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KRIEG/1477: Menschenrechtskrieger fordern "Solidarität" ... mit den Starken (SB)



Es ist Krieg, und Deutschland ist nicht dabei. Jäh aufgehalten auf dem Weg zur Großmacht, einmal mehr aufs peinlichste bloßgestellt als Hasenfuß der NATO, schäumt es aus den Redaktionen der Konzernpresse. Wenn es um die Rolle Deutschlands in der Welt geht, sind kleinliche Streitereien um innenpolitische Themen vergessen. Man ist sich über die Grenzen angeblicher Medienvielfalt einig darin, daß die Bundesregierung in diesem Fall insbesondere deshalb versagt hat, weil sie einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat anstrebt. Will Außenminister Guido Westerwelle die Geißelung spätrömischer Verhältnisse unter den Ärmsten des Landes nun zur antiimperialen Selbstbehauptung eines von angloamerikanischen Menschenrechtlern in die Pflicht genommenen Deutschland überhöhen?

"Auf Westerwelles Geheiß hin hat Deutschland im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einer Flugverbotszone über Libyen seine Zustimmung versagt. Erstmals seit ihrem Bestehen hat die Bundesrepublik somit jenen Anker gelichtet, der sie an den Westen bindet. Kein Außenminister vor Westerwelle hat es so weit kommen lassen", stellt die Süddeutsche Zeitung am 19. März atemlos fest, und die nicht minder empörte Welt sekundiert: "Wann hat es das je in der Geschichte gegeben? Eine herbeigesehnte Intervention! Und die Deutschen? Sitzen in einem Boot mit Russland und China. Großartig!" Auch der Kölner Stadt-Anzeiger versteht die Bundesregierung nicht mehr: "Ausgerechnet Deutschland, das gern mit dem 'Nie-wieder!'- Zeigefinger herumstolziert, hat nun Bedenken, Gewalt gegen ein Regime anzuwenden, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit begeht". Die Fuldaer Zeitung sieht gleichentags durch die mangelnde deutsche Kriegsbereitschaft gar "die Glaubwürdigkeit des Westens in einer veränderten arabischen Welt" in Frage gestellt.

Deutsche Redaktionen schießen, wenn ein Krieg, den sie vorbereiten, ohne die Bundeswehr stattfindet, fast noch schärfer gegen die eigene Führung als den zu beseitigenden Bösewicht. Dabei ist die alles anderes als kriegsunwillig, wie Merkels Reise zum Treffen der Anti-Libyen-Allianz in Paris und das Angebot, mehr Kriegslasten in Afghanistan zu übernehmen, gezeigt haben. Sie scheint nur in diesem einen Fall nicht so recht an den Nutzen eines Krieges zu glauben, der von den europäischen Kolonialmächten, die den Maghreb und den Nahen Osten dominierten, vorangetrieben wird. Der Bundesregierung geht es um die deutsche Vormachtstellung, so daß die Zurückhaltung in diesem Fall vom Vorspreschen in anderen Fällen kriegerischer Aggression nicht zu trennen ist.

