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KRIEG/1447: Petraeus eröffnet Propagandaoffensive an der kriegsmüden Heimatfront (SB)



Sechs Wochen hat sich General David Petraeus seit seiner Ernennung zum Oberkommandierenden der Besatzungstruppen in Afghanistan Zeit genommen, um die Geschütze für seine erste Offensive in Stellung zu bringen. Am Wochenende überzog er die Heimatfront mit einem medialen Trommelfeuer, das die kriegsmüde Öffentlichkeit in den Herkunftsländern der Okkupationsmächte sturmreif schießen und die Bastionen pseudokritischer Vorbehalte schleifen soll. Wir sind nicht an den Hindukusch gezogen, um zu verlieren, lautet seine Parole, die allen Zweiflern entgegenhält, daß man doch gerade erst angefangen habe, alles richtig zu machen. Vergeßt die neun fruchtlosen Jahre, die hinter uns liegen, und gebt uns mehr Zeit, unsere neue Wunderstrategie umzusetzen, damit wir den Afghanen endlich geben können, was sie sich sehnlichst wünschen!

Im ausführlichen Fernsehinterview bei NBC, in einem einstündigen Gespräch mit der New York Times und gegenüber der Washington Post zog Petraeus alle Register, seine Propagandakampagne zu lancieren, für die er zuvor die Erwartungen mit seinem anhaltenden Schweigen geschürt hatte. Mit keiner einzigen Silbe erwähnend, daß die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten keineswegs vorhaben, diese geostrategisch so wichtige Region zwischen Rußland und China je wieder zu verlassen, kreisten seine Argumente um die gespenstische Abzugsdebatte, für die Barack Obama mit seinem ominösen Juli 2011 die Steilvorlage geliefert hatte.

Der vom Präsidenten genannte Abzugstermin für die US-Truppen sei "nicht in Stein gemeißelt", da dieses Datum nur den Beginn eines Prozesses markiere, an den Bedingungen geknüpft seien, verkündete Petraeus. Man habe den Krieg jahrelang ohne richtige Strategie geführt und den Kampf in Afghanistan erst in den vergangenen eineinhalb Jahren gründlich überdacht. "Wir mußten die Konzepte verbessern und in einigen Fällen Konzepte entwickeln, die nicht existierten", und erst seit diesem Frühling zeigten sich die Erfolge dieser Arbeit. Er werde "ganz sicher" nicht davor zurückschrecken, von Obama eine Verschiebung des Abzugstermins zu verlangen: "Es macht mir keinen Kummer, zu wissen, daß der Juli 2011 im Raum steht", so Petraeus. Ein Abzug der Truppen müsse verantwortungsvoll geschehen. (www.zeit.de 16.08.10)

Von einer Kontroverse mit der politischen Führung will der General nichts wissen, habe er doch mit Obama eine "gute Diskussion" über das Thema geführt. Der Präsident habe ihm verdeutlicht, daß er die "besten militärischen Ratschläge" erwarte. Zudem verbinde ihn auch mit Afghanistans Präsident Hamid Karsai eine "gute Arbeitsbeziehung". Obamas fundamentales Täuschungsmanöver, er werde den Scherbenhaufen der Bush-Ära beseitigen und alles wieder ins Lot bringen, setzt sich also in zugespitzter Form fort, indem mit Petraeus der größte verbliebene Trumpf ausgespielt wird. Die an sich banale Information, daß der US-Präsident von seinem Feldherrn am Hindukusch Expertise erwarte, soll nahelegen, daß Petraeus über die Gabe verfügt, das Blatt zu wenden.

Daß es sich dabei um einen bloßen Mythos handelt, zeigen die verheerenden Verhältnisse im Irak, die von Unsicherheit, Hunger und Aussichtslosigkeit geprägt sind. Dennoch haftet Petraeus der Ruf an, er habe dort den entscheidenden Durchbruch herbeigeführt, den Krieg beendet und den Abzug möglich gemacht. Dieses Manöver soll nun in Afghanistan wiederholt werden, wo man sich ebenfalls mit einem Kontingent dauerhaft festsetzen will, das Gros der Kampftruppen jedoch mittelfristig für andere Kriegsschauplätze freisetzen muß.

Nach Lesart des Oberkommandierenden hört sich das folgendermaßen an: Man benötige Zeit, um das Land nachhaltig zu befrieden und die Verantwortung zunehmend an die afghanische Regierung zu übergeben, weil man dabei die Bevölkerung einbeziehen wolle. "Wenn man nicht jeden Bösewicht in dem Land töten oder verhaften will, muß man diejenigen integrieren, die Teil der Lösung werden wollen statt ein Teil des Problems zu bleiben." Wie schon im Irak setzt die Besatzungsmacht auf ein Spaltungsmanöver, um mit Geld und guten Worten die wachsende Front des Widerstands zu fragmentieren, Kollaboration zu fördern und den nach neun Kriegsjahren nur zu verständlichen Wunsch der Bevölkerung nach einem Ende der akuten Bedrohung mit vagen Versprechen zu füttern.

