Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1510: Genugtuung der NATO-Regierungen - Libyenkrieg als Modellfall für weitere Siege (SB)



Die Genugtuung über den absehbaren Sieg der libyschen Rebellen über die Truppen der libyschen Regierung ist ganz auf der Seite der NATO. Nach fünf Monaten Krieg scheint sich ein zwar blutig erkämpfter, die NATO-Staaten jedoch in eine äußerst vorteilhafte Position manövrierender Sieg über Muammar al Gaddafi und seine Anhänger abzuzeichnen. Mit diesem Erfolg ist auch das Ende jedes sozialen, machtpolitisch nicht korrumpierbaren Aufstands in anderen arabischen Staaten eingeläutet.

"Der Fall Gaddafis, und sei er auch von der Nato herbeigebombt, würde den Aufständen in Syrien oder Jemen neuen Elan geben. Mehr noch als die Instant-Siege in Tunesien und Ägypten beweisen die langen sechs Monate in Libyen, dass Ausdauer am Ende belohnt wird, dass die Stürze von Ben-Ali und Mubarak keine regionalen Anomalien waren, dass die Götterdämmerung der Diktatoren gerade erst angebrochen ist". [1]

Was der Kommentator der Süddeutschen Zeitung (22.08.2011) ganz nonchalant in einem Nebensatz verpackt, ist der Kern des Konters jeder revolutionären Erhebung, die diesen Namen verdient hätte, weil sie die desolate Lage der Ausgebeuteten und Unterdrückten verbesserte. Indem die NATO die Revolte in Libyen frühzeitig kooptiert hat, hat sie deren anfangs beanspruchten demokratischen Charakter mit den Begehrlichkeiten künftiger Herrschaftsoptionen aufgeladen. Da die soziale Frage in Libyen in Anbetracht der relativ guten Versorgung der Bevölkerung niemals im Vordergrund stand, hat die Transformation friedlichen Protestes zu einem bewaffneten Bürgerkrieg diejenigen Kräfte nach oben gespült, denen es um politische Macht und materiellen Vorteil zu Gunsten ihrer Klientel geht. Wenn schon die Einigkeit der verschiedenen Rebellengruppen, deren Bruchlinien quer durch die libysche Stammesgesellschaft, das jeweilige Verhältnis zum Islam und die identitären Fraktionierungen der embryonalen Zivilgesellschaft laufen, nur mit größter Mühe aufrechtzuerhalten war, dann sind die Chancen auf einen nicht von autoritären und paternalistischen Imperativen usurpierten demokratischen Prozeß denkbar schlecht.

Nur wer bereit war, sich mit den imperialistischen Interessen der westlichen Interventionsmächte zu arrangieren, kann Anspruch auf eine führende Rolle in dem nun laut NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen zu schaffenden "neuen Libyen" erheben. Das Lob der Süddeutschen Zeitung auf das Durchhaltevermögen der Rebellen ist nicht umsonst mit dem Versprechen auf eine Belohnung versehen, die denjenigen winkt, die sich nicht davor scheuen, einen Deal mit der westlichen Hegemonialmacht noch vor Gelingen der Erhebung einzugehen. Der soziale und spontane Charakter der Aufstände in Tunesien und Ägypten ist den NATO-Regierungen demgegenüber mehr als suspekt, wie die langen Fristen verdeutlichen, die sie benötigten, diesen authentischen Formen des Widerstands Legitimität zuzusprechen. Daß es keine "Instant-Siege" waren, sondern verlustreich erkämpfte Etappen, belegt das ausschließlich auf den Erfolg des Sturzes von Diktatoren gerichtete Augenmerk der SZ. Der lange Atem, den die Bevölkerungen Tunesiens und Ägyptens benötigen, um die neokolonialistische Oligarchie in Politik und Produktion zu beseitigen, ist jedenfalls nicht gemeint, wenn sich diese deutsche Tageszeitung zur Sachwalterin des bewaffneten Widerstands macht.

So muß sich der Pathos des bürgerlichen Antitotalitarismus an personalisierten Feindbildern abarbeiten, anstatt die viel schwerer zu überwindenden Verhältnisse sozialer Repression beim Namen nennen zu können. Wer als Herold europäischer Kapitalinteressen nordafrikanische Revolten bejubelt, hat vor allem die Beherrschbarkeit des dortigen Wirtschaftsraums zugunsten eigener Ressourcensicherung und Verwertungschancen im Sinn. Die bereits bestätigte Bereitschaft der libyschen Rebellen, sich als Steigbügelhalter dieser Interessen zu verdingen, hat auch deshalb höchstes Lob verdient, weil man sich in Tunesien und Ägypten noch nicht in dieser Einhelligkeit dazu durchgerungen hat, alte Abhängigkeitsverhältnisse durch neue zu ersetzen. Auch scheint die Opposition in Syrien nach wie vor gewillt zu sein, sich nicht die NATO ins Land zu holen und damit alles aus der Hand zu geben, was eine selbstbestimmte Zukunft ermöglicht.

Was in Libyen gelingt, kann als faktischer Beweis der Überlegenheit militärischer Macht, gesellschaftliche Transformationsprozesse anzustoßen, desto besser vorgezeigt werden, als die Jubeljournaille diesen Erfolg als Sieg für Freiheit und Demokratie feiert. Responsibility to Protect (R2P) als humanitäre Legitimation der Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens funktioniert auf jeden Fall besser als der Global War on Terrorism (GWOT), in dem die US-geführte Koalition der Willigen den Irak mit dem desaströsen Ergebnis langfristiger Verelendung und Brutalisierung des Landes heimgesucht hat. Daß dieses Schicksal der libyschen Bevölkerung erspart bleibt, ist noch nicht ausgemacht, wie die Genugtuung eines George W. Bush belegt, dessen "Mission Accomplished"-Feier das Fanal der langjährigen Zerstörung des Iraks in keiner Weise minderte.

Ein NATO-Protektorat dürfte, wenn die Rebellen nicht sehr schnell zu geschlossener Handlungsfähigkeit gelangen, die nächste Station der Reorganisation Libyens als kostengünstiger Ressourcenlieferant der EU, als verlängerte Werkbank und Abnehmer der Ergebnisse europäischer Produktivität wie als aufrechterhaltene Bastion europäischer Flüchtlingsabwehr sein. Die Kapriolen eines Gaddafi, afrikanische Bündnisse gegen westliche Hegemonie zu bilden, den Zugang zum libyschen Öl nach eigener Maßgabe restriktiv und selektiv zu handhaben, relative strategische Autonomie gegenüber der NATO zu wahren und seine Herrschaft durch großzügige Sozialleistungen abzusichern, sollen durch die Fügsamkeit eines europäischen Peripheriestaates abgelöst werden, die auch für andere im Umbruch befindliche arabische Gesellschaften Vorbildcharakter haben soll.

Fußnote:

[1] http://www.dradio.de/presseschau/

22. August 2011