Mit Angriff auf die Truppen der amtierenden libyschen Regierung hat die sogenannte internationale Gemeinschaft Partei in einem Bürgerkrieg bezogen, in dem vieles unabsehbar ist. Die Frage, ob die Angriffe der Regierungstruppen auf die Rebellen tatsächlich so umfassend waren, daß ein großes Massaker verhindert werden muß, ist ebenso ungeklärt wie die politische Verankerung der Aufständischen. So muß es sich im relativ wohlhabenden Libyen keineswegs, wie in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten, um eine soziale Erhebung handeln, sondern dem Konflikt können auch tribalistische und oligarchische Konkurrenzverhältnisse zugrundeliegen. Dennoch wird der Eindruck, bei den gutbewaffneten Rebellen handelte es sich um die besseren, weil freiheitsbewegten Menschen, wider alle Zweifel propagiert. Nur so kann die NATO ihren Stiefel in die Tür einer historischen Transformation bekommen, die die Regierungen Frankreichs, Britanniens und der USA ungleich mehr umtreibt als die Frage, ob der "verrückte Hund des Nahen Ostens", wie schon Ronald Reagan Muammar al Gaddhafi schimpfte, um ihm eine Aversionstherapie nach Art des Weißen Hauses zu verpassen, seine Bevölkerung malträtiert. Wäre dies ein relevanter Interventionsgrund, dann hätten über dem Libanon 2006, über Gaza 2008/2009 ebenso Flugverbotszonen gegen Israels Luftwaffe verhängt werden müssen. Die großflächige Zerstörung beider Gebiete mit jeweils weit über tausend Toten erfreute sich hingegen ebenso der Akzeptanz der sogenannten internationalen Gemeinschaft wie die Unterdrückung der Bevölkerungen Saudi-Arabiens, Bahrains, Jemens, der Sahrauis in der Westsahara und der Kurden in der Türkei.

Die Bereitschaft, sich mit kriegerischen Mitteln zu weltpolitischem Einfluß aufzuschwingen, soll nicht an Petitessen wie der folgerichtigen Anwendung moralischer Maßstäbe scheitern, meint auch der Vorsitzende im Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestags, der grüne Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs. Im Deutschlandfunk am 20. März 2011 gefragt, ob seine Forderung nach Kriegsbeteiligung der Bundeswehr in Libyen nicht auch für Bahrein, Jemen, für die Elfenbeinküste und den Kongo gelten müßte, gab Koenigs dem Publikum eine Kostprobe vom Machtverständnis der neuen Herren: "Nein. Es heißt ja nicht, daß, wenn irgendwo Rechtsverletzungen sind, man überall, wo man nicht eingreifen kann, auch eingreifen muß." Man müsse dies nicht, weil, so der ehemalige Besatzungsbürokrat im Kosovo und in Afghanistan, "es in manchen Bereichen nicht geht. Hier in Libyen, wo ein Diktator vollkommen isoliert ist von allen Seiten, ist das aber möglich."

Koenigs ist nicht der erste europäische Politiker, der die Anwendung der vielzitierten "doppelten Standards", die es möglich machen, in Pakistan Zivilisten umzubringen und den Taliban in Afghanistan nämliches vorzuwerfen, Jugoslawien zu überfallen und seinen Staatschef dafür vor Gericht zu stellen, als Ausweis besonderer Handlungsfähigkeit vor sich hertragen. In letzter Konsequenz bestätigt er damit den Omnipotenzanspruch der NATO-Staaten, zu tun und und zu lassen, was ihnen beliebt, also anderen Regierungen Wertmaßstäbe aufzuerlegen, die für das eigene Verhalten keine Gültigkeit besitzen. Die berühmte Maßgabe des NS-Kronjuristen Carl Schmitt "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", nimmt in der Kriegslogik der westlichen Wertegemeinschaft die Gestalt einer Ermächtigungsdoktrin an, die mit der Anwendung des Rechts bei gleichzeitiger Außerkraftsetzung desselben einen Widerspruch harmonisiert, der in der zivilisatorischen Suprematie des christlichen Westens sein ethisches Firmament findet.

Heute kann der Genosse Joseph Fischers und Daniel Cohn-Bendits vom Revolutionären Kampf gemeinsam mit Lothar Bisky ein Hoch auf die Solidarität der Herrschenden ausbringen, das die "Peinlichkeit" beim Gipfel in Paris, wo die Bundeskanzlerin "völlig isoliert" war, wo sie "die europäische und NATO-Solidarität gebrochen" hat, durch ein vorbehaltloses Heil auf den gerechten Krieg wieder ausbügelt. Wenn die Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens abgeschlossen und die Bevölkerungen um so effizienter den Verwertungsinteressen des europäischen Kapitals unterworfen sind, dann läßt der Lohn der Gerechten nicht auf sich warten.

20. März 2011