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KRIEG/1582: Barbarei der Moderne - Auch Syrien soll fallen (SB)




Das Feuer des Krieges in Syrien zu schüren und zugleich einen regionalen Flächenbrand zu verhindern bedürfte einer Besonnenheit und Kontrolle, wie man sie mit den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten am allerwenigsten assoziieren kann. Sie ziehen seit Jahren eine Schneise von Tod und Zerstörung durch den Nahen und Mittleren Osten, die man in aller Nüchternheit als den größten Massenmord seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnen muß - sieht man einmal von den weltweiten Hungertoten ab, die den Stand menschheitsgeschichtlicher Entwicklung präziser widerspiegeln als die Hochtechnologie und exzessive Konsumtion der Metropolen, die sich aus ihrem Schicksal speisen. Der sogenannte Krieg gegen den Terror darf mit Fug und Recht als die schrecklichste menschengemachte Geißel der Gegenwart bezeichnet werden, führt er doch neben den genannten Todeszahlen Millionen von Flüchtlingen, verelendete Bevölkerungen, zerschlagene Staaten und vernichtete soziale Errungenschaften gezielt herbei. Die in diversen Spielarten propagierte Theorie vom kreativen Chaos unterfüttert eine Doktrin der Herrschaftssicherung auf Grundlage weitreichender Zerstörung von menschenwürdigen Lebensmöglichkeiten, staatlicher Infrastruktur und jahrhundertealten Kulturen. Wollte man von einer Barbarei der Moderne sprechen, so findet sie darin ihren augenfälligsten Ausdruck. In diesem Zusammenhang von Demokratie und Menschenrechten zu phantasieren, die es durchzusetzen gelte, bedarf einer historisch beispiellosen Okkupation und Deformation jener Sphäre, die Denken zu nennen zunehmend schwerfällt.

So vielschichtig die Interessenlagen der am syrischen Krieg beteiligten Akteure auch sein mögen und so differenziert ihre Motive und Zielsetzungen demzufolge ausgelotet werden müssen, zeichnet sich doch im Gesamtbild die Überlagerung ursprünglicher Sozialkämpfe um bessere Lebensverhältnisse durch ausländische Interventionen deutlich ab. Der Regimewechsel in Damaskus ist westlicherseits beschlossene Sache, und daß dafür kein Preis zu hoch ist, solange ihn nur andere tragen, lehren die Beispiele Libyen, Irak und Afghanistan, um nur die wichtigsten Kriegsschauplätze der jüngeren Vergangenheit zu nennen. Einzig gebremst durch das Veto Rußlands und Chinas, die sehr wohl wissen, daß dieser unendliche Kriegszug in letzter Konsequenz ihnen gilt, enthalten sich die NATO-Mächte bislang eines offenen Angriffskriegs in Syrien.

Angefangen von illegitimen politischen Zirkeln über mit Geld und Waffen ausgerüstete Söldnertruppen verschiedener Couleur bis hin zu militärischer Aufklärung und Spezialkommandos im Land reicht das Spektrum der Intervention, die verdeckt zu nennen die allgemein zugänglichen Informationen im Grunde verbieten. Wenn deutsche Spionageschiffe vor der Küste patrouillieren, um die Aufständischen mit Aufklärung zu versorgen, Agenten des BND in Syrien die Lage vor Ort rekognoszieren, an der Küste des Libanon, im Südosten der Türkei und aus Saudi-Arabien sowie Katar Waffen und Munition an bestimmte Fraktionen der Aufständischen geliefert werden und Bombenanschläge auf die vermutlich bestgesicherten Einrichtungen hochrangiger syrischer Sicherheitskreise die Handschrift westlicher Einsatzkräfte erkennen lassen, mutet selbst die Charakterisierung der Kampfhandlungen als Stellvertreterkrieg wie eine euphemistische Vernebelung der fremdgestützten Offensive zum Sturz der Regierung Präsident Baschar al-Assads an.

Unter den diversen Freibriefen, militärische Überfälle auf andere Länder zu legalisieren, stellt das im Jahr 2005 verankerte UNO-Statut der Responsibility to Protect ein herausragendes Werkzeug der ideologischen Überführung von Angriffskriegen als Mittel aggressiver Außenpolitik in eine weltpolizeiliche Zugriffsgewalt dar, gestützt von einer sogenannten Staatengemeinschaft, die sich de facto auf einen kleinen Kreis führender Militärmächte reduziert. Spricht die Charta der Vereinten Nationen mit dem Artikel 51 jeder Nation das Recht zu, sich gegen einen Angriff auf die eigene territoriale Integrität zu verteidigen, so gilt das aus Sicht westlicher Aggressoren, die ihre nationalen Sicherheitsinteressen auf den gesamten Globus expandieren, keinesfalls für ihre Opfer. Von den Balkankriegen bis nach Syrien zieht sich eine Kette unablässiger Modifikationen der Vorwände, Mandate, Rechtsgrundlagen und Praktiken exekutiver Willkür, während UNO und NATO in ihren machtrelevanten Aspekten immer enger zusammenrücken, Vollversammlung und nationale Parlamente in die Bedeutungslosigkeit gedrängt werden, sofern sie nicht als politische Maschinerie der Zustimmung fungieren.

Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk [1] beklagt der Außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, ein Versagen der "Weltgemeinschaft" bei der Sanktionierung Präsident Assads. Dieser versuche den Libanon und nun auch die Türkei mit militärischen Mitteln systematisch zu destabilisieren, wobei er sich sicher fühle und glaube, daß man nicht entschieden gegen ihn vorgehen werde. Die Chinesen und vor allem die Russen ließen es an der notwendigen Entschlußkraft vermissen und blockierten durch ihr Veto im Sicherheitsrat die UNO, die ihrer Aufgabe als Weltpolizei überhaupt nicht gerecht werde. Moskau habe sich "für die falsche Seite" entschieden und sichere russische Interessen in der Region auf Kosten der syrischen Zivilbevölkerung. Auch im Westen seien einige "zu blauäugig oder zu hoffnungsfroh" gewesen und müßten sich nun fragen, warum man nicht eingegriffen und "stärker auch auf Verantwortung gesetzt wie im Fall Libyen und anderswo" habe.

Von den jeder Schlüssigkeit entbehrenden Behauptungen, die Regierung in Damaskus eröffne einen Krieg gegen die Türkei und Rußland habe die Leiden der syrischen Zivilbevölkerung zu verantworten, einmal ganz abgesehen, unterstreicht Mißfelders Argumentation, in welchem Ausmaß westliche Kriegsrhetorik hegemonial das Feld besetzt und geradezu beiläufig erörtert, wie weltpolizeiliche Aufgaben zu erfüllen seien und wen man stärker in die Verantwortung nehmen müsse. Ob Rußland, China oder Assad, niemand soll sich dem Traum einer unipolaren neuen Weltordnung widersetzen, die nach Vollendung der Vorherrschaft in Gestalt ihrer Unumkehrbarkeit strebt.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1884356/

6. Oktober 2012