Der Abzug der US-Streitkräfte hänge von der Lage im Land ab, unterstrich Petraeus die Drohung, daß der Afghanistankrieg kein schnelles Ende finden wird. Der Kampf gegen die Taliban sei nach wie vor von einem ständigen "Auf und Ab" geprägt, weshalb es viel zu früh sei, um abschätzen zu können, wann er endgültig zum Erfolg führen werde. Hauptziel des Krieges bleibe es, die Region nicht wieder zum sicheren Hafen für Terroristen werden zu lassen. Auch die Gefangennahme des Al-Qaida-Führers Osama bin Laden stehe weiter ganz oben auf der Agenda. Vermutlich habe sich der Terrorist tief in die Isolation begeben, um unauffindbar zu sein. Niemand wisse, in welcher Region er sich aufhalte. (www.faz.net 16.08.10)

In konzertierter Aktion erklärte unterdessen Verteidigungsminister Robert Gates in der "Los Angeles Times", die NATO-Truppen in Afghanistan könnten "frühestens im Frühling, mit Sicherheit aber im Sommer" kommenden Jahres mit der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen beginnen. Diese könnten dann zunächst in "weniger gewaltsamen Gebieten" die Kontrolle übernehmen. Damit hielt Gates zwar den fiktiven Termin aufrecht, an dem der Abzug angeblich beginnen soll, hebelte aber gleichzeitig die Vorstellung aus, man werde im Juli 2011 ernsthaft darangehen, wesentliche Kontingente abzuziehen.

Barack Obama, der im Dezember vergangenen Jahres seine Entscheidung, 30.000 weitere Soldaten in den Krieg zu schicken, damit gerechtfertigt hatte, man werde im Sommer 2011 den Abzug einleiten, sieht sich mit wachsendem Widerstand gegen den längsten Feldzug in der Geschichte der USA konfrontiert. Die Unterstützung der Bevölkerung für den Militäreinsatz schwindet darüber hinaus in allen Ländern, die Truppen stellen. In der vergangenen Woche wies die UNO darauf hin, daß sich die Gewalt in Afghanistan immer stärker gegen die Zivilbevölkerung richtet und im ersten Halbjahr 2010 bei Kämpfen und Anschlägen 25 Prozent mehr Zivilisten getötet wurden als im Vorjahreszeitraum.

Zudem starben nach Angaben der unabhängigen Website icasualties.org seit Beginn der US-geführten Invasion Ende 2001 insgesamt 2002 NATO-Soldaten, darunter 1.226 aus den USA und 331 des zweitgrößten Truppenstellers Britannien. Nachdem im bislang verlustreichsten Jahr 2009 insgesamt 521 Besatzungssoldaten umgekommen waren, sind es im laufenden bereits 434, wobei der Juli 2010 für die US-Armee mit 66 getöteten Soldaten der bislang blutigste Monat seit Beginn des Einsatzes war.

Wenn Petraeus also verkündet, er habe seinen neuen Posten in Afghanistan nicht angetreten, um einen "würdigen Rückzug" zu leiten, muß er massive Kaliber der Propaganda auffahren, um seinen Landsleuten und den Verbündeten die Fortsetzung des Engagements schmackhaft zu machen. Dabei konnte er nicht umhin, Fortschritte an diversen Fronten zu reklamieren, die sich freilich bei näherer Überprüfung als mehr oder minder haltloses Wunschdenken herausstellen. Man vertreibe die Taliban aus ihren Rückzugsgebieten, reformiere die afghanische Regierung und bereite die einheimischen Soldaten darauf vor, den Kampf auf sich gestellt zu führen, behauptete er. (New York Times 15.08.10)

Sein Marschbefehl laute, alles Menschenmögliche zu unternehmen, um die gesetzten Ziele zu erreichen, so Petraeus. In militärischer Hinsicht ist dies der Übergang von der Counterinsurgency zum Counterterrorism, also die Intensivierung willkürlicher Liquidierungen. Davon abgesehen schwebt dem Oberkommandierenden offenbar vor, in Afghanistan denselben Hexenkessel einander bekämpfender Fraktionen anzurühren, wie im Irak, der es erlaubt, den Krieg aus Sicht der Besatzungsmächte offiziell für beendet zu erklären und zugleich ein dauerhaftes Restkontingent in Großstützpunkten zu etablieren.

16. August 2010