seiner Zaghaftigkeit und des notorischen Zwangs, gleichmäßig auf den Schultern beider Konfliktparteien zu verteilen, was sich unschwer als geostrategische Offensive gegen ein Rußland darstellen läßt, das im Wettlauf um die knapper werdenden Ressourcen der Welt und die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens noch zu viel eigenständige Politik betreibt, für irrelevant halten. Doch allein die Tatsache, daß es eine Riege prominenter Persönlichkeiten für geboten hält, auf Initiative der mit Belangen der NATO intim vertrauten Sicherheitsexperten Horst Teltschik und Walther Stützle sowie der ehemaligen Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die in dieser Sache offensichtlich mit der Führungsriege der eigenen Partei über Kreuz liegt, ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen, kann als Alarmsignal verstanden werden.

Einen Tag vor Veröffentlichung des Aufrufs am 5. Dezember hat Wladimir Putin in einer Grundsatzrede vor den mehr als 1000 Mitgliedern der Föderalen Versammlung Rußlands vor einem "jugoslawischen Szenario des Zerfalls und der Zergliederung" [5] für sein Land gewarnt. Mehrere der Politiker, die den Aufruf unterzeichneten, gehörten der rot-grünen Bundesregierung während des Überfalls der NATO auf Jugoslawien unter Beteiligung der Bundeswehr an. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den völkerrechtswidrigen Charakter dieses Krieges inzwischen eingestanden. Die finale Zerschlagung Jugoslawiens war, so befanden schon vor 15 Jahren viele Kriegsgegner, im Kern gegen die bis nach Südosteuropa reichende Hegemonie Moskaus gerichtet. Heute ist das Erlangen direkter oder indirekter Kontrolle über die eurasische Landmasse in unmittelbare Reichweite der NATO-Staaten gerückt, und die militärische Präsenz, die die russischen Streitkräfte in den letzten Wochen an verschiedenen Orten der Welt gezeigt haben, belegt, daß die Botschaft im Kreml angekommen ist.

Wie groß die von dieser Möglichkeit ausgehende Gefahr tatsächlich ist und welche Katastrophe sie in der Konsequenz entfesseln könnte, das wissen einige der Unterzeichner des Aufrufs vielleicht sogar noch besser als jene grünen Ostlandritter, die, während sie de facto Stimmung für eine gewaltsame Lösung verbreiten, behaupten, ausschließlich dem durch Wirtschaftssanktionen bewehrten Frieden verpflichtet zu sein [6]. Wenn die Sache dann entgleist, ist man es ja nicht gewesen. Also wird nach Kräften ignoriert, daß die gegen Rußland gerichteten Sanktionen den militärischen Krieg nicht etwa ersetzen, sondern gerade deshalb, weil sie aus einer Position der vermeintlichen Stärke erlassen wurden, bereits eine kriegerische Maßnahme darstellen und einen Waffengang vorbereiten.


Fußnoten:

[1] http://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog

[2] http://www.fr-online.de/ukraine/konflikt-in-der-ukraine-kopfschuetteln-ueber-russland-aufruf,26429068,29260666.html

[3] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article135119551/Dieser-Russland-Aufruf-ist-ein-peinliches-Dokument.html

[4] http://www.taz.de/Kommentar-zum-Aufruf-fuer-Frieden/!150870/

[5] https://www.jungewelt.de/titel/frostige-grüße-aus-moskau

[6] https://www.youtube.com/watch?v=9UNM6Ul1yK0&feature=share

8. Dezember 2014