Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1620: Trauer zu Zorn - Soldat auf immer und ewig? (SB)




Soldatenfriedhöfe sind niemals nur letzte Ruhestätten für gestorbene Menschen. Sie dienen vor allem der symbolpolitischen Würdigung und Legitimation geschlagener Schlachten, was auch für ausgesprochene Aggressionsakte wie etwa den Überfall der USA und ihrer Verbündeten auf den Irak 2003 gilt. Auch wenn die Zahl der Gefallenen auf seiten der Angreifer weit geringer als in früheren Kriegen war, bildet sich die expansive Kriegführung des vermeintlichen Welthegemons in dementsprechend entufernden Nekropolen ab. Wird deren militärischer Charakter auch im Übertrag der uniformen Ordnung stehender Heere auf die in Reih und Glied errichteten Grabsteine manifest, so bringen die Angehörigen der Gefallenen mit kleinen Mitbringseln, die sie auf der Grabstätte plazieren, häufig eine zivile Note in die spartanische Trauerkultur staatlicher Gedenkrituale.

Dies hat sich offensichtlich für die US-Regierung zu einem solchen Ärgernis entwickelt, daß es seit einiger Zeit auf dem größten Militärfriedhof des Landes, dem 400.000 gefallene Soldatinnen und Soldaten beherbergenden Arlington National Cemetery, nicht mehr erlaubt ist, die Gräber mit privaten Erinnerungsstücken zu schmücken. Was die Eltern und Kinder, die Schwestern und Brüder, die Frauen und Männer der Gefallenen in Form bemalter Steine, kleiner Behälter, Fotos oder anderer Dinge, mit denen sie eine besondere Erinnerung an die Toten verbindet, nach ihren Besuchen zurücklassen, stört nicht nur die geometrische, das hügelige Gelände in weiten Linien monoton strukturierende Ausrichtung der weißen Grabsteine.

Nein, diese Praxis des Trauerns unterminiert die Moral eines Gedenkens, das keinen Menschen, sondern ausführenden Organen der Staatsgewalt gewidmet sein soll. Was die gefallenen Soldatinnen und Soldaten zu Menschen macht, sind ihre Schwächen und Neigungen, ihre Wünsche und Hoffnungen, eben all das, was sich als Subjektivität eines Individuums nicht für die Instrumente und Ideologien im urtümlichen Sinne fremder Interessen vereinnahmen läßt. Indem die Hinterbliebenen die Uniformität des Grabfeldes und die damit trotz namentlicher Kennung in die Anonymität bloßer Funktionslogik verbannten Gefallenen durch ihre persönlichen Mitbringsel durchbrechen, geben sie den mit Dienstgrad, Truppenteil, Waffengattung und Kriegsschauplatz auch nach dem Tode auf das sogenannte Vaterland verpflichteten Toten ein wenig von ihrer vormilitärischen Existenz zurück.

Ganz unabhängig davon, ob die Familien ihre in fernen Ländern gestorbenen Angehörigen als Helden glorifizieren oder als Opfer unglücklicher Umstände beweinen, der private Wildwuchs eines geradezu animistischen Trauerkultes birgt die Gefahr, daß die Vereinnahmung insbesondere der jüngsten Generation von Gefallenen, der Opfer des sogenannten Globalen Krieges gegen den Terror, für Nationalismus und Militarismus untergraben wird. Je privater die Beziehung wird, in der die Hinterbliebenen ihren Verlust betrauern, desto näher siedelt dieser Schmerz an Fragen und Gedanken, die sich in ihrer potentiell subversiven Stoßrichtung nicht durch den Mythos des heldenhaften Todes für die Vereinigten Staaten beschwichtigen lassen. Nicht nur Cindy Sheehan, um ein besonders bekanntes Beispiel zu nennen, sondern auch viele andere Eltern sind durch den Verlust ihrer Töchter und Söhne im Irak oder in Afghanistan auf eine Weise politisiert worden, die ganz und gar nicht im Sinne einer permanent kriegführenden Gesellschaft sein kann.

Was eigentlich wurde in Afghanistan und dem Irak verteidigt, wer hat den Nutzen davon, daß die Kinder ohne Vater aufwachsen müssen, warum leben so viele Veteranen in bitterer Armut, warum gehören die alleingelassenen Mütter zu den sozial am wenigsten abgesicherten Gruppen der US-Gesellschaft? Kommen diese Fragen einmal auf, dann bricht sich die Ahnung Bahn, daß die Heroisierung der Gefallenen nicht anders als die Kriegspropaganda Hollywoods zur Legitimation einer Form des gewaltsamen Raubes dient, für den die Opfer unter den in Afghanistan und Pakistan, im Irak, in Libyen und anderswo lebenden Menschen nicht anders als die eigenen Familienmitglieder bloßer Treibstoff einer in ihrer so abstrakten wie vernichtenden Gewalt monströsen Maschinerie sind.

Fangen die Trauernden erst einmal an, sich mit den Betroffenen auf der Seite des angeblichen Feindes zu solidarisieren, dann werden sie ihren verlorenen Angehörigen weit gerechter, als erwünscht ist. Die Unterstellung, man dürfe das Opfer, das die Gefallenen für Staat und Nation erbracht hätten, nicht dadurch verraten, daß an der Legitimität der Kriege gezweifelt wird, aus denen sie in mit der Nationalflagge drapierten Särgen heimkehrten, richtet sich gegen die Trauernden selbst. Ihre Erinnerung, die sie in Form besonderer Artefakte oder durch das Berühren des Grabsteins in einen Kontakt mit den Verflossenen verwandeln wollen, könnte gerade durch den Zorn über das, was ihnen angetan wurde, auf ganz und gar nicht beabsichtigte Weise lebendig werden. Um es dazu nicht kommen zu lassen, muß die Trauer beendet und der Schmerz des Verlustes so tief begraben werden wie sein Anlaß. Nichts soll bleiben, was der herrschenden Ordnung widerstrebende Schlußfolgerungen und Konsequenzen auslösen könnte. Im Arlington National Cemetery muß es klinisch sauber und ordentlich zugehen, damit der Virus der Subversion nichts findet, woran er seine unaufhaltsame Wirkung entfalten kann.


Fußnote:

Fotostrecke trauernder Hinterbliebener auf dem Arlington National Cemetery
http://news.yahoo.com/lightbox/removal-of-mementos-from-arlington-graves-1381250266-slideshow/removal-of-mementos-from-arlington-graves-photo-1381250191411.html

10. Oktober 2013