Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1553: US-Soldatinnen an die Front - Emanzipation gegen sich selbst gekehrt (SB)



Überraschen kann diese Entwicklung nicht, war es doch lediglich eine Frage der Zeit, bis sich die herrschende Gesellschaftsordnung den Geschlechterkampf vollends einverleibte und als wohlfeiles Anpassungsregime wieder ausspie. Im US-Militär dürfen Soldatinnen nun auch regulär in kämpfenden Einheiten dienen, also endlich offiziell und in wachsendem Ausmaß unmittelbar am Unterjochen, Entwürdigen und Abschlachten aus ihrer Sicht minderwertiger menschlicher Spezietäten wie der irakischen oder afghanischen mitwirken. Es bedarf nicht der besonderen Erwägung, daß amerikanische Soldatinnen dabei unvermeidlich auch afghanische Zivilistinnen töten, um zu dem Schluß zu gelangen, daß auf diesem Arbeitsplatz von einer begrüßenswerten Emanzipation in einer männlich dominierten Welt schwerlich die Rede sein kann. Damit drängt sich geradezu die Frage auf, wo auf dem langen Marsch von der Morgenröte proklamierter Befreiung bis zum Abendrot einer falkengleichen amerikanischen Außenministerin oder einer deutschen Bundeskanzlerin als Geißel europäischer Hungerleider der emanzipatorische Anspruch verlorengegangen ist. Rasch stößt man auf die Abgründe des Gezänks, wer dies oder jenes unter welchen Umständen besser, gleich gut oder schlechter könne als der oder die andere, womit man sich in hitziger Begeisterung geradewegs in den Rachen spätkapitalistischer Restverwertung stürzt.

Die amerikanischen Militärs sehen das ganz pragmatisch und halten achselzuckend vor, daß das Verteidigungsministerium nach "über zehn Jahren Krieg, in denen sich Frauen als unentbehrlich erwiesen haben", zu der Entscheidung gelangt sei, ihnen mehr Einsatzmöglichkeiten zu bieten, so der Personalverantwortliche im Pentagon. Zwar dürfen Soldatinnen vorerst nicht in der Infanterie, Artillerie oder in Spezialeinheiten dienen, doch schließe man prinzipiell nicht aus, in Zukunft weitere Positionen für Frauen zu öffnen, wie Pentagon-Sprecher George Little ankündigte. Alles halb so wild, spielt man die aktuelle Aufregung mit dem zynischen Argument herunter, daß die alten Regeln einer modifizierten Praxis einfach nicht mehr entsprächen. Moderne Schlachtfelder hätten nun einmal "keine klaren Frontlinien und sichere Rückzugsbereiche, Operationen zur Unterstützung des Gefechts sind über Kampfgebiete zerstreut", hieß es in der Mitteilung des Kriegsministeriums. Diese Faktoren hätten es zuletzt in Afghanistan und im Irak immer schwieriger gemacht, die geltenden Vorgaben umzusetzen. [1]

Diese Regeln gestatteten US-Soldatinnen bislang, Positionen im Sanitätsbereich und bei der Aufklärung einzunehmen, doch durften sie ihre Tätigkeit nicht direkt im Kampfgeschehen ausführen. Auf diese Weise glaubte man, Frauen hinter der Front zu stationieren und aus Gefechten herauszuhalten. Wenngleich ihr Fronteinsatz damit offiziell verboten war, brachte es die Präsenz in kämpfenden Einheiten zwangsläufig mit sich, daß das schematische Muster einer strengen Trennung zwischen Gefecht und Etappe längst nicht mehr eingehalten wurde. Aktiv dienen in den US-Streitkräften rund 200.000 Soldatinnen und 1,2 Millionen Soldaten. Ab sofort dürfen sich Frauen nach offiziellen Angaben auf etwa 14.000 Stellen im Militär bewerben, die ihnen bislang verwehrt waren. Sie sollen nicht mehr nur in Brigaden, sondern auch in den kleineren Bataillonen dienen dürfen und damit häufiger an die Front kommen. Außerdem können sie als Panzermechanikerinnen oder an Raketenwerfern arbeiten. Die neue Richtlinie könnte binnen zwei Monaten in Kraft treten, sofern sich auch der Kongreß dafür ausspricht. [2]

