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KRIEG/1465: London und Paris besiegeln militärischen Schulterschluß (SB)



Angesichts der weltweiten kapitalistischen Systemkrise und Schreckensszenarien dramatisch schwindender Ressourcen rüsten die Führungsmächte auf, um den permanenten bellizistischen Aggressionsdruck zu forcieren, der ihre Ausgangsposition in den künftigen Kriegen entscheidend verbessern soll. Waffengewalt als unabdingbare und entscheidende Grundlage ökonomischer und politischer Macht fordert und rechtfertigt jede Anstrengung, einen Vorsprung an militärischer Durchsetzungsfähigkeit zu generieren und zu perpetuieren, der allein die erfolgreiche Positionierung in der raubgestützten Wirtschaftsweise garantiert. Im Ringen um langfristige wenn nicht gar unumkehrbare Vorherrschaft formieren sich Allianzen, welche die erbitterte Konkurrenz unablässigen Vorteilsstrebens nicht etwa aussetzen, sondern innerhalb des geschlossenen Pakts regulieren, um sie desto geballter gegen gemeinsame Feinde in Stellung zu bringen.

Da es sich grundsätzlich um ein konkurrenzgetriebenes und folglich von Mißtrauen durchsetztes Gefüge handelt, herrscht der Zwang zur individuellen Absicherung ebenso vor wie der Aufbau paralleler Strukturen und Subsysteme. Wenngleich die NATO als stärkstes Militärbündnis der Welt ihre Kriege unablässig vorantreibt, ist sie im Innern keineswegs ein Monolith konsistenter Interessen. So hat sich die Europäische Union mit dem Lissabonvertrag auch als Militärbündnis definiert, das seine eigenen Streitkräfte aufbaut und den Bündnisfall über die Verteidigung hinaus auf die Konfliktsituation eines Mitglieds erweitert hat. Ungeachtet des Bestrebens, eine gemeinsame europäische Waffenfähigkeit aufzubauen, schließen die führenden Einzelstaaten weitere partielle Abkommen zur militärischen Zusammenarbeit. Wenn Deutschland und Frankreich eine gemeinsame feste Brigade ins Leben rufen, ist dies ein handfestes Signal kerneuropäischen Dominanzanspruchs.

England und Frankreich blicken auf eine jahrhundertelange Geschichte erbitterter Auseinandersetzungen zurück. Die normannische Eroberung von 1066, Agincourt, Trafalgar und zahllose weitere denkwürdige und unbekannte Schlachtfelder zeugen von einer Intimfeindschaft, die das Verhältnis der Nachbarländer geprägt hat. Inzwischen ist es jedoch fast 200 Jahre her, daß man beim Sieg Wellingtons über Napoleon 1815 in Waterloo zum letzten Mal gegeneinander Krieg geführt hat. Die "entente cordiale", wie das 1904 vorwiegend gegen Deutschland geschlossene Militärbündnis hieß, besiegelte einen tendentiellen Gleichschritt der beiden Länder, der die gegenseitigen Konflikte und Ressentiments zurückstellte, um nationalstaatliche Interessen gemeinsam gegen Dritte zu verfechten. Auch im Zweiten Weltkrieg kämpften Briten und Franzosen zusammen gegen Deutsche, was Frankreich jedoch in den Nachkriegsjahren nicht davon abhielt, anstelle einer Integration in die NATO ein eigenes Militärpotential aufzubauen. Obgleich ihre Kolonialreiche längst Geschichte sind, wachen London und Paris nach wie vor über ihren Weltmachtstatus. Als die Argentinier im Falklandkrieg 1982 mit französischen Exocet-Raketen auf die britische Flotte schossen, flackerte die Rivalität kurzzeitig wieder auf. Hauptlinie blieben indessen die im Laufe der Jahrzehnte immer wieder geführten Gespräche über eine Kooperation, die freilich zumeist erfolglos verliefen. So verkündeten Tony Blair und Jacques Chirac 1998 in St. Malo eine "neue Ära" in den militärischen Beziehungen, die jedoch vorerst nicht zum Tragen kam, als sich Blair im Irakkrieg bedingungslos auf die Seite der USA schlug, während Chirac einen der führenden europäischen Kritiker mimte.

Weltweit vorgetragene Machtpolitik mußte nicht zuletzt der eigenen Bevölkerung schmackhaft gemacht werden, der man in den Zeiten des kalten Krieges die Doktrin eingebleut hatte, das westliche Bündnis sei ein Verteidigungspakt gegen einen drohenden Angriff der Ostblockstaaten. Daß man die eigene Sicherheit am Hindukusch, im Irak, am Horn von Afrika und in diversen weiteren Weltregionen zu verteidigen habe und dabei beträchtliche Opfer bringen müsse, war keine Selbstverständlichkeit und mußte Schritt für Schritt in verdaulichen Portionen verabreicht werden.

