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KRIEG/1595: Krieg ohne Ende - Kein Mißverständnis de Maizières (SB)




Als Präsident George W. Bush nach den Anschlägen des 11. September 2001 der Welt einen langen Krieg ankündigte, dürften die wenigsten geahnt haben, wie ernst es den Strategen der neuen Weltordnung mit diesem Waffengang ohne Ende war. Nach über einem Jahrzehnt Krieg in Afghanistan geht inzwischen kaum noch jemand davon aus, daß der für 2014 angekündigte Truppenabzug mit einem Schlußstrich unter das Besatzungsregime der USA und ihrer Verbündeten gleichzusetzen sei. Diesen einmal eroberten Keil zwischen Rußland und China wieder aufzugeben, war nie vorgesehen, wobei bislang die Stärke der im Land verbleibenden Verbände wie auch deren Herkunft nicht eindeutig geklärt ist.

Mit seinem angeblichen Mißverständnis hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière zum Ende der zweitägigen Ministerkonferenz in Brüssel die Katze halbwegs aus dem Sack gelassen. Da das Datum 2014 näherrückt, jedoch außer der Propagandaformel, bis Ende nächsten Jahres werde den afghanischen Soldaten und Polizisten allein die Verantwortung für die Sicherheit übertragen, noch nichts in trockenen Tüchern ist, schiebt de Maizière den schwerfällige Troß aus Politik und Militär an: Zwischen 8.000 und 12.000 Soldaten planten die Amerikaner am Hindukusch zu belassen, wenn die NATO-Operation ab 2014 in eine Ausbildungsmission umdeklariert wird, teilte er mit. Das sei nicht korrekt, kommentierte der scheidende US-Verteidigungsminister Leon Panetta umgehend diese Angaben. Die Größenordnung von bis zu 12.000 Soldaten beziehe sich auf die gesamten NATO-Truppen und sei lediglich eine der Optionen, über die man verhandelt habe. Auch der afghanische Verteidigungsminister Bismullah Mohammadi nannte diese Zahl. [1]

Gegenwärtig sind noch rund 66.000 US-amerikanische Soldaten in Afghanistan stationiert. Eine klare Aussage Präsident Barack Obamas über die Truppenstärke nach 2014 wird von den Verbündeten mit wachsender Spannung erwartet, da davon auch ihre Beteiligung an der sogenannten Ausbildungsmission abhängt. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hätte offenbar gerne konkretere Ergebnisse präsentiert, doch deutet vieles auf heftige Kontroversen hinter den Kulissen hin. Die US-Regierung hält sich bedeckt, wofür die noch immer ausstehende Bestätigung des designierten neuen Verteidigungsministers Chuck Hagel durch den US-Senat keineswegs der wichtigste Grund sein dürfte. Washington fordert ein sehr viel stärkeres Engagement der Verbündeten, die Bundesregierung ist dazu grundsätzlich bereit, will aber Roß und Reiter eindeutig klargestellt wissen.

Zunächst sind nach de Maizières Worten noch viele "schwierige Fragen" zu klären, weswegen man nicht zuletzt in deutschem Interesse die "vorbereiteten ersten Operationspläne" gestoppt habe. De Maizière betonte, es gehe nun erst einmal darum, sich "politisch über den Auftrag" zu verständigen, erst dann könnten die Militärs mit der genauen Planung der Mission beginnen. Die US-Regierung will offenbar nicht mehr als 10.000 Soldaten in Afghanistan belassen, wovon nur die Hälfte für die Trainingsmission abgestellt werden soll. Daraus folgt, daß die NATO-Partner größere Kontingente bereitstellen müßten, will man die angedachte Zahl von rund 10.000 bis 15.000 Soldaten für die Mission "Resolute Support" zusammenbekommen. [2]

Zudem will die US-Regierung entgegen bisherigen Planungen die Zahl der in den vergangenen Jahren mühsam aufgebauten afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) doch nicht auf knapp 280.000 Mann begrenzen, sondern auf 350.000 aufstocken. Damit würde die mühsam erreichte Planung, die eine jährliche Finanzspritze von rund vier Milliarden US-Dollar vorsieht, zur Makulatur. Ob dieses riesige Kontingent einheimischer Sicherheitskräfte ausreicht, um die Besatzung in verschleierter Form fortzusetzen, ist ungewiß. Sicher ist hingegen, daß Ausbildung und Kosten in überwiegendem Maße den Verbündeten aufgelastet werden sollen.

