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KRIEG/1567: Neokolonialer Impetus - Dirk Niebels Teppich weckt finstere Assoziationen (SB)




Der Stein des Anstoßes, heißt es, sei in den für die Herkunftsregion typischen Farben Dunkelrot und Schwarz gehalten und liege im Eßzimmer Dirk Niebels in dessen privatem Berliner Wohnhaus. Rund 30 Kilo schwer soll das gute Stück sein und es wurde, wovon der Minister ausgeht, natürlich nicht mit Kinderarbeit hergestellt. Schließlich habe ihm ein Mitarbeiter der Botschaft in Kabul einen vertrauenswürdigen Händler empfohlen, bei dem man von der Einhaltung aller Sozial- und Umweltstandards ausgehen könne. Na also! Der Kauf eines Teppichs sei ihm, wie man sicher verstehen werde, aus Sicherheitsgründen auf normalem Weg nicht möglich gewesen. [1]

Die Geschichte drumherum ist bekannt: Dienstreise in Afghanistan, Souvenir gekauft, in der deutschen Botschaft zwischengelagert, später in BND-Flugzeug mit BND-Präsident Gerhard Schindler an Bord nach Berlin-Schönefeld geflogen, von Niebels Fahrer abgeholt, unverzollt weggeschafft. BND-Mitarbeiter verschnupft wegen Wechsel von Ernst Uhrlau zu Schindler, verpfeifen Niebel per anonymem Schreiben an Journalisten sowie Innenpolitiker Thomas Oppermann (SPD) und Wolfgang Neskovic (Die Linke). Schindler indigniert, ging angeblich von Gastgeschenk und daher Amtshilfe mit Dienstjet aus. Kanzlerin stinksauer, drängt Niebel, "so schnell und so vollständig wie möglich" das Notwendige in der Angelegenheit nachzuholen. Dumm gelaufen.

Minister Niebel gibt sich unbedarft-optimistisch: "Durch meinen Antrag auf Nachverzollung wird die ganze Angelegenheit beglichen." Und mit einer Prise Reue, aber Vorsicht, nur nicht übertreiben: "Ich habe mir vorzuwerfen, dass ich mich nicht selbst um die Dinge gekümmert habe. Das tut mir leid, vor allem weil ich den BND-Präsidenten in eine unangenehme Lage gebracht habe." Nach Angaben des für den Zoll zuständigen Finanzministeriums ist bei einer Selbstanzeige ein eigentlich automatisch fälliges Steuerstrafverfahren hinfällig. Soweit Entwarnung, doch die eigentliche Gefahr droht ohnehin von anderer Seite.

Der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Volker Beck, erklärt abwinkend, Deutschland habe "wichtigere Probleme als den fliegenden Teppich des Herrn Niebel". Der Minister solle im Bundestag alles aufklären, sich für Fehler gegebenenfalls entschuldigen und Zoll oder Gebühren nachentrichten. Basta! Wer bei jedem Hartz-IV-Empfänger jeder Angabe mißtraue und Prüfer hinterherschicke, solle sich an das halten, was er von anderen verlange. Beck, der nicht das bekanntlich von den Grünen mitfabrizierte Hartz-IV-Regime ablehnt, sondern einer fiktiven Gleichbehandlung das Wort redet, um von der real existierenden bundesrepublikanischen Ausbeutung, Verelendung und Ausgrenzung abzulenken, steckt den Kampfplatz um die Zukunft Niebels ab: Dem dürfte nun die Sorge schlaflose Nächte bereiten, wer ihm alles ans Zeug flicken könnte.

Da wäre beispielsweise der SPD-Bundestagsabgeordnete Sascha Raabe, der ihn schon der Vergangenheit wegen Verdachts auf Untreue angezeigt hat. Damals ging es um die Vergabe eines Postens an die FDP-Politikerin Gabriela Büssemaker, die ihre Vorfreude im Oktober 2011 öffentlich ausplauderte, bevor das offizielle Bewerbungsverfahren gelaufen war. Niebel könne nach der Teppichaffäre gegenüber Partnerländern keine Gute Regierungsführung mehr einfordern, legte Raabe nun in der aktuellen Affäre nach.

Kritiker hat der ehemalige Fallschirmjäger, der bei Auslandsreisen nie ohne die grüne Gebirgsjägerkappe auftritt, viele und das auch in den Reihen der Koalition. Wollte Dirk Niebel im Wahlkampf das Entwicklungsressort noch komplett abschaffen und in das Außenministerium eingliedern, so schwadronierte er später über die Ökonomisierung der Entwicklungszusammenarbeit. Aus Kreisen der Entwicklungshilfe wurde seine Berufung und Amtsführung wiederholt kritisiert. Man wirft ihm vor, nicht im Sinne der Dritte-Welt-Länder, sondern deutscher Wirtschaftsunternehmen zu agieren. Er brachte die umfassendste Reform der deutschen staatlichen Entwicklungshilfe relativ geräuschlos über die Bühne und verschmolz die drei Organisationen DED, Inwent und GTZ zur GIZ, die er dem Primat seiner Politik unterwarf.

