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KRIEG/1506: Der Krieg am Hindukusch ist keineswegs verloren (SB)



Wer die Kriegsführung und das Besatzungsregime der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten am Hindukusch für gescheitert erklärt, muß sich fragen lassen, ob er der Propaganda der westlichen Mächte allen Ernstes auf den Leim gegangen ist. Nur wenn man davon ausgeht, daß in Afghanistan etwas aufgebaut oder gefördert werden sollte, das die Lebensverhältnisse der Bevölkerung spürbar und dauerhaft verbessert, kann man bilanzieren, daß diese Ziele nicht nur verfehlt, sondern im Gegenteil die Bedingungen in den zehn Jahren der Okkupation gravierend verschlechtert worden sind. Wie überall, wo die NATO vom Säbelrasseln zum Angriffskrieg übergegangen ist, hat sie eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Der phänomenale Vielvölkerstaat Jugoslawien wurde zerschlagen, mit dem Irak eines der modernsten Staatswesen der arabischen Welt fragmentiert, Afghanistan auf ein Schlachtfeld rivalisierender Kriegsherrn zurückgeworfen.

Zweierlei wurde im ersten Jahrzehnt des "Kriegs gegen den Terror" erreicht. Da es sich um einen entgrenzten Feldzug gegen eine Chimäre handelt, die von den westlichen Mächten herangezüchtet und zugleich bedarfsgerecht überzeichnet wurde, kann es keinen Sieg im konventionellen Sinn geben. Der "Antiterrorkrieg" ist seinem Wesen nach eine Fiktion, die sich nach Belieben für alle gewünschten Verwendungszwecke modifizieren, vor allem aber uneingeschränkt fortsetzen läßt. Wo immer sich Kräfte regen, die dem Zugriff kapitalistischer Verwertung und imperialistischer Verfügung Steine in den Weg legen könnten, verortet man terroristische Umtriebe, die es auszurotten gilt. Wie ein Unkraut, das der Gärtner kleinhalten, aber nie ganz ausrotten kann, bedroht der Untermensch terroristischer Provenienz dauerhaft die westliche Zivilisation. Dies rechtfertigt alle militärischen Anstrengungen und explodierenden Kosten, die andernfalls den Kriegstreibern längst auf die eigenen Füße gefallen wären.

Zum zweiten ist es im Verlauf dieser Neuordnung der Welt gelungen, aus westlicher Sicht den Islam als Feindbild in einem Kampf der Kulturen zu verankern, der ideologisch an die Stelle des Klassenkampfs getreten ist und diesen als Hauptwiderspruchslage aus dem allgemeinen Diskurs verdrängt hat. Wie der Kommunismus im Kampf der Systeme niedergeworfen wurde, hat man das Wissen um den Antagonismus gesellschaftlicher Klassen zugunsten einer Bruchlinie zwischen unterschiedlichen Arten von Menschen entsorgt. Hier der aufgeklärte, weltoffene, libertäre Bürger der Moderne, dort der rückständige, verbohrte, fanatische Anhänger eines religiös-kulturellen Komplexes, der Feindseligkeit gegen Freiheit und Fortschritt predigt.

So ließ sich das Feindbild des Terroristen fließend in Islamfeindlichkeit überführen, was notwendig war, um den imperialistischen Raubzug und die geostrategische Offensive durch den Mittleren Osten bis nach Zentralasien zu legitimieren wie auch eine beständige innenpolitische Gefahrenlage zu konstruieren. Der Bundesbürger wäre es längst müde, die fadenscheinige Jagd nach Al Kaida für bare Münze zu nehmen oder sich um die Taliban zu scheren, die ihm ferner nicht sein könnten, säße ihm nicht der moslemische Nachbar im Nacken, der seine Andersartigkeit so geschickt unter einer Maske vorgeblicher Friedfertigkeit und Freundlichkeit zu verbergen versteht.

Da es wie immer und ewig um die einzig relevante Frage geht, ob der eigene Teller voll ist oder nicht, gilt es im Dienst der Bestands- und Herrschaftssicherung unablässig Beteiligung zu generieren. Die tiefste Überzeugung deutschen Bürgersinns, daß sein Besitzstand und Wohlergehen gegen Freßfeinde in aller Welt wie auch unerwünschte Mitesser in der Nachbarschaft verteidigt werden müsse, macht ihn zu Wachs in den Händen denkkontrollierender Ideologiebildung. Eingeschworen auf das Feindbild moslemischen Untermenschentums freut er sich über erfolgreiche Kampfeinsätze unserer Bundeswehr und liest mit Genugtuung seinen Sarrazin, der offen ausspricht, wie man mit Ausländern und deutschen Sozialschmarotzern zu verfahren hat.

Der Krieg am Hindukusch ist folglich keineswegs verloren, was immer man von dort an abgeschlachteten Zivilisten, eskalierenden Anschlägen und einer verheerenden Sicherheitslage hört. Erstens sind die Amerikaner in Afghanistan eingefallen, um sich mit einigen Stützpunkten dauerhaft dort festzusetzen, wenn das Gros der Kampftruppen eines Tages wieder abgezogen ist. Dieses Kriegsziel ist ebenso erreicht wie zum andern die Exekution der Machtdemonstration, daß der mit Abstand gewaltigste Militärkomplex der Welt über unendliche Ressourcen verfügt, sich unablässig weiter aufzurüsten und unerhört kostspielige Interventionen durchzutragen. Mit ihrer immensen Staatsverschuldung, die auf die Gläubigerländer umgelastet wird, reizen die Vereinigten Staaten ihre Suprematie bis an die Grenzen expansiver Überstreckung aus, da sich jede für den Afghanistankrieg verpulverte Milliarde als lohnende Investition in die eigene Vormachtstellung erweist. Wer über die größtmögliche Zerstörungsgewalt gebietet, gilt noch immer als sicherster Garant jenes Zukunftsversprechens, das alle erlebten Leiden und Nöte zugunsten der Hoffnung vergessen macht, sich an den Brocken zu goutieren, die von der Tafel des größten Räubers abfallen mögen.

Es gibt also bessere Gründe, gegen den Afghanistankrieg und Konsorten Stellung zu beziehen, als jene Krokodilstränen angesichts eines sinnlosen Kriegs oder einer drohenden Niederlage, die um so sicherer einer für sinnvoll erachteten Kriegsführung und den daran geknüpften Siegesphantasien den Boden bereiten.

30. Juli 2011