Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → KOMMENTAR

KRIEG/1487: Drohnen den Menschenrechtskriegern - Blutzoll den Libyern (SB)



Mit dem Drohnenkrieg tritt die bellizistische Vormachtsicherung hochgerüsteter Industriestaaten in die Sphäre von Allmachtsambitionen beflügelter Zugriffsgewalt ein. Von einer Konsole irgendwo im Mittleren Westen der USA aus potentielle Feinde an viele tausend Kilometer entfernten Schauplätzen über Stunden und Tage zu beobachten, um irgendwann wie aus heiterem Himmel blitzschnell und gewaltig zuzuschlagen, scheint einen alten Traum der Kriegsführung zu realisieren, ohne eigene Verluste, ja unangreifbar für den Feind und ungehindert sein tödliches Handwerk zu verrichten. Die Kombination von ungeheurer Distanz zwischen Täter und Opfer auf der einen und der allgegenwärtigen und distanzlosen Bedrohung durch dieses übermächtige Kriegsgerät auf der anderen Seite scheidet die beiden Seiten dieses Konflikts in so hohem Maße, als blicke ein göttliches Wesen auf eine unwerte Kreatur herab.

Natürlich könnte man ebensogut argumentieren, es handle sich um die denkbar feigste Form der Kriegsführung, da es der Angreifer nicht einmal wage, auch nur das Land seines Feindes zu betreten, geschweige denn sich ihm im offenen Kampf zu stellen. Indessen ist Moral, gerade weil sie bis zum Exzeß strapaziert wird, um die modernen imperialistischen Angriffskriege zu legitimieren, völlig ungeeignet, das Phänomen des Drohnenkriegs zu analysieren, geschweige denn ihm etwas entgegenzusetzen.

Die untrennbar mit ihm verknüpfte Ideologie, es handle sich um eine Form präziser Kriegsführung, die Zielpersonen exakt lokalisiere und ausschalte, womit die Zahl der Opfer begrenzt und der Schaden minimiert werde, ist reine Fiktion. Im Hinblick auf den Angriffskrieg der USA gegen Pakistan gehen unterschiedliche Quellen davon aus, daß je nach Angaben bis zu 70 Prozent aller Opfer von Drohnenangriffen unbeteiligte Zivilisten sind. Von Präzision der Operation und Schutz der Menschen im Umfeld kann folglich keine Rede sein, wie überhaupt die Propaganda, man bekämpfe keineswegs die einheimische Bevölkerung, sondern ausschließlich bestimmte Personen und Fraktionen bei näherer Überprüfung nicht das geringste mit der Realität zu tun hat. Alle Toten kurzerhand zu Insurgenten zu erklären, ist zwar gängige Praxis, doch nicht minder unglaubwürdig wie irgendeine andere Lügengeschichte zur Rechtfertigung des Angriffskrieges.

De facto führt gerade die Kriegsführung aus großer Entfernung dazu, daß die tatsächlichen Verhältnisse vor Ort häufig falsch eingeschätzt und unbeteiligte Menschen massakriert werden. Der Operator an der Konsole hat keinen direkten Kontakt zum Schauplatz seines Anschlags und oftmals nur partielle oder gar keine Rückmeldung von den eigenen Streitkräften, die seine Beobachtungen verifizieren oder in Frage stellen. Sofern man im Zusammenhang eines Angriffskriegs überhaupt von Fehlentscheidungen sprechen will, schließen Drohnen diese keineswegs aus, sondern befördern sie nicht selten sogar. Aus Sicht der weit überlegenen Macht, die über diese Technologie gebietet, spielt es keine Rolle, ob sie Dutzende oder Hunderte beim Versuch abschlachtet, eine bestimmte Zielperson auszuschalten.

Zudem ist zu fragen, ob es sich bei der Behauptung, man wolle möglichst sauber zwischen feindlichen Akteuren und schützenswerten Zivilisten unterscheiden, nicht grundsätzlich um ein Propagandakonstrukt handelt, das insbesondere an der Heimatfront der kriegführenden Mächte Zustimmung generieren und in diversen Gremien den Angriffskrieg legitimieren soll. Wer aus der Luft eine Hellfire-Rakete abfeuert, die am Boden eine gewaltige Zerstörungskraft entfaltet, tut dies in der Absicht, in einem entsprechenden Umkreis alles zu vernichten. Aus dem pakistanischen Drohnenkrieg ist bekannt und dokumentiert, daß bestimmte hochrangige Kommandeure der Insurgenten immer wieder mit Raketen beschossen werden, wobei die Angreifer unbeteiligte Dorfbewohner zu Hunderten umbringen.

Ein weiteres wesentliches Merkmal des Drohnenkriegs ist die Ausweitung der willkürlichen Ermordung einzelner Personen bis hin zu Staatsführern, womit Recht und Gesetz ihren Charakter als Werkzeug jener Macht, die mit ihrer Gewalt die Wahrung und Durchsetzung der Gesetzgebung und Rechtsprechung garantiert, offen zu Tage treten lassen. Daß es einer breiten Öffentlichkeit heute keinerlei Kopfschmerzen bereitet, wenn der Präsident der USA in aller Offenheit einen weltweit geltenden Mordauftrag erteilt und damit so etwas wie einen Rechtsweg explizit für obsolet erklärt, unterstreicht den dramatischen Verfall herkömmlichen Rechtsverständnisses in der Ära des sogenannten Kriegs gegen den Terror.