Während dabei 700 Arbeitsplätze abgebaut wurden, wuchs sein eigenes Ministerium um 200 Stellen an. Er betrieb eine hemmungslose Vetternwirtschaft und besetzte besonders die Führungspositionen mit bislang entwicklungspolitisch unbefleckten FDP-Mitgliedern, um Parteifreunde und Funktionäre mit Vollversorgungsposten zu versehen, was selbst Fachpolitikern des Koalitionspartners über die Hutschnur ging. Als der Personalrat diese Einstellungspraxis beklagte, entzog Niebel ihm kurzerhand das seit 25 Jahren praktizierte Stimmrecht bei der Einstellung neuer Mitarbeiter. [2]

Soll, muß, wird Dirk Niebel zurücktreten? Bei Franz Josef Jung war es das Massaker von Kundus am 4. September 2009, das der Bundeswehrmission am Hindukusch endgültig die Maske vorgehaltener Sicherheitsleistung und Aufbauhilfe vom Gesicht riß. Nach einem Zeitungsbericht vom 26. November 2009 bot Jung, der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Kriegsminister war, sondern dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorstand, am folgenden Tag seinen Rücktritt an. Horst Köhler trat vom Amt des Bundespräsidenten zurück, nachdem seine öffentlich geäußerten Ansichten über deutsche Kriegsziele in aller Welt, gerade weil sie den Nagel auf den Kopf trafen, damals gar nicht gut ankamen. Diese Sorgen hatte der forsche Karl-Theodor zu Guttenberg längst nicht mehr, bis ihm die Universität Bayreuth im Zuge der Plagiatsaffäre um seine Dissertation den Doktorgrad im Februar 2011 aberkannte, worauf er sich Anfang März 2011 aus der Politik verabschiedete.

Was alle drei verbindet und nun auch Dirk Niebel als Klotz am Bein hängt ist die deutsche Kriegsführung in Afghanistan. Gerade weil es jetzt darum geht, die mit dem Teppichschmuggel fast zwangsläufig in Verbindung gebrachte neokoloniale Selbstherrlichkeit auf dem Rücken ausgebeuteter Afghanen vergessen zu machen, um alle maßgeblichen Fragen, Zweifel und Einwände gegen diesen und andere Kriege auszublenden, ist nicht auszuschließen, daß Niebel als Bauernopfer der Meute zum Fraß vorgeworfen wird. Wenngleich die aktuell gegen ihn erhobenen Vorwürfe gemessen an seiner Amtsführung geradezu grotesk nebensächlich anmuten, hat dieses Ablenkungsmanöver Methode: Wer interessiert sich schon für massakrierte, verstümmelte, traumatisierte, ausgeplünderte Afghanen, wenn man sich auf eine ministerielle Teppichrolle stürzen kann!

Fast zeitgleich mit der Teppichaffäre wurden bei einem NATO-Luftschlag in der Provinz Logar im Osten des Landes nach afghanischen Angaben 18 Zivilisten getötet, darunter vier Frauen und neun Kinder. Nachdem die Besatzungstruppen dieses neuerliche Massaker zunächst wie üblich mit der Behauptung, es gebe keine Hinweise auf getötete Zivilisten, geleugnet hatten, folgte eine taktische Kehrtwende. Da Präsident Hamid Karsai scharfe Kritik geübt und erklärt hatte, NATO-Operationen, die Zivilisten körperlichen und materiellen Schaden zufügten, könnten in keiner Weise gerechtfertigt, akzeptiert oder toleriert werden, hielt man ein Einlenken für ratsam. Immerhin hielt sich Karsai gerade zu Gesprächen in China auf, das sich nicht am Krieg beteiligt, aber großes Interesse an der Förderung von Bodenschätzen in Afghanistan hat und ein bilaterales Abkommen anstrebt.

Der Kommandeur der NATO-geführten ISAF-Truppe, John Allen, reiste persönlich nach Logar, um sich bei den Familien der Opfer zu entschuldigen und ihnen sein Beileid auszusprechen. Wie es hieß, habe der Kommandeur dabei von einer "herzzerreißenden Realität des Krieges" gesprochen. Ob außer Krokodilstränen auch Kompensationszahlungen vereinbart wurden, die für die betroffenen afghanischen Familien geradezu überlebensnotwendig, aus Sicht der Besatzungstruppen jedoch ein überaus preiswerter Ablaßhandel sind, ist nicht bekannt.

Praktisch wäre es schon: Abschlachten, abstreiten, und sollte man doch ertappt werden, entschuldigen und mit einem Trinkgeld abgelten, was uns wiederum zu Dirk Niebel bringt. Nicht, daß sich der schneidige Hauptmann der Reserve eigenhändig an Afghanen vergriffen hätte - schließlich ist er ja Minister für Entwicklung und Zusammenarbeit. Wäre da nur nicht ausgerechnet ein Teppich, noch dazu eingerollt in einem Flugzeug des BND, was schlimmsten Assoziationen aller Art Vorschub leistet.

Fußnoten:

[1] http://news.google.de/news/section?pz=1&cf=all&ned=de&topic=n&ict=ln

[2] http://www.fnp.de/fnp/nachrichten/kommentare/leitartikel-teppichtransport_rmn01.c.9901703.de.html

9. Juni 2012