Wie de Maizière behauptete, werde sich die künftige internationale Truppenpräsenz in Afghanistan erheblich vom gegenwärtigen Mandat unterscheiden. Die Mission "Resolute Support" solle von 2015 an "Training, Ausbildung und Unterstützung" für die afghanischen Truppen leisten und damit eine "beratende Rolle" und "kein Kampfmandat" sein. Allerdings müsse man die Sicherheitsumstände beachten und den Schutz der internationalen Truppen gewährleisten. [3] Man sei grundsätzlich bereit, sich an der Ausbildungsmission zu beteiligen. In welchem Umfang und wie lange das geschehe, hänge jedoch von "internationaler Unterstützung" ab. Die Bundeswehr ist, was bestimmte Kampfeinsätze anbelangt, auf die militärische Kompetenz der US-Armee angewiesen. Sein Kollege Leon Panetta habe Deutschland offiziell gebeten, auch im Norden Afghanistans eine Rolle zu übernehmen, wo die Bundeswehr seit Jahren im Rahmen ihres ISAF-Einsatzes präsent ist und derzeit noch knapp 4.400 Soldaten stationiert hat. Geplant ist eine Unterteilung in vier Zentren, von denen die USA je eines im Südwesten und im Südosten führen sollen. Italien könnte die Leitung eines Zentrums im Westen übernehmen, und Deutschland wäre zuständig für den Norden. [4]

Damit zeichnet sich nach der Brüsseler Ministerkonferenz auf Betreiben de Maizières etwas konkreter ab, was der Bundestag mit seinem Beschluß zur Verlängerung des Mandats für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Ende Januar vorstrukturiert hatte. Als einzige Fraktion stimmte Die Linke geschlossen gegen das Vorhaben, deutsche Truppen weitere dreizehn Monate am Hindukusch zu belassen. Dort sind seit 2002 im "friedenserzwingenden Einsatz" 52 deutsche Soldaten umgekommen, die Zahl von ihnen getöteter Afghanen ist mit Ausnahme des auf deutschen Befehl verübten Massakers bei Kundus nicht bekannt. Die beschlossene Verlängerung des Einsatzes kostet rund eine Milliarde Euro.

Von Februar 2014 an sollen statt maximal 4.500 noch 3.300 deutsche Soldaten in Afghanistan stationiert bleiben. "Aber wir bleiben kampffähig, auch zum Schutz unserer Soldaten", nahm der Verteidigungsminister eine Festlegung postwendend wieder zurück. Eine konkrete Perspektive für die Zeit nach dem geplanten Abzug der Kampftruppen gebe es momentan nicht. Die Zahl der deutschen Soldaten sinke nur unter dem Vorbehalt, daß die Sicherheitslage dies erlaubt. Eine schnellere Reduzierung der Truppe sei nicht möglich, da Deutschland eine Führungsnation im Norden Afghanistans sei. [5]

Der Krieg ohne Ende gilt auch für die Bundeswehr, ist die eigentliche Botschaft Thomas de Maizières, verpackt in den Versuch, die Amerikaner aus der taktischen Reserve zu locken. So dringend man Genaues wissen möchte, um die eigenen Aufwände möglichst niedrig zu halten und der kriegsmüden Heimatfront keinen Anlaß zum Aufbegehren zu liefern, so verlockend ist die Beteiligung an solchen Waffengängen, hängt davon doch maßgeblich ab, ob man künftig in diesem Kampf um militärische Ausgangspositionen, geostrategische Einflußzonen und auszubeutende Ressourcen zu den Siegern oder Verlierern gehört.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article113847991/De-Maiziere-hat-da-etwas-nicht-richtig-verstanden.html

[2] http://www.spiegel.de/politik/ausland/nato-gipfel-verzoegerung-bei-planung-fuer-afghanistan-trainingsmission-a-884864.html

[3] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/afghanistan-panetta-bis-zu-12-000-soldaten-nach-isaf-abzug-12091067.html

[4] http://www.dradio.de/aktuell/2019342/

[5] http://www.dradio.de/aktuell/1995442/

23. Februar 2013