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KRIEG/1543: Operation Unified Protector - kein NATO-Einsatz ohne zivile Opfer (SB)



Der Mond ist ein Käse, die Erde eine Scheibe und die NATO hat bei ihrem Luftangriff auf Libyen keinerlei zivile Opfer zu verantworten, obwohl sie das Land sieben Monate lang mit Tausenden Bomben und Raketen angegriffen hat. 26.500 Einsätze flog die NATO, davon mehr als 9.700 mit Einsatz von Waffen. "We have carried out this operation very carefully, without confirmed civilian casualties" (Wir haben diese Operation sehr umsichtig ausgeführt, ohne bestätigte zivile Opfer), zitiert die "New York Times" [1] eine Erklärung des NATO-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen vom November.

Die US-Zeitung hat eigene Recherchen durchgeführt und kommt auf mindestens 40, vielleicht sogar über 70 zivile Opfer. Auch diese Zahlen, als Kritik am NATO-Einsatz vorgebracht, dürften stark geschönt sein. Anscheinend geht die "New York Times" von gesichert nachweisbaren Todesfällen aus und berücksichtigt beispielsweise nicht, daß die ostlibyschen Warlords bei ihrem Vormarsch nach Westen zur Jagd auf Schwarzafrikaner geblasen haben. Die wurden pauschal als Söldner Muammar al Gaddafis und damit als Feinde angesehen, was bedeutete, daß man sie umgebracht hat. Naturgemäß wurde darüber keine Statistik geführt, aber die Morde konnten nur geschehen, weil die NATO die staatlichen Stellen daran gehindert hat, die Schwarzafrikaner vor dem Mob zu beschützen. Des weiteren haben die Milizen furchtbare Rache an mutmaßlichen oder echten Gaddafi-Anhängern genommen, auch wenn sie keine Kämpfer waren. Bei einer seriösen Einschätzung der zivilen Opfer durch die NATO käme man auf mehrere zehntausend, da nicht nur die Menschen, die unmittelbar angegriffen und getötet wurden, gezählt werden dürften.

Es könnte durchaus sein, daß die NATO in anderen Kriegen noch mehr Zivilisten auf dem nicht vorhandenen Gewissen hat, aber das als besonderes Verdienst auszuweisen und sich selbst dafür einen Orden an die Brust zu heften, ist zynisch. Der Libyeneinsatz war anders strukturiert als die Kriege gegen Jugoslawien, Afghanistan und Irak, die maßgeblich von NATO-Ländern betrieben wurden. In Libyen konnte das Militärbündnis schalten und walten, wie es wollte, weil es faktisch keine Luftverteidigung gab. Rasmussens Erklärung, die NATO habe sehr umsichtig gehandelt, ist der Propaganda zuzuordnen. Jedenfalls hat der russische UN-Botschafter Vitaly Churkin eine gründliche Aufklärung hinsichtlich der tatsächlichen Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert. [2] Weil aber weder NATO noch die an die Macht gebombte Kriegsallianz, die über die geeigneten Informationen über zivile Opfer verfügen könnten, ein Interesse an einer unabhängigen Aufklärung haben, dürfte der Vorstoß Rußlands im Sande verlaufen.

Unterdessen wendet sich die NATO neuen "Aufgaben" zu. Syrien und Iran stehen offenbar bereits auf der Agenda, und vielleicht wird später einmal der Georgien-Krieg wieder aufgenommen. Für die NATO-Strategen kam der damalige Vorstoß des georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili, der im August 2008 die Armee entsandte, um Südossetien und Abchasien einzunehmen, wohl etwas voreilig. Rußland war vorbereitet, drehte den Spieß um und trieb die Georgier zurück. Die NATO rasselte zwar mit dem Säbel, kreuzte im Schwarzen Meer auf, jener strategisch empfindlichen Flanke Rußlands, aber einen direkten Waffengang mit dem früheren ideologischen Gegner und heutigen Weltmarktkonkurrenten wollte die NATO zu dem Zeitpunkt noch vermeiden. Damit ist das Thema längst nicht vom Tisch. Georgien wird immer mehr in die NATO-Strukturen eingebunden und könnte eines Tages von dem transatlantischen Militärpakt aufgenommen werden. Ein brisanter Konflikt mit Rußland wäre die Folge.

Die Taktrate, mit der zur Zeit weltweit kriegerische Konflikte vorbereitet oder vom Zaun gebrochen werden, wird schneller und schneller. Auch das ein Grund, warum nicht damit zu rechnen ist, daß die NATO ernsthaft dafür zur Rechenschaft gezogen wird, ausgerechnet bei der Verteidigung der libyschen Zivilbevölkerung Zivilisten in großer Zahl getötet oder deren Tod verschuldet zu haben. Der gewaltsame Regime Change in Libyen unter dem Deckmantel der US-Resolution 1973 wird um so mehr an allgemeiner Aufmerksamkeit verlieren und allenfalls schöngeredet, sobald sich die NATO als militärischer Arm des transatlantischen Imperialismus neue Kriegsschauplätze aussucht - in Erfüllung der Anfang der neunziger Jahre nach dem Kollaps des Warschauer Pakts getroffenen Entscheidung, sich nicht ebenfalls aufzulösen, sondern vielmehr neue Betätigungsfelder zu erschließen.



Anmerkungen:

[1] http://www.nytimes.com/2011/12/18/world/africa/scores-of-unintended-casualties-in-nato-war-in-libya.html?pagewanted=print

[2] http://www.presstv.ir/detail/216699.html

22. Dezember 2011