US-Verteidigungsminister Leon Panetta glaubt, "dass dies nur der Anfang, nicht das Ende eines Prozesses ist", womit er gewissermaßen den längst erfolgten Dammbruch legitimiert und die Entuferung angewandter Waffengewalt in den richtigen Händen, die nach seinem Dafürhalten durchaus auch weibliche sein können, auf die Fahnen schreibt. Er kann nur verächtlich lachen, wenn religiös-konservative Präsidentschaftskandidaten wie der Republikaner Rick Santorum Frauen für ungeeignet halten, Dienst an der Waffe zu tun. "Das könnte zu sehr unangenehmen Situationen führen", so Santorum, weil Frauen Emotionen gehorchten, die nicht im Sinne der Mission seien. Meint er am Ende Mitleid mit dem Opfer im Visier, Zögern des Fingers am Abzug oder überwältigendes Grauen angesichts der Schrecken des Krieges im allgemeinen oder dem Blut an den eigenen Händen im besonderen? Besser ist da aus reaktionärer Politikersicht schon, nur Männer ins Gefecht zu schicken, die mit den Emotionen abwarten können, bis sie wieder zu Hause sind und mit ihrem Syndrom in dunkle Ecken abgeschoben werden können.

Panetta sagt, wohin der Hase laufen muß: Fakt ist, daß seit 2001 offiziellen Angaben zufolge rund 280.000 US-Soldatinnen im Irak und in Afghanistan im Einsatz waren, was immerhin zwölf Prozent aller dort stationierten US-Truppen entsprach. In diesem Zeitraum fanden in den beiden Ländern 144 Soldatinnen den Tod, 79 von ihnen in Kampfeinsätzen. Mehr Soldatinnen an der Front, mehr heimkehrende Leichensäcke weiblichen Inhalts, was in der Bevölkerung aus unterschiedlichen Gründen nicht gut ankommen dürfte. Vorsicht ist also geboten, nicht aus Rücksicht auf das Kanonenfutter wohlgemerkt, das man andernfalls nicht in den Krieg schicken würde, sondern wegen der gefürchteten Kriegsmüdigkeit als massenwirksames Pendant zur klassischen Dolchstoßlegende. Alles eine Frage der Gewöhnung, weiß der Minister, daß man den Schrecken von morgen durch ihre wohldosierte Ankündigung schon heute die Projektionsfläche für Ablehnung oder gar Widerstand nehmen kann.

Panetta tut, was sein Amt erfordert, und bereitet seine Landsleute auf das Unvermeidliche vor. Wer wie er im Terminkalender zu den nächsten Kriegen vorblättern kann, weiß nur zu gut, welches Menschenmaterial darin verheizt wird. Selbst wenn das Elend in den Vereinigten Staaten um sich greift, so daß die Uniform zahllosen Jugendlichen als einzig sichtbare Erwerbsform zu winken scheint, muß der Nachschub an frischen Rekruten im voraus gesichert werden. Lästige Einsatzregeln als Stellenbremse sollten dem nicht im Wege stehen. Während man also Militärs und Politikern ohne weiteres attestieren kann, daß sie ihre Emanzipation von Skrupeln zügig vorantreiben, muß eine griffige Formel erst noch gefunden werden, warum US-Soldatinnen an der Front ein emanzipatorischer Zugewinn oder gar Segen für die Menschheit sein sollen. Wie groß oder klein der Stiefel im Nacken ist, dürfte für den Unterdrückten keinen Unterschied machen.

Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/politik/ausland/article13861126/Erstmals-duerfen-US-Soldatinnen-an-die-Front.html

[2] http://derstandard.at/1328507380748/US-Militaer-erlaubt-Frauen-Kampfeinsaetze

11. Februar 2012