Nun haben Frankreich und Britannien in London eine "strategische Partnerschaft" mit dem Ziel einer engeren militärischen Zusammenarbeit geschlossen, die der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy bei Unterzeichnung der Abkommen als beispielloses historisches Ereignis rühmte. Man könne die Probleme des 21. Jahrhunderts nicht mehr mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts angehen. Heute eröffne man "ein neues Kapitel in unserer langen Geschichte der Zusammenarbeit", stieß der britische Premier David Cameron ins selbe Horn. Auf Grundlage dieser Verträge werde man die Bürger "in dem globalen Zeitalter der Unsicherheit, in dem wir leben", besser schützen.

"Gemeinsame Werte lassen sich besser gemeinsam verteidigen", faßte Sarkozy die beiderseitige Auffassung zusammen, daß künftig Bedrohungen der vitalen Interessen des einen Landes kaum denkbar seien, ohne daß nicht auch die Interessen des anderen mitbetroffen sind. Da Franzosen und Briten rund die Hälfte des Truppenarsenals in der Europäischen Union stellen und zusammen auch 50 Prozent der Gesamtausgaben für die Verteidigung innerhalb der Gemeinschaft aufbringen, stellt das auf 50 Jahre angelegte Abkommen einen engen Schulterschluß der beiden führenden Militärmächte Europas dar.

Der "Vertrag zur Verteidigungs- und Sicherheitskooperation" wurde in zwei gesonderten Papieren unterzeichnet. Kernpunkt der ersten Vereinbarung ist die Aufstellung einer schnellen Eingreifbrigade in Stärke von beiderseits 5.000 Mann aller Waffengattungen, die wechselnd unter französischem und britischem Kommando operieren soll. Synergie erstrebt man auch bei der Nutzung von Flugzeugträgern, von denen jeweils mindestens einer beiden Militärkräften zur Verfügung stehen soll. Die beiden britischen Träger werden so umgerüstet, daß auch französische Kampfbomber auf ihnen landen können. Ferner soll die britische Auftankkapazität bei Flugzeugen vom Typ A400M der französischen Luftwaffe zur Verfügung gestellt werden.

Der zweite Vertrag betrifft eine Kooperation im Bereich der Nuklearwaffen. Die beiden einzigen Atomwaffenmächte unter den europäischen NATO-Mitgliedern wollen ihre Arsenale künftig gemeinsam warten und testen. Im englischen Forschungszentrum in Aldermaston, Berkshire, sollen Technologien für die Sicherung und Effizienz der Sprengköpfe entwickelt werden, die dann im ostfranzösischen Valduc per Computersimulation auf ihre Einsatzfähigkeit hin geprüft werden.

Nicht zuletzt soll die Zusammenarbeit auch die Rüstungsindustrie beider Länder inspirieren, auf dem Sektor komplexer Waffensysteme, bei der Entwicklung unbemannter Flugkörper, der Kommunikation militärischer Satelliten sowie bei Maßnahmen im Kampf gegen maritime Verminung und im Cyber-War initiativ zu werden und ihre Kapazitäten zu bündeln.

Wie Cameron betonte, gehe es weder um eine europäische Armee, noch darum, die atomare Abschreckung zu teilen. Die beiden Partner würden stets eigenständige Nationen und in der Lage bleiben, bei Bedarf ihre Armeen in ihrem nationalen Interesse aufzustellen. Sarkozy wies darauf hin, daß durch die stärkere Zusammenarbeit zwischen Briten und Franzosen andere Verbindungen wie etwa zwischen Paris und Berlin keinesfalls geschwächt würden.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte die britisch-französischen Pläne bereits im Oktober begrüßt und erklärt, in Zeiten schrumpfender Verteidigungshaushalte könne diese Zusammenarbeit ein Modell für die NATO sein. Auch die US-Regierung unterstützt die neue Partnerschaft, zumal Frankreich im vergangenen Jahr in die NATO zurückgekehrt ist. Für das Pentagon genießt die Kampffähigkeit der europäischen Partner hohe Priorität, die immer stärker in den weltweiten Kriegszug einbezogen werden. In diesem Zusammenhang liefern die vielzitierten Sparzwänge der Verteidigungsminister die Kulisse für einen Umbau der Armeen für die künftigen Kriege, der den Bürgern unter Verweis auf eine angeblich vernünftigere und kostengünstigere Ausstattung schmackhaft gemacht wird. Auch das nun geschlossene Abkommen zwischen Frankreich und Britannien wird im Spiegel der internationalen Presse vor allem als Vernunftehe oder vom eingeschränkten Budget diktierte Notlösung kolportiert, so daß die Frage vollständig ausgeblendet bleibt, gegen wen die beiden Länder künftig gemeinsam Krieg führen wollen.

4. November 2010