Bewaffnete Drohnen beim Angriffskrieg der verbündeten Mächte in Libyen einzusetzen, ist eine Konsequenz des Bestrebens, den entufernden Bodenkrieg zu vermeiden und dennoch das erklärte Ziel des Regimewechsels zu erreichen. Zweifellos hoffen die beteiligten Strategen, erfolgreicher zu sein als seinerzeit Ronald Reagan und den libyschen Revolutionsführer Muammar el-Gaddafi mit einem Mordanschlag aus der Luft töten zu können. Ebenso sicher dürfte sein, daß bei dem Versuch, den Staatschef aufzuspüren und umzubringen, zahllose Menschen ihr Leben lassen müssen. Das gilt auch für den Drohneneinsatz in umkämpften Gebieten, bei denen es sich in erster Linie um Städte handelt. Welch verheerende Wirkung Raketenangriffe in dicht bebauten Wohnvierteln entfalten, kann man sich ausmalen.

Wie US-Verteidigungsminister Robert Gates und der stellvertretende Generalstabschef James Cartwright bei der Ankündigung des Drohneneinsatzes bekanntgaben, setzt man unbemannte Fluggeräte schon geraume Zeit zu Beobachtungszwecken in Libyen ein. Ab sofort würden Predator-Drohnen mit Hellfire-Raketen bestückt, womit die USA ihre Beteiligung an der Intervention nicht wesentlich ausweiteten, sondern den Handlungsspielraum der NATO in begrenztem Umfang ergänzten, wie es euphemistisch hieß. Unerwähnt ließen die beiden natürlich, daß diese Entscheidung von höchster Stelle ohne jede öffentliche Diskussion, geschweige denn eine Debatte im Kongreß gefällt wurde, so daß sich Art und Umfang der Kriegsbeteiligung weiterhin jeder demokratischen Kontrolle entziehen.

Im Jahr 1976 reagierte US-Präsident Gerald Ford auf weltweit erhobenen Protest gegen die Mordkomplotte der CIA mit der Anweisung an den Auslandsgeheimdienst, diese Praxis auszusetzen. George W. Bush erklärte diese Einschränkung in Hinblick auf den globalen "Antiterrorkrieg" für hinfällig und Barack Obama ergänzt dies nun um die Variante des legalisierten Mordauftrags unter dem Vorwand humanitärer Intervention. [1]

Seit Beginn der militärischen Intervention in Libyen vor gut einem Monat wird die Ermordung Gaddafis von der politischen und militärischen Führung der westlichen Mächte wie auch den Medien mehr oder minder offen diskutiert. Obama selbst warf die Frage im Rahmen seiner ersten Zusammenkunft mit führenden Repräsentanten des Kongresses zum Thema Libyenkrieg am 25. März auf. Wie nach dem Treffen verlautete, sei der Regimewechsel beschlossene Sache, doch werde man nichts unternehmen, um ihn auf diese Weise direkt herbeizuführen. Einen Monat später versicherte Pentagonsprecher Vizeadmiral William Gortney, er könne garantieren, daß Gaddafi nicht auf der Liste der Zielpersonen stehe. Nachdem die Luftangriffe ihr Ziel verfehlt haben und der Vormarsch der Aufständischen ins Stocken geraten ist, sind die Erklärungen von gestern Schall und Rauch. Ähnlich verläuft die vor allem für die Öffentlichkeit inszenierte Debatte in Großbritannien, wo Verteidigungsminister Liam Fox die Ermordung Gaddafis als Option in Erwägung zieht, während die Militärführung diese Möglichkeit bislang ausschließt.

Unterdessen verdichten sich Spekulationen, daß die Entsendung von rund 600 Royal Marines zu amphibischen Landungsmanövern auf Zypern der direkten Vorbereitung auf den Einsatz in Libyen dient. Diese Truppe ist Teil der neuen britischen Response Force Task Group, auch bekannt als Operation Cougar. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bezeichnete das Manöver auf Zypern als Routineübung und schloß zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen Einsatz im Rahmen der Operation Cougar hinsichtlich Libyens aus, womit er zugleich das Gegenteil offenhielt.

Die Europäische Union hat inzwischen detaillierte Pläne ausgearbeitet, eine 1000 Mann starke Kampftruppe zu entsenden, um unter dem Banner humanitärer Hilfe die Hafenstadt Misratah zu sichern. London, Paris und Italien schicken Militärberater nach Bengasi, Präsident Sarkozy hat Mustafa Abdel Jalil und dessen Nationalem Übergangsrat bei einem Treffen in der französischen Hauptstadt verstärkte Bombenangriffe der sechs beteiligten NATO-Staaten zugesagt. So haben die westlichen Mächte die Weichen für einen langen und opferreichen Bodenkrieg gestellt, zu dem die US-Regierung nun ihre Kampfdrohnen beisteuert, um die eigenen Verluste zu minimieren und das Blutbad den Libyern aufzulasten.

Anmerkungen:

[1] Obama sends drones to Libya as Britain readies troops (22.04.11)
World Socialist Web Site

